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Bewegungsforscher zu Klima-Hungerstreik„Das ist kein Spiel“

Ist der Hungerstreik der Klimaaktivisten sinnvoll? Bewegungsexperte Dieter Rucht sieht den Ernst der Aktion, zweifelt aber an ihrem Erfolg.

Aktivist Metzeler-Kick trägt Dauer des Hungerstreiks ein. Am Sonntag sind es bereits 87 Tage Foto: dpa
Interview von Joscha Frahm

taz: Aktuell befinden sich in Berlin vier Klimaaktivisten im Hungerstreik, einer von ihnen schwebte bereits vorübergehend in akuter Lebensgefahr. Die Aktivisten fordern eine Regierungserklärung, die die Gefahren der Klimakrise artikuliert. Sind Hungerstreiks als politisches Instrument wirksam? Welche Faktoren spielen dafür eine Rolle?

Bild: privat
Im Interview: Dieter Rucht

77, ist emeritierter Professor. Der Bewegungsforscher arbeitete am Wissenschaftszentrum Berlin und an der Freien Universität Berlin.

Dieter Rucht: Statistische Auswertungen gibt es dazu nicht. Manchmal werden die Forderungen Hungerstreikender ganz oder teilweise erfüllt, aber manchmal eben auch nicht. Zunächst einmal hängt der Erfolg davon ab, ob die gestellten Forderungen überhaupt erfüllbar sind. Auch die öffentlichen Reaktionen sind wichtig: Gibt es große Aufmerksamkeit oder sogar Sympathie? Zudem spielen individuelle Faktoren eine Rolle: Wer ist die Person? Sind ihre Forderungen glaubhaft oder wird die Person als irre abgetan? Abgesehen davon ist auch der Durchhaltewille und die Ernsthaftigkeit der Streikenden wichtig. In der Geschichte gab es es auch theatralische, nicht wirklich ernst gemeinte Hungerstreiks, so etwa den der Linken-Vorgängerpartei PDS 1994. Dabei ging es um Steuererlasse für das Vermögen der SED. Schon von vornherein war klar: Die werden nicht bis zum bitteren Ende gehen.

Ist das beim aktuellen Streik der Klimaaktivisten anders?

Ernst gemeint ist der Streik der Klimaaktivisten definitiv: Das ist kein Spiel, das dort betrieben wird. Die Aktivisten halten zum Teil wochenlang durch und begeben sich in Lebensgefahr. So schaffen sie es auch, mediale Aufmerksamkeit zu erregen. Ob die eher randständige Forderung nach einer Erklärung des Bundeskanzlers am Ende erfüllt wird, ist trotzdem unklar.

Scholz hat ja bereits gesagt, er würde die Forderung nicht erfüllen – und sie zum Ende der Aktion aufgerufen. Würde er sich nicht erpressbar machen, wenn er auf die Forderung der Klimaaktivisten eingeht?

Ich würde in diesem Zusammenhang nie von Erpressung sprechen. Denn eine Erpressung würde voraussetzen, dass derjenige, der erpresst wird, einen gewaltigen Schaden erleidet, wenn er nicht auf die Forderung eingeht. Mit solchen Folgen müsste Scholz selbst im Falle des Todes des Klimaaktivisten nicht rechnen. Ob die Erfüllung der Forderungen positive oder negative Auswirkungen für den Kanzler hätte, ist hingegen schwer zu sagen: Geht er auf die Forderungen ein, könnte er als empathisch gelten. Auf der anderen Seite könnte das aber auch dazu führen, dass andere Gruppen mit obskuren Forderungen in den Hungerstreik treten. Stellen Sie sich nur vor, die AfD würde das machen.

Hungerstreiks wurden historisch gesehen vor allem von Häftlingen oder anderen Menschen, die in Institutionen wie etwa Psychiatrien untergebracht waren, eingesetzt. Wie unterscheiden sich die Streiks Gefangener von denen der Klimaaktivisten?

Schon Sklaven traten im 19. Jahrhundert in Hungerstreiks, Palästinenser kündigten 2017 und 2021 zu Tausenden Hungerstreiks gegen ihre Haftbedingungen an. In texanischen Gefängnissen traten 2013 Zehntausende Häftlinge in den Hungerstreik. Diese Menschen haben normalerweise keine Möglichkeit, sich an die Öffentlichkeit zu wenden. Insofern ist der Hungerstreik in diesen Fällen als letztes, verzweifeltes Mittel zu verstehen, das die Gefangenen anwenden können. Im Falle der Hungerstreiks von Klimaaktivisten sieht das anders aus. Meist geht es dabei um Leute, die in demokratisch regierten Ländern leben und viele Möglichkeiten haben, sich politisch zu beteiligen. So gesehen gibt es ein gewisses Missverhältnis zwischen der Drastik der Aktion und der Fülle von alternativen Möglichkeiten, mit denen die Aktivisten für ihr Anliegen werben können. Eigentlich würde ein Hungerstreik voraussetzen, dass alle anderen Möglichkeiten erfolglos ausgeschöpft wurden.

Der Aktivist Metzeler-Kick argumentiert: Genau das sei bei der Klimakrise der Fall, alle anderen Möglichkeiten, sie zu stoppen, seien ausgeschöpft.

Das ist bestreitbar. Es ist auch unklar, ob Klimaaktivismus jenseits des Hungerstreiks zum Erfolg führen wird. Doch diese Unsicherheit gilt genauso für den Hungerstreik. Es ist möglich, dass einer der Aktivisten verstirbt. Selbst dann bleibt offen, ob die Klimapolitik dadurch entscheidend verändert werden würde.

Das heißt, die Forderung, die die Hungerstreikenden aktuell stellen, könnte zwar erreicht werden, dass dadurch eine Kehrtwende in der weltweiten Klimapolitik angestoßen wird, ist aber äußerst unwahrscheinlich?

Genau. Das unterscheidet auch die Hungerstreiks der Klimaaktivisten von denen Gefangener. Als Tausende palästinensische Gefangene hungerten, um gegen ihre Haftbedingungen zu protestieren, wäre ein Federstrich des israelischen Regierungschefs ausreichend gewesen, um die Forderungen zu erfüllen. Wenn in Sachen Klimapolitik ein fundamentales Umsteuern gefordert wird, ist das nicht in dieser Weise umzusetzen: Die Klimapolitik in China wird von einem toten Hungerstreikenden in Berlin sicher nicht beeinflusst. Außerdem wird die Aufmerksamkeit, die es im Falle des Todes eines Aktivisten geben würde, schnell verfliegen. Das zeigt auch der Fall von Hartmut Gründler, einem Anti-Atomkraftaktivisten, der sich nach einem erfolglosen Hungerstreik 1977 vor der St. Petrikirche in Hamburg verbrannte! Selbst dieser extreme Fall ist kaum jemandem präsent. Dass Einzelne die Möglichkeit haben, die politische Öffentlichkeit nachhaltig zu beeinflussen, ist äußerst selten.

Würden sie der Klimabewegung also davon abraten, das Mittel des Hungerstreiks zu verwenden?

Ja, ich würde davon abraten. Ich respektiere zwar, dass die Leute das tun und aufrichtig handeln. Doch der bescheidene Effekt, der durch den Hungerstreik erreicht werden könnte, steht in keinem Verhältnis zu der drastischen Aktion und den möglichen Konsequenzen für die Aktivist:innen.

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10 Kommentare

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  • Das Ganze ist auf jeden Fall ein Desaster der Öffentlichkeitsarbeit.

    Ich habe erst vor wenigen Tagen überhaupt von diesem Hungerstreik gehört.

    So kurzfristig baut man keinen relevanten politischen Druck auf, vor Allem wenn kaum jemand darüber berichtet.



    Ein Gegenbeispiel war z.B. die Woche im Bett von John Lennon und Yoko Ono.

    Schade um die Gesundheit der Beteiligten.

  • Der Bundeskanzler sollte erklären, das Klimaschutz und Kapitalismus nicht zusammengehen. Wir werden den Klimawandel nicht aufhalten können. Er kann möglicherweise abgeschwächt werden von 4 Grad Erwärmung auf 2,5 - 3 Grad, was schlimm genug wird.



    Das liegt an den Treibkräften das Kapitalismus und auch daran das die Naturzerstörung keinen Preis hat. Die Wirtschaft muss wachsen, die Politik braucht Steuergelder, die Menschen definieren sich über Konsum. Keiner hat die Absicht für den Klimaschutz auf irgend etwas zu verzichten, was aber notwendig wäre für den Klimaschutz. Die ganze Klimaschutzdebatte, der CO2 Fußabdruck, der CO2 Handel ist eine riesige Mogelpackung, um uns durch die "Dokumentation von Bemühungen" ruhig zu stellen, damit wir weiter konsumieren und der Staat seine Legitimation nicht verliert.

    Man müßte den Kapitalismus überwinden, um zu einer sparsamen Degrowh Gesellschaft zu kommen, was aber 99 % der Mensch nicht wollen und wodurch die Gesellschaft auf gefährliche Weise destabilisiert werden würde.



    Jedoch, jedes Solar und Windanlage ist wichtig und hilft die schlimmsten Auswirkungen der Klimakrise etwas zu minimieren.

    • @Paul Schuh:

      Ich stimme ihnen zu, dass jeder mehr auf seinen Konsum achten muss und Dekadenz absolut schlecht ist.



      Aber:

      "Keiner hat die Absicht für den Klimaschutz auf irgend etwas zu verzichten, was aber notwendig wäre für den Klimaschutz."



      - Erzählen sie das mal den Armen in anderen Ländern die nicht an Stromnetz angeschlossen sind oder kein sauberes Wasser haben. Sollen die auch verzichten? Der Kapitalismus hat die weltweite Armut seit 1820 von über 90% auf heute ca. 10% gesenkt, und das bei sieben mal mehr Menschen auf der Welt. Ein guter Trend erst mal grob betrachtet, oder? Wer will nicht Armut bekämpfen? In kapitalistischen Systemen gab es deutlich weniger Hungernöte als in anderen. So gesehen ist Kapitalismus das beste System was wir je hatten.

      Man sollte also den Kapitalismus anpassen, nicht überwinden. Wir wollen nicht zurück in ein System, was uns arm macht oder was sich als schlecht erwiesen hat, mehrere Male sogar (Kommunismus, Sozialismus). Ein ökologischer Kapitalismus ist möglich, vor allem durch neue Technologien und Forschung. Ingenieure und Wissenschaftler werden die Klimakrise lösen. Keine Anti-Kapitalismus-Aktivisten. Jeder sollte dabei Ressourcen schonen. Das ist klar

    • @Paul Schuh:

      In der Politik gilt selten Schwarz oder weiß.

      Klimaschutzpolitik bedeutet auch, das Machbare auch zu tun.

      Deutschland startet da Jahre zu spät und auch nur extrem langsam.



      Dazu kommen Überschwinger, wie Stahlwerke CO2-neutral zu betreiben. Das ist einfach nur Schwachsinn.

      Den Kapitalismus dafür überwinden muss man aber nicht. Wäre zwar schön, aber eine diktaturfreie Alternative gibt es bislang nicht.

  • "Ich würde in diesem Zusammenhang nie von Erpressung sprechen. Denn eine Erpressung würde voraussetzen, dass derjenige, der erpresst wird, einen gewaltigen Schaden erleidet, wenn er nicht auf die Forderung eingeht."

    Die Drohung ist in diesem Fall negative Publicity indem die Aktivisten versuchen Scholz die Verantwortung für den eigenen Freitod aufzudrücken, falls er ihren Forderungen nicht nachkommt. Unabhängig davon ob es dazu kommt, und wie groß der Schaden tatsächlich ausfiele, der Versuch ist gegeben.

    • @Volker Racho:

      Scholz hat doch schon einiges überstanden. Er sagt dann einfach, er kann sich an nichts mehr erinnern. Außerdem liegen die Sympathien in der Bevölkerung nicht unbedingt bei den Streikenden, denn viele sehen sie als Erpresser

  • Ob nun ein Hungerstreik Verbesserungen in der Klimapolitik bewirkt oder nicht - man muss dieses Thema vor allem von der subjektiven Seite her verstehen. So wie auch bei der Magersucht steht dahinter nämlich eine so grundsätzliche Unzufriedenheit mit den Gegebenheiten, dass allein ein drastisches Mittel wie die Verweigerung der Nahrungsaufnahme noch als geeigneter Ausdruck erscheint. Dass es aber überhaupt erst soweit kommt, hat auch mit Abwehrmechanismen des persönlichen Umfelds (im Fall der Magersucht) oder der Gesellschaft insgesamt (im Fall des Hungerstreiks) zu tun, wodurch bestimmte Diskurse von vornherein tabuisiert werden. Auch das Gerede, die Willensbildung müsse in jedem Fall demokratisch legitimiert sein, zeugt eher von Antiindividualismus als von einer egalitären Einstellung im eigentlichen Sinn. Sich so zu positionieren, wie es nach eindringlicher Selbstprüfung einzig richtig erscheint, ohne Seitenblick auf die Ansichten des persönlichen Umfelds, des Arbeitgebers oder des gesellschaftlichen Mainstreams - das wäre eine Art der politischen Betätigung, die - in großem Stil praktiziert - Aktionen wie diesen Hungerstreik wahrscheinlich überflüssig machen würde.

    • @Waldgaenger:

      Ich erlaube mir mal, den (interessanten) Gedanken weiterzudenken: wie darf man dann die zahllosen Aufforderung, der Hungernde möge doch sein leichtfertiges Handeln überdenken, verstehen? So schlimm könne es ja nicht sein, dass man sein eigenes Leben wegwerfen müsse und damit anderen vorhalte, dass es in der Gemeinschaft doch noch lebenswert sei.



      .



      "Lassen Sie uns doch stattdessen das Leben unserer Kinder und Enkel wegwerfen", so müsste man ihn wohl mit offenen Armen empfangen…

  • Richtig, es handelt sich hier nicht (einmal moralisch) um 'Erpressung'. Ein solcher Vorwurf (Erpressung) - mit Verständnis: welchen anderen dehnbaren Blödsinn sollten die Veränderungsunwilligen auch anführen?! - kommt aus der Idee, dass es nicht unmöglich ist, dass der sich selbst Aufopfernde Sympathien erlangen könnte. Er stellt sich ferner in gewisser Weise verstândlich gegen den Kapitalismusgrundwert "(glücklich durch) Konsum". Hungern halte ich jedoch für falsch, da man noch Kraft respektive ein gesundes Bein benötigt, um die Umweltvernichter zu Fall zu bringen.

  • Der Wissenschaftler verkennt die Situation, wenn er einen "gewaltigen Schaden" nicht sieht. Der Schaden wäre tatsächlich gewaltig, den die Politik würde aufzeigen, dass sie sich durch solche Aktionen bewegen lässt.

    Bestes Beispiel ist der Hungerstreik der Letzten Generation (2021). Sie hat ihren Ursprung in einem Streik vor dem Kanzleramt und erst das im Wahlkampf zugesagte Gespräch des heutigen Kanzlers hat der Gruppe Bedeutung verschafft. Herr Scholz dürfte daraus gelernt haben.

    Bleibt zu hoffen, dass Herr Scholz nicht erneutauf so eine Aktion eingeht.