Betriebsratsgründung bei Laverana: Über 30 Jahre zu spät
Der Naturkosmetikhersteller Laverana hat seit seiner Gründung 1987 keinen Betriebsrat. Nun sitzen Gewerkschaft und Geschäftsführung an einem Tisch.
Was sich nicht auf dem Onlineauftritt, in keiner Werbebroschüre und auf keiner Cremetube findet: Nachhaltigkeit und Mitbestimmung gibt es bei Laverana offenbar für Arbeiter*innen nur bedingt. In dem Familienunternehmen, das 1987 in Rethen gegründet wurde, gibt es bis heute keinen Betriebsrat. Dabei arbeiten mehr als 400 Mitarbeiter*innen über drei Standorte in der Region Hannover verteilt für die Firma.
Seit über 100 Jahren steht Arbeitnehmer*innen in Deutschland nach dem Betriebsverfassungsgesetz die Gründung eines Betriebsrates zu. Bei dem Ökokosmetikhersteller sollen jedoch in der Vergangenheit mehrere solcher Versuche verhindert worden sein, heißt es von der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie und Energie (IG BCE).
Nun, mehr als 30 Jahre nach der Gründung des Unternehmens, rückt die erstmalige Gründung eines Betriebsrats bei dem Kosmetikhersteller näher. Die IG BCE und die Geschäftsführung des Unternehmens haben Gespräche für eine Betriebsratswahl an allen drei Standorten von Laverana aufgenommen. Zudem soll über einen Tarifvertrag Mitbestimmung verhandelt werden.
Das Betriebsverfassungsgesetz sieht vor, dass in Betrieben mit mindestens fünf ständigen Arbeitnehmer*innen, von denen drei wählbar sind, ein Betriebsrat gewählt werden sollte.
Wahlberechtigt sind Kolleg*innen über 16 Jahre, die mindestens drei Monate im Betrieb arbeiten.
Ein Betriebsrat wird für vier Jahre gewählt.
Betriebsrät*innen haben einen besonderen Kündigungsschutz.
„Wir freuen uns sehr, dass wir nun endlich gemeinsam mit den Laverana-Kolleg*innen auf dem Weg sind, einen Betriebsrat zu wählen und das Unternehmen in die Tarifbindung zu führen“, sagt Gewerkschaftssekretärin Regina Karsch von der IG BCE über die anstehenden Prozesse.
Und auch aus dem Unternehmen selbst heißt es: Man werde „die Betriebsratswahl selbstverständlich unterstützen“. Den Vorwurf, solche Wahlen seien zuvor verhindert worden, weist die Rechtsabteilung von Laverana zurück. „Es trifft weder zu, dass Mitarbeitern oder Mitarbeiterinnen im Zusammenhang mit der aktuell geplanten Gründung eines Betriebsrats gekündigt wurde oder gekündigt werden soll, noch war dies in der Vergangenheit der Fall.“ Über vorige Versuche, einen Betriebsrat zu gründen, habe man keine Kenntnis gehabt.
Laverana gilt als sehr erfolgreich. Das Magazin Die Deutsche Wirtschaft schätzte den Jahresumsatz 2020 auf rund 232,8 Millionen Euro. 2019 kürte die Marken-Enzyklopädie Deutscher Standard den Naturkosmetikhersteller zur Marke des Jahrhunderts. Das Unternehmen befindet sich im Besitz der Familie des Firmengründers Thomas Haase.
Gründe für einen Betriebsrat scheint es aus Arbeitnehmer*innensicht einige zu geben – zumindest wenn man den Bewertungen auf dem Portal „Kununu“ Glauben schenkt. Dort können Mitarbeiter*innen ihre Arbeitgeber*innen öffentlich einsehbar bewerten.
Im März schrieb dort etwa eine Person, die angibt im Werk in Barsinghausen in der Produktion gearbeitet zu haben: „Hier ist gefühlt alles wichtiger als der Angestellte.“ Das Image stehe für das Unternehmen an erster Stelle, die Bezahlung lasse zu wünschen übrig, deswegen verließen Mitarbeiter*innen regelmäßig das Unternehmen. „Nach außen hui, nach innen pfui“, das sei der Zustand bei Laverana.
So sehen das auch andere Personen, die bei Kununu eine Arbeitgeber*innen-Bewertung abgegeben haben: „Eine so schlechte Kommunikation habe ich bis jetzt in keinem anderen Unternehmen erlebt“, schreibt eine*r. Andere kritisieren: „Gehaltserhöhung geht nach Gesicht“ oder dass einige Vorgesetzte „sehr respektlos“ mit dem Personal umgingen. Ganz unten findet sich noch eine Warnung: Angeblich gehe die Firma gegen schlechte Bewertungen auf dem Portal anwaltlich vor.
Michael Linnartz, Leiter des IG-BCE-Bezirks Hannover, sagt, es sei Zeit, dass sich Laverana der sozialen Verantwortung stelle und Betriebsratswahlen im Unternehmen nicht im Weg stehe. „Nachhaltigkeit beinhaltet neben der ökologischen auch immer die soziale Dimension“, sagt Linnartz.
Und auch für das Unternehmen sei die Gründung gut: „Die Unternehmen, die über Betriebsräte und Gewerkschaften verfügen und Konflikte sozialpartnerschaftlich regeln, sind auf lange Sicht am Markt erfolgreicher.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen