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Bevölkerungsprognose für AfrikaWas der Globale Norden unterschätzt

Kommentar von Katrin Gänsler

In vielen afrikanischen Ländern wird die Bevölkerung weiter wachsen, sagen Prognosen. Für eine bessere Familienplanung brauchen Frauen mehr Autonomie.

Auf die Frauen kommt es an: Auf einem Markt in Abidjan in der Elfenbeinküste Foto: Mahmut Serdar Alakus/Anadolu Agency/getty images

A nders als in den übrigen Teilen der Welt wird die Bevölkerung in Afrika auch weiter wachsen – das haben Bevölkerungsforscher der Universität Seattle im Fachmagazin The Lancet prognostiziert. Mit der Rechnung, mehr Verhütungsmittel anzubieten und in Bildung für Mädchen und Frauen zu investieren, macht es sich der Globale Norden allerdings zu einfach. Die Realität ist komplexer.

Was Familienplanung vor allem im ländlichen Raum extrem erschwert, ist die schlechte Gesundheitsinfrastruktur. Wenn es schon ein riesiger Zeit- und Kostenaufwand ist, bei Krankheit eine Klinik aufzusuchen, nimmt das keine Frau auf sich, um regelmäßig die Antibabypille zu kaufen. Um das zu ändern, muss in eine flächendeckende Versorgung und mobile Beratungssysteme investiert werden.

Bildung für Mädchen und Frauen ist seit Jahren ein Thema, was die Geburtenraten bisher jedoch nicht gesenkt hat. Zu mehr Selbst- und Mitbestimmung führt sie schließlich häufig erst dann, wenn damit wirtschaftlicher Erfolg und Autonomie vom Partner verbunden sind. Umso wichtiger sind deshalb unkomplizierte Kleinkredite, für die keine oder wenige Sicherheiten gefordert werden, sowie Beratung in wirtschaftlichen Fragen.

Ohnehin werden wirtschaftliche Zwänge und Möglichkeiten in Zukunft immer mehr Einfluss haben. Auch wenn die Bevölkerung auf dem Kontinent weiter steigt, ist vielen Menschen in Großstädten wie Abuja und Abidjan längst klar, dass sie sich immer weniger Kinder leisten können. Der Wohnraum ist zu knapp, die Lebenshaltungskosten sind zu hoch.

Ignoriert wird in der Diskussion jedoch der entscheidende Faktor: Kinder sind gesellschaftlich gewollt und gewünscht. In Nigeria gelten sie mancherorts als Statussymbol, das zum gesellschaftlichen Aufstieg verhelfen kann. In Benin gilt eine Frau als Frau, wenn sie auch Mutter ist. Kleinfamilien oder die bewusste Entscheidung gegen Nachwuchs wird deshalb häufig als Kinderfeindlichkeit interpretiert und sorgt für ebenso viel Unverständnis wie umgekehrt die weiterhin hohen Kinderzahlen.

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Westafrika-Korrespondentin
Nach dem Abitur im Münsterland bereiste sie zum ersten Mal Südafrika und studierte anschließend in Leipzig, Helsinki und Kopenhagen Journalistik und Afrikanistik. Nach mehreren Jahren im beschaulichen Schleswig-Holstein ging sie 2010 nach Nigeria und Benin. Seitdem berichtet sie aus ganz Westafrika – besonders gerne über gesellschaftliche Entwicklungen und all das, was im weitesten Sinne mit Religion zu tun hat.
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6 Kommentare

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  • Der Kommentar beleuchtet einige interessante Punkte. Vor allem die Vorschläge zur Selbstbestimmung der weiblichen Bevölkerung. In dem Kontext fehlt mir hier aber noch der Bogen weshalb das prognostizierte Bevölkerungswachstum auf dem Afrikanischen Kontinent etwas sei, was der globale Norden impliziert zu begrenzen hätte.

    • @Mehl:

      Weil der globale Norden natürlich dafür zuständig ist, den Afrikanern zu zeigen, wo es lang geht. Das ist eine jahrhundertalte Gewohnheit...

      • @warum_denkt_keiner_nach?:

        Tatsächlich eine schwierige Debatte. Nach den Unabhängigkeitsbewegungen der einzelnen Länder setzte ein Geburtenboom ein, gut dargestellt auf www.worldometers.info dessen Datensatz sehr detailliert bis zum Jahr 1950 zurückreicht. Während bei uns die übermässige Ausbeutung der Ressourcen zu einem kaum mehr hinterfragten Wohlstandsanspruch führte, begann in den ehemaligen Kolonien ein demographischer Boom, unter anderem ausgelöst durch die repressive und demütigende Politik der ehemaligen Kolonialmächte, die in Teilen heute noch aktiv ist. Jedoch spielen andere Gründe auch eine Rolle. Langfristig führt ungehemmter Ressourcenverbrauch zu Armut und den daraus resultierenden Kreisläufen wie beispielsweise im Niger. Insgesamt flacht die Kurve des demographischen Booms jedoch ab und erübrigt fast die Diskussion darum, siehe auch Brasilien oder Mexico. Wie Bangladesch es schafft mit einer der höchsten Pro-Kopf Einwohnerdichten trotzdem Wald und Natur zu erhalten ist mir dabei ehrlich gesagt ein Rätsel. Im Zuge der Aussöhnung zwischen dem globalen Norden und Süden sollten/dürfen Reflexionen über Bevölkerungsentwicklung geführt werden, da im Falle einer Katastrophe die unbedingte Verpflichtung zur Hilfe besteht und zudem die Rechte die Debatte darum einseitig führt, auch um der Linken eine stabile Argumentation zu ermöglichen. Die afrikanische Union arbeitet derweil der EU nach und möchte freien Reise- und Warenverkehr für den Kontinent bis 2025, das ist eine spannende Entwicklung des Postpostkolonialismus. -



        Auf das alle Grenzen fallen und politische Verwaltungseinheiten das sind was sie sind lokal-regionale Verwaltungseinheiten.

        • @Paule :

          "Auf das alle Grenzen fallen und politische Verwaltungseinheiten das sind was sie sind lokal-regionale Verwaltungseinheiten."

          Klingt gut. Aktuell ist es aber so, dass die Ungleichheit dafür sorgt, dass die Ärmeren einfach "untergebuttert" werden. So ist das schon in der EU.

          Unter den gegebenen Bedingungen ist Afrika für Europa nur das, als was es schon vor 80 Jahren gesehen wurde. Ein Ergänzungsraum.

          Aber zurück zum Thema. Wie viele Kinder in Afrika geboren werden, ist Sache der Afrikaner.

          • @warum_denkt_keiner_nach?:

            Relevant für die Debatte ist die growth rate www.worldometers.info/world-population/ und die geht überall runter, steigt bei Krisen insbesondere militärischen Konflikten jeweils aber stark an. Beispiel Irak oder Syrien. Die Prognose sagt das bis 2100 12,4 Milliarden Menschen auf der Erde leben, wie es dann um unsere ökologischen Ressourcen steht, hängt ab von der Etablierung ökologischen Bewusstseins im global human mindset.



            "Wie viele Kinder in Afrika geboren werden, ist Sache der Afrikaner." und wieviele "günstige" Shopping-Ausflüge nach New York und Reisen auf Kreuzfahrtschiffen gebucht werden, ist Sache derer die es sich leisten können und wollen.

            • @Paule :

              Merkwürdiger Vergleich. Kinder = Shopping?