Bettina Jarasch zum Klima-Volksentscheid: „Ich werde dafür stimmen“
Grünen-Spitzenkandidatin Bettina Jarasch erklärt im taz-Interview, warum sie bei „Berlin 2030 klimaneutral“ trotz aller Skepsis „Ja“ ankreuzt.
taz: Frau Jarasch, blicken wir voraus: Die Wahl ist vorbei, Sie sind mit dem Auto unterwegs zu Koalitionsverhandlungen. Doch KlimaaktivistInnen blockieren die Kreuzung. Was machen Sie?
Bettina Jarasch: Zuallererst rufe ich an, dass ich später komme. Dann rede ich mit den AktivistInnen.
Worüber?
Über Strategien: Wie kriegen wir es hin, dass wir mehr Akzeptanz für Klimaschutz erreichen, mehr Menschen überzeugen? So manche Aktionsform der Letzten Generation war eine Steilvorlage für Parteien, die keinen Klimaschutz wollen. Danach wurde nur über Strafrechtsverschärfungen und zivilen Ungehorsam diskutiert. Deshalb glaube ich, dass diese Aktionsformen beim Klimaschutz wenig Druck für die Sache machen.
Bettina Jarasch, 54, war schon bei der letzten Abgeordnetenhaus-Wahl Spitzenkandidatin der Grünen, diese verpassten den ersten Platz aber knapp. Seit Dezember 2021 ist sie Senatorin für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz. Dem Landesparlament gehört sie seit dem Jahr 2016 an.
Sie sagen immer, dass die Grünen den Druck von der Straße brauchen. Warum eigentlich?
Wir brauchen ihn, um eine demokratische Mehrheit für mehr Klimaschutz zu bekommen – schließlich haben wir Koalitionspartner, die müssen auch überzeugt werden. Das unterscheidet uns von einer Diktatur.
Einer Ökodiktatur.
Ich möchte für den Klimaschutz und die Ziele des Pariser Abkommens gesellschaftliche Mehrheiten erreichen. Aber die Zeit dafür läuft uns weg, das ist ja kein Geheimnis. Und in einer Demokratie brauche ich diese Mehrheiten. Wir Grünen sind als Einzige bereit, Klimaschutz wirklich zur Priorität zu machen. Das zeigt dieser Wahlkampf: Bei den Podien, in denen es stets um die Zukunft der Stadt geht, bin ich die Einzige, die das Wort Klimaschutz in den Mund nimmt. Spätestens wenn ich sage, dass wir für die Verkehrswende mehr Platz für die schwächeren Verkehrsteilnehmer brauchen, gehen die Attacken los, und zwar von allen.
Nun haben die Grünen sich dazu durchgerungen, den Volksentscheid Berlin 2030 klimaneutral am 26. März zu unterstützen.
Einem Volksentscheid, der fordert, was ich mir aus tiefstem Herzen wünsche, nämlich dass wir bis 2030 klimaneutral sind, dem kann ich nur Erfolg wünschen. Und sicher werden viele Grüne für diesen Volksentscheid werben.
Bisher hielten Sie das vorgelegte Gesetz für nicht umsetzbar.
Mit den Maßnahmen, Instrumenten und dem Ordnungsrecht, das wir bisher haben, schaffen wir es auch nicht, Berlin bis 2030 klimaneutral zu machen. Da bräuchten wir ganz andere Rahmenbedingungen. Das beginnt schon bei den fehlenden Fachkräften, um schnell genug Gebäude zu sanieren, Heizungen zu erneuern und Photovoltaik auf die Dächer zu bringen. An dieser Wahrheit kann ich mich nicht vorbeidrücken, ich bin keine Populistin. Wir brauchen konkrete Maßnahmen, die deutlich über jene hinausgehen, über die die Stadt jetzt schon aufgeregt redet. Über die wünsche ich mir eine Debatte, nicht nur über die Zielzahlen.
Kann da ein Erfolg des Volksentscheid helfen?
Ja. Er gibt mir mehr Instrumente in die Hand, etwa für verbindliche Klimaschutzfahrpläne, die dann jede Senatsverwaltung auflegen muss.
Ihr Fraktionschef Werner Graf hat argumentiert, man könne den Entscheid nicht unterstützen, weil es sonst ein Gesetz gibt, das die Politik nicht einhalten kann. Sehen Sie die Gefahr auch?
Ja. Denn bei allem, was wir selbst beschleunigen können und müssen, bleiben wir immer davon abhängig, was anderswo passiert, etwa bei der Energieerzeugung in Brandenburg. Deswegen tue ich mich schwer, als zuständige Senatorin, zu sagen: Klar funktioniert so ein Gesetz. Wenn aber ein Volksentscheid Erfolg hat, muss ich damit umgehen als Politik. Das gilt ja auch für den Vergesellschaftungsentscheid.
Werden Sie am 26. März mit Ja stimmen?
(überlegt) Dieses Gesetz wird nicht einfach umzusetzen sein. Trotzdem brauchen wir mehr Druck für Klimaschutz in dieser Stadt. Deswegen werde ich dafür stimmen.
Zentral für die Klimapolitik ist die Verkehrswende. Wie soll die klappen, wenn es um jede 500-Meter-Fußgängerzone so eine Aufregung gibt wie um die Friedrichstraße?
(seufzt) Die Friedrichstraße können wir gerne als Beispiel dafür nehmen, dass es eben Widerstände gibt. Aber an ihr entscheidet sich nicht die Mobilitätswende.
Woran denn?
Daran, ob wir es schaffen, dass Menschen in der ganzen Stadt – vor allem außerhalb des S-Bahn-Rings – auf ein eigenes Auto verzichten können, weil es Alternativen gibt. Dafür ist die Friedrichstraße irrelevant. Bei ihr geht es darum, die historische Mitte zu einem attraktiven Stadtraum zu machen, und einer Geschäftsstraße, die seit Jahren vor sich hin darbt, durch mehr Aufenthaltsqualität wieder eine Chance zu bieten.
Nun ist die Friedrichstraße nicht der erste Versuch in Berlin, Autos zurückzudrängen. Und immer führt das zu heftigen Debatten. Ist Berlin einfach noch nicht so weit, wie Paris, wie Barcelona, wie Kopenhagen zu werden?
Oder Amsterdam. Wissen Sie, wie es dort zuging, als die vor einigen Jahrzehnten mit ihrer Verkehrswende angefangen haben? Da gab es fast Straßenschlachten. Gemessen daran haben wir hier eine ganz andere Bereitschaft für Wandel. Und wenn Sie Paris sagen: Dort passiert genau das, was ich nicht will. Das ist ein reines Innenstadtprojekt, zugegeben mit eindrucksvollen Radwegen und viel Stadtgrün. Aber es gibt in Paris doppelt so viele Autos pro Einwohner wie in Berlin. Für Berlin gilt: Am Ende werden wir nur dann nicht mehr im Stau stehen, wenn wir weniger Autos haben.
Wie viel weniger bis, sagen wir, 2030?
Ich möchte, dass am Ende nur noch jene mit dem Auto unterwegs sind, für die es keine Alternative gibt. Die Autos, die dann noch bleiben und eines Tages emissionsfrei unterwegs sein werden, sollen auch bleiben. Das bedeutet, dass der ÖPNV und das Radverkehrsnetz noch attraktiver werden müssen, dass wir die Parkraumbewirtschaftung ausdehnen und dass die Autos langsamer fahren – wegen des Klimaschutzes und der Verkehrssicherheit.
Kommt mit Ihnen im Roten Rathaus die City-Maut?
Die City-Maut ist eine Möglichkeit, für weniger Pkw-Verkehr zu sorgen. Aber von den jetzigen Koalitionspartnern sind wir bisher als Einzige dafür.
Vergangene Woche haben die AktivistInnen von Changing Cities kritisiert, dass das geplante Radnetz bislang vor allem aus Löchern besteht.
Ich bin mir mit Changing Cities völlig einig, dass da noch mehr kommen muss. Wir sind weit von unserem Zielnetz entfernt, es braucht deutlich mehr Mittel und Personal. Aber wir haben mit dem bestehenden Personal in meiner Verwaltung in einem halben Jahr schon mehr gebaut als sonst in einem Jahr. Das heißt: Wir werden schneller.
Haben Sie das Personal in der Verwaltung jetzt ausreichend aufgestockt?
Um Gottes willen, bei Weitem nicht! Wir haben in der vergangenen Legislatur einen Radverkehrsplan verabschiedet, ohne ausreichend Personal dafür bereitzustellen. Das ist der Grund, warum die ganze Umsetzung der Radinfrastruktur so zögerlich vorankommt.
Der Fachkräftemangel dürfte die gesamte Politik in den nächsten Jahren lähmen, oder?
Er ist das Haupthindernis auch für den Fortschritt beim Klimaschutz, bei der Energiewende, beim Wohnungsbau. Insofern hoffe ich sehr, dass möglichst viele Menschen Klimaberufe ergreifen. Wir haben mit dem Freiwilligen Ökologischen Jahr ein kleines Projekt, auf das ich stolz bin: Das sind mittlerweile 370 Jugendliche pro Jahr. Ab sofort können sie aus ihrem Ökologischen Jahr ein Klimajahr machen, in dem sie bei der Installation von Solarpaneelen und Ähnlichem helfen, wir arbeiten da mit der Handwerkskammer zusammen. Ich hoffe, dass möglichst viele dabei auf den Geschmack kommen, dass sie Lust auf eine Ausbildung in Gewerken bekommen, die für die Energiewende zwingend notwendig sind.
Die Bildungssenatorin sagt: Bitte werdet Lehrer! Der Wettstreit zwischen den verschiedenen Bereichen wird also noch größer werden.
Natürlich konkurrieren wir um die besten Köpfe. Wer gute Ausbildungsplätze anbietet, hat in Zukunft einen echten Wettbewerbsvorteil.
Zum Thema Energiewende: Wie viele Windräder werden sich irgendwann in Berlin drehen?
Um beim Klimaschutz voranzukommen, müssen wir ran an alle erneuerbaren Energien. Und wenn wir die Vorgaben von Robert Habecks Wind-an-Land-Gesetz umsetzen, müssen wir rund 40 Windräder auf Berliner Boden hinkriegen. Und damit meine ich große Windräder.
Schaffen Sie das?
Ich kann mir vorstellen, dass man zusammen mit Brandenburg eine Lösung finden kann, sodass ein Teil dieses Ausbaus auch dort stattfindet. Aber ich möchte alles nutzen, was geht, und ich möchte, dass die Menschen in Zukunft auch stärker davon profitieren, wenn erneuerbare Energien in ihrem Quartier erzeugt werden.
Das Wohngebiet Buckower Felder kriegt ein Windrad daneben, oder wie darf man sich das vorstellen?
Wir arbeiten gerade an einer Studie, die standortscharf sagt, wo Anlagen stehen könnten. Klar, Einwände gegen Windräder gibt es immer, aber ich will nicht immer darüber reden, was alles nicht geht, sondern darüber, was geht.
Und da geht was?
Da geht was.
Es gibt eine große Freifläche mitten in der Stadt, da könnten schätzungsweise zehn Stück stehen.
Das Tempelhofer Feld würde ich ausnehmen. Wir haben einen Volksentscheid, der deutlich eine Bebauung des Feldes ablehnt.
Klimaschutz bedeutet auch Verzicht. Glauben Sie, dass die BerlinerInnen ihren Lebensstil aufrechterhalten können? Oder müssen wir uns alle mehr einschränken, nicht nur beim Auto?
Ich würde andersherum sagen: Es ist eine Riesenchance, wenn wir entdecken, was Wohlstand jenseits des Konsums materieller Güter bedeuten kann. Da hat sich auch unsere Welt verändert. Es gibt viele Dinge, die uns glücklich machen, Wohlstand fördern und auch Arbeitsplätze sichern, aber wenige Ressourcen verbrauchen.
Sagt die Senatorin, die gerade eine Fußgängerzone geschaffen hat, um eine Einkaufsmeile zu stärken.
Das ist doch jetzt eine absurde Debatte: Ich sage ja nicht, dass in Berlin nichts mehr eingekauft werden wird. Aber wir müssen Wachstum vom Energieverbrauch abkoppeln. Wachstum kann nicht mehr bedeuten, immer mehr zu konsumieren, sondern vielleicht Geld auszugeben für Dinge, die einen glücklich machen. Ich sage jetzt mal, was mich glücklich macht: eine Massage, die keine Ressourcen außer ein bisschen Muskelkraft verbraucht.
Noch mal zum Thema Verzicht: Sie wollen umfassend in eine Wärmewende investieren, sie sprechen von 2 Milliarden Euro.
Ja, da will ich richtig viel Geld investieren.
Aber das Geld muss ja auch irgendwoher kommen. Wo soll das Land einsparen?
Erst einmal: Wir brauchen die Wärmewende nicht nur, weil das Klimaschutz ist, sondern weil es die Mietnebenkosten stabilisiert. Jetzt in der Krise haben die Menschen Zuschüsse gekriegt, aber ich glaube nicht, dass sie das beruhigt. Denn sie wissen genau, dass sie von fossilen Energien abhängig bleiben, deren Preise wir nicht nicht in der Hand haben. Davon müssen wir weg. Deswegen ist es wirklich eine klassische ökosoziale Frage, in Wärmepumpen und energetische Sanierung zu investieren, und zwar zuerst in die am schlechtesten sanierten Bestände. Dort leben oft Leute mit niedrigem Einkommen, die gar nicht anders können, als ihr Geld zum Fenster rauszuheizen.
Aber wie finanzieren Sie es?
Sicher muss man Prioritäten setzen, aber es gibt auch Möglichkeiten der Sonderfinanzierung bis hin zu Nachhaltigkeitsanleihen, wie sie gerade unser Finanzsenator auflegt. Ich glaube, wir kriegen auch private Investoren, die bereit sind, da mit reinzugehen.
Sie setzen also darauf, dass man niemandem etwas wegnimmt, sondern einfach neue Quellen erschließt.
Für uns hat Klimaschutz Priorität. Das heißt: Womöglich gibt es ein paar Glanzprojekte, die in den nächsten Jahren nicht so dringend sind. Und wir müssen innovativ sein. Wenn es nach uns geht, sollte für solche Investitionen auch die Schuldenbremse fallen. Das wird am Ende im Bund entschieden, aber ich finde: Versäumte Investitionen sind Schulden der Zukunft.
In diesem Wahlkampf gab es so einige Verwerfungen zwischen den Koalitionspartnern. Glauben Sie, dass Sie und Frau Giffey noch einmal zusammenkommen können, egal in welcher Konstellation?
Auf jeden Fall. Also ich kann das.
Kommen noch einmal richtige Koalitionsverhandlungen auf Berlin zu?
Wenn wir mit SPD und Linken weitermachen, werden wir sicher einiges neu klären müssen. Dazu gehört der Umgang mit dem Vergesellschaftungs-Volksentscheid: Die SPD muss klarstellen, wie sie sich dazu verhält. Der russische Angriffskrieg hat im letzten Jahr neue Herausforderungen gebracht. Wir werden aber keine kompletten Koalitionsverhandlungen brauchen.
Sollte es beim jetzigen Kräfteverhältnis bleiben mit der SPD als stärkster Kraft: Wollen Sie dann den Koalitionsvertrag noch mal aufknüpfen?
Ich kämpfe dafür, dass ich die nächste Regierung mit SPD und Linken anführe.
Laut neuesten Umfragen sieht es danach nicht aus: Die Grünen liegen nur noch auf Platz 3, hinter CDU und SPD. Sind Sie geschockt?
Nein, wir haben immer mit einem offenen und knappen Rennen gerechnet. Fast 40 Prozent der Berliner*innen sind noch unentschlossen. Das Rennen läuft noch.
Ist es nicht erstaunlich, wie die CDU davonzieht?
Die Menschen müssen sich am 12. Februar entscheiden: Wollen sie eine CDU-SPD-Regierung oder eine Regierung, von mir geführt, die Veränderungen wirklich angeht, wie sie derzeit von Klimaaktivist*innen, von Mietaktivist*innen, von Changing Cities und vielen anderen eingefordert werden. Und zwar zum Wohle der ganzen Stadt.
Nach den jüngsten Umfragen könnte sogar ganz knapp ein 2-Parteien-Bündnis möglich sein – von CDU und SPD oder CDU und Grünen. Herrn Wegners Avancen waren ja deutlich im Wahlkampf. Würden Sie da sagen: Vielleicht ist es nicht unser Wunschpartner, aber dafür ist es nur einer?
Also Schwarz-Rot wäre ein echter Rückschritt für die Stadt. Im Mieterschutz wäre das Stillstand. Beim Klimaschutz würde auch nichts passieren. Deshalb möchte ich die nächste Regierung anführen. Um alles, worüber wir jetzt gesprochen haben, tatsächlich umzusetzen, muss man es auch steuern können. Dazu ist es gut, im Roten Rathaus zu sitzen.
Und Schwarz-Grün wäre kein Rückschritt?
Meine Präferenzen sind klar.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Twitter-Ersatz Bluesky
Toxic Positivity