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Bewegungstermine in BerlinSelbstbestimmung statt Kontrolle

Berlin diskutiert über männliche Einsamkeit, Scham und das Recht, über den eigenen Körper zu bestimmen zu dürfen.

Gegenprotest: Fundis müssen lernen, dass sie nicht über den weiblichen Körper bestimmen können Foto: Sarah Knorr/dpa

I Ich bin der traurigste Clown vom Kotti. Nur leider niemand da, der applaudiert.“ Mit diesen Worten eröffnet der Kreuzberger Schauspieler und Autor Anton Weil seinen Debütroman „Super einsam“. Es geht darin um Einsamkeit, vor allem die Männliche. Studien der letzten 30 Jahre zeigen, dass die sozialen Netzwerke von Männern im Vergleich zu denen von Frauen kontinuierlich geschrumpft sind. Inzwischen ist die Rede von einer „Epidemie männlicher Einsamkeit“.

In Anton Weils Worten klingt das so: „Die Freunde sind zu Kollegen und die Kollegen zu Bekanntschaften geworden. Man grüßt sich vielleicht noch, wenn man ineinanderrennt, aber zum Stehenbleiben fehlt die Zeit.“

Feministinnen kritisieren den Ausdruck „Epidemie männlicher Einsamkeit“ als zu passiv. Er suggeriere, Männer seien bloße Opfer, die ohne eigenes Zutun in die Einsamkeit geraten. Ursache sei jedoch vielmehr, dass Männer im Patriarchat oft nicht lernen würden, die Bedeutung von Freundschaften und Gemeinschaften zu erkennen und emotionale Kompetenzen zu entwickeln – anders als viele Frauen. Deshalb schlagen Kri­ti­ke­r*in­nen vor, stattdessen von einer „Fähigkeiten Lücke“ zu sprechen.

Am Freitag spricht Anton Weil beim 25. internationalen literaturfestival gemeinsam mit dem Soziologen Janosch Schobin über das Thema männliche Einsamkeit. Im Mittelpunkt stehen Fragen nach der Rolle von Freundschaften, Gaming und Sozialisation. Und: Kann man sich selbst heraushelfen, etwa durch Denken, Schreiben und Sprechen? (Freitag, 19. September, Haus der Berliner Festspiele, 18 Uhr)

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„Ob Kinder oder keine, entscheiden wir alleine!“

Die Einsamkeit birgt nicht nur eine Gefahr für das Individuum, sondern auch für die Demokratie. Einsame Männer tendieren laut Studien häufiger zur Wahl rechter Parteien. Die Unsicherheit gegenüber Vielfalt und der Wunsch nach klaren Rollenbildern – Männer als Väter, Frauen als Mütter – manifestiert sich auch an diesem Samstag wieder.

Dann ziehen Ab­trei­bungs­geg­ne­r*in­nen mit „I love Jesus“-Shirts, Holzkreuzen und „Töten ist keine ärztliche Kunst“-Schildern durch Berlin. Beim „Marsch für das Leben“, eine der größten öffentlichen Veranstaltungen der sogenannten „Lebensschutzbewegung“, demonstrieren seit 2008 jedes Jahr Tausende für ein vollumfängliches Abtreibungsverbot.

In den letzten Jahren nahmen an der Demo neben Ab­trei­bungs­geg­ne­r*in­nen auch konservative Politiker*innen, christliche Fun­da­men­ta­lis­t*in­nen und vermehrt auch Ultrarechte teil, darunter AfD-Politikerin Beatrix von Storch. Diese Allianz zwischen der christlichen Fundamentalismusbewegung und der extremen Rechten wurde in den letzten Jahren immer deutlicher. In Deutschland bestehen enge Kontakte sowohl zur Union als auch zur AfD.

Das queerfeministische Bündnis „What the Fuck!?“ kritisiert: „Die ‚Lebensschutzbewegung‘ ist ein Vehikel für reaktionäre, antifeministische und queerfeindliche Ideologien“. Es warnt: „Die Bewegung hat in den letzten Jahren immer mehr gesellschaftliche Aufmerksamkeit erlangt, auch aus Teilen der bürgerlichen Mitte, die sich als ‚besorgt‘ über den ‚Trend‘ der Geschlechtervielfalt geben.“ So zeige etwa Markus Söders (CSU) Vergleich von Deutschlands Industrie mit einer „Dame ohne Unterleib“, dass die Gleichsetzung von der Wertigkeit eines Menschen mit seiner Gebärfähigkeit über fundamentalistische Kreise hinausreiche.

Dagegen will das Bündnis am Samstag demonstrieren. Sie rufen um 11 Uhr zur Gegendemo auf dem Europaplatz am Hauptbahnhof auf. Das Motto: „Ob Kinder oder keine, entscheiden wir alleine!“ (Samstag, 20. September, Europaplatz am Hauptbahnhof, 11 Uhr)

Ausbeutung oder Selbstbestimmung?

Mehr Selbstbestimmung wünscht sich auch eine andere Gruppe: Sexarbeiter*innen. Bevormundung über sie ist nach wie vor die Norm. Ist Sexarbeit weibliches Empowerment oder ein Akt der Unterdrückung? Über diese Frage diskutieren Fe­mi­nis­t*in­nen seit jeher – und sprechen dabei oft über Sexarbeiter*innen, selten mit ihnen.

Ab Donnerstag bietet sich wieder ein aktueller Anlass für die Debatte. Dann startet in den Messehallen am Funkturm die 28. Venus, Europas größte Erotikmesse. Das bedeutet: ein wilder Geruchscocktail aus Schweiß, Sperma und Schlagsahne, eine schummrig beleuchtete Show-Area auf deren Bühne sich halbnackte Frauen mit Schlagsahne besprühen, sich ablecken und befriedigen – festgehalten durch schamlos große Linsen und Camcorder umherstehender sabbernder Männerscharen.

Dieses Mal soll es aber auch gezielt um die Männer gehen, genauer: ihre Unsicherheiten. Erstmals werden auf der Messe zwei häufige, aber stark tabuisierte sexuelle Funktionsstörungen bei Männern thematisiert: erektile Dysfunktion und vorzeitige Ejakulation. Studien zufolge ist etwa jeder dritte Mann im Laufe seines Lebens davon betroffen. Eine Aufklärungskampagne in der Messehalle soll Männer ermutigen, aus dem Schweigen herauszutreten. (25. – 28. September, Venus, Messehallen am Funkturm)

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Lilly Schröder
Redakteurin für Feminismus & Gesellschaft im Berlin-Ressort Schreibt über intersektionalen Feminismus, Popkultur und gesellschaftliche Themen in Berlin. Studium der Soziologie und Politik.
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