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Betriebsrat über Anti-Stress-Kongress„Systematische Überforderung“

Der Bosch-Betriebsrat Hans Peter Kern über „Verdichtung“ der Arbeit, Entschleunigungsprozesse und lebenslanges Lernen.

„Von psychischer Belastung ist im aktuellen Arbeitsschutzgesetz noch keine Rede“, sagt Bosch-Betriebsrat Hans-Peter Kern. Bild: dpa
Hannes Koch
Interview von Hannes Koch

taz: Herr Kern, morgens springt man in einen Strudel an Arbeit hinein, abends wird man wieder ausgespuckt. Stimmt der Eindruck, dass die Arbeitswelt immer hektischer wird?

Hans-Peter Kern: Aber ja, die Arbeitswelt verändert sich permanent, sie wird kurzlebiger. Vor zehn Jahren war es in einem Unternehmen wie Bosch üblich, Entwicklungsprojekte für neue Produkte aufzustellen, die dann fünf Jahre liefen. Danach hatten die Entwickler eine Pause, um die Köpfe freizubekommen. Dann startete das nächste Vorhaben. Heute dagegen kommen die neuen Projekte im Halbjahrestakt, und die Kollegen arbeiten an mehreren Aufgaben gleichzeitig.

Als Ursache von Stress wird oft die „Verdichtung“ der Arbeit genannt. Was ist das genau?

Beschäftigte erledigen mehr Dinge mit teils größerer Verantwortung in weniger Zeit als früher. Ein Beispiel: In den 1990er Jahren bediente ein Mitarbeiter eine computergesteuerte Drehmaschine und fertigte damit bestimmte Bauteile. Heute erledigt er viele zusätzliche Tätigkeiten. Er schreibt das Programm für die Maschine selbst und optimiert es. Außerdem wirkt er daran mit, seine Tätigkeit in den Ablauf der gesamten Produktion einzupassen. Ständig gibt es Teambesprechungen zur Abstimmung der Prozesse. Dies ist im Grunde zu begrüßen, denn eine Anreicherung der Arbeit ist durchaus wünschenswert. Jedoch wird das alles zusätzlich verlangt – ohne dass die Stückzahl gesenkt wird. Die Arbeitsschicht ist nicht länger geworden, sie hat auch heute nur sieben bis acht Stunden.

Welche Art von Stress ist für Beschäftigte bei Bosch besonders relevant?

Viele Kollegen fühlen sich von den häufigen Neuerungen überfordert. Weil das Unternehmen schnelle Innovation predigt und dauernd neue Produkte auf den Markt bringen will, müssen die Mitarbeiter ständig lernen und sich umorientieren.

HANS-PETER KERN

Jahrgang 1965, ist Betriebsrat beim Automobilzulieferer und Elektronikkonzern Bosch in Reutlingen.

Ist Lernen keine gute Sache?

Auf der einen Seite sicherlich. Lebenslanges Lernen hält jung und wach. Aber es gibt auch die andere Seite – den Druck, zu lernen und dadurch höhere Leistung bringen zu müssen, koste es, was es wolle. Dieses Problem betrifft alle, am meisten aber die älteren Kollegen.

Aber Arbeit wird auch leichter. Beschäftigte in den Produktionsstraßen deutscher Konzerne sind in der Regel nicht mehr giftigen Dämpfen oder großem Lärm ausgesetzt. Sie machen regelmäßig Pause und bekommen satte Gehälter. Suchen die Gewerkschaften bloß nach irgendetwas, das sie kritisieren können – und finden: Stress?

Teilweise gehen die harten körperlichen Belastungen zwar zurück. Aber es entstehen auch neue Probleme. Dazu ein weiteres Beispiel. Früher sagte der Meister: Wir haben hier einen Auftrag, der ist kaum zu schaffen, aber lasst es uns probieren. Heute sagt er seinen Leuten: Wenn wir diesen Auftrag nicht schaffen, verlieren wir ihn. Also überlegt euch, was ihr selbst tun könnt. Der Vorgesetzte überträgt den Mitarbeitern somit Verantwortung, die sie mangels Gestaltungsfreiheit aber oft nicht ausfüllen können. Denn die Maschinen, die sie bedienen, laufen nun mal nicht schneller. Die Firmen neigen dazu, ihre Beschäftigten systematisch zu überfordern.

Haben Sie es bei Bosch geschafft, dass die Arbeitnehmer mehr Zeit bekommen, bestimmte Tätigkeiten zu erledigen?

Eine Entschleunigung der Arbeit durchzusetzen ist sehr schwer. Erfolge haben wir eher, indem wir die weitere Beschleunigung verzögern. Bosch will die sogenannte Steinkühler-Pause – fünf Minuten pro Stunde für Beschäftigte in Akkordarbeit – abschaffen. Das ist dem Unternehmen bisher nicht gelungen. Die Kollegen und der Betriebsrat stehen geschlossen dagegen.

Welche Maßnahmen können Betriebsräte durchsetzen, um Arbeitsstress zu reduzieren?

Hilfreich ist es unter anderem, wenn Unternehmen den Austausch von E-Mails im firmeneigenen Netz abends ab einer bestimmten Uhrzeit unterbrechen. Damit helfen sie ihren Mitarbeitern, das Smartphone beiseite zu legen und sich zu erholen. Außerdem kann man darauf hinwirken, das eine oder andere Entwicklungsprojekt zeitlich besser zu planen oder aber auch durch Einstellungen zusätzlicher Mitarbeiter diese Projekte zeitnah zum Abschluss zu bringen. Auch ergonomische Verbesserungen können helfen, beispielsweise kombinierte Sitz- und Steharbeitsplätze im Büro.

Die IG Metall fordert eine Anti-Stress-Verordnung der Bundesregierung.

Von psychischer Belastung ist im aktuellen Arbeitsschutzgesetz noch keine Rede. Die Novellierung und eine Anti-Stress-Verordnung würden die Basis dafür legen, dass die Betriebsräte überhaupt systematisch mit den Unternehmensleitungen über das Thema Stress verhandeln können. Dann erst hätten wir die Möglichkeiten, breite Verbesserungen durchzusetzen.

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2 Kommentare

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  • GK
    Goetz Kluge

    Gutes Interview, aber Hans Peter Kern irrt sich im letzten Punkt zu seinem eigenen Nachteil. Die Unternehmer müssen jetzt schon psychische Belastungen im Arbeitschutz berücksichtigen. Zwar steht das nicht ausdrücklich im Gesetz, aber man kann es in den Leitlinien der Gewwrbeaufsicht und der Berufsgenossenschaften nachlesen. Auch können kompetente Betriebsräte hier viel durchsetzen. Weiterhin siehe zu den rechtlichen Aspekten psychischer Fehlbelastungen: http://www.arbeitsschutz.nrw.de/themenfelder/psychische_fehlbelastungen/rechtliche_aspekte/index.php (Ministerium für Arbeit ... in NRW).

     

    Wenn Betriebsräte und Gewerkschaften das nicht verstehen, werden die Arbeitgeber behaupten, dass sogar die Arbeitnehmervertretungen meinen, dass psychische Belastungen bisher nicht in den Arbeitsschutz hätten integriert werden müssen.

     

    Eine kleine Änderung des Arbeitsschutzgesezes hat das Bundesministerium von Ursula von der Leyen übrigens schon auf den Weg gebracht, vielleicht auch, um einer "Anti-Stress-Verordnung" entgegenzuwirken. Psychische Belastungen müssen (wenn da nicht etwas dazwischen kommt) dann klar gemäß Arbeitsschutzgesetz berücksichtigt werden. Das ist aber nur eine Klarstellung. An den jetzt schon bestehenden Pflichten der Arbeitgeber ändert das nicht viel.

  • S
    Solar-Boschi

    Sehr guter Artikel, den ich als ehmaliger Betriebsrat eines abgeschriebenen Bosch-Zweiges voll unterschreiben kann.

    Die Verlagerung der Verantwortung auf die unterste Ebene der Unternehmens- Hierarchie hat bedrückende Ausmaße angenommen. Der Misserfolg der Firma wird latent moralisierend an untere Angestellte

    adressiert, um deren Eigenmotivation zur temporär viel zu dicht gestaffelten innovativen Erneuerung bis zum Kotzen zu steigern. Dabei werden Programme, wie TPM zur Erweiterung der Zuständigkeit der Angestellten für Arbeitsplatz-untypische Wachsamkeiten und "Einsatzfreude" schnell zur psych. Belastung.

    Der Erfolg des Unternehmens wird natürlich auf das Management zurückgeführt, denn das hat ja schließlich die Puppen tanzen lassen.