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Besuch des Bundespräsidenten in PolenSteinmeier bittet um Vergebung

Als erstes deutsches Staatsoberhaupt hält Frank-Walter Steinmeier 80 Jahre nach dem Aufstand im Warschauer Getto eine Rede am Heldendenkmal.

Der israelische Präsident Herzog, Polens Präsuident Duda und Bundespräsident Steinmeier in Warschau Foto: Kacper Pempel/reuters

Warschau taz | Anlässlich des 80. Jahrestages des Warschauer Gettoaufstandes hat Polens Präsident Andrzej Duda die Präsidenten Israels und Deutschlands, Izchak Herzog und Frank-Walter Steinmeier, nach Warschau eingeladen. Zum ersten Mal überhaupt darf ein deutsches Staatsoberhaupt am Denkmal für die Helden des Warschauer Gettoaufstands eine Rede halten.

1970 durfte dies der damalige sozialdemokratische Kanzler Willy Brandt noch nicht. Überwältigt vom Gedenken an die sechs Millionen ermordeten Juden Europas war er dort auf die Knie gesunken – eine Geste der Versöhnung, an die Worte kaum heran reichen können.

Der erste Redner vor den geladenen Gästen an diesem Mittwoch ist jedoch kein Präsident, sondern der Shoah-Überlebende Marian Turski (96). Turski war zwar kein Kämpfer im Warschauer Getto, überlebte aber das zweitgrößte von Deutschen in Polen eingerichtete Getto – in Lodz sowie die KZ ­Auschwitz, Buchenwald und Theresienstadt. Er erinnert nicht nur an die Aufständischen in Warschau, sondern auch an die gefolterten und ermordeten Menschen in Butscha.

Ich klage alle an, die damals wie heute Hass säen

Marian Turski, Überlebender der Shoah

Den Vorort der ukrainischen Hauptstadt Kyjiw hatten russische Truppen kurz nach Beginn von Moskaus Angriffskriegs am 24. Februar 2022 besetzt. Sie sollen für den Tod Hunderter Zi­vi­lis­t*in­nen verantwortlich sein. „J’accuse“, sagt Turski am Denkmal der Helden des Gettoaufstandes 1943. „Ich klage alle an, die damals wie heute Hass säen. Sie schufen und schaffen die Stimmung, die Krieg und Völkermord überhaupt erst ermöglichen.“

Zwei bewaffnete Aufstände

Präsident Andrzej Duda, der als erster der drei Präsidenten seine Ansprache hält, sagt: „Im deutsch-besetzten Polen gab es in Warschau zwei bewaffnete Aufstände – 1943 den jüdischen, 1944 den polnischen. Vor 1939 war Polen ein Vielvölkerstaat. Davon ist 1945 nichts geblieben.“

Vom Beginn des Krieges an hätten es die Deutschen besonders auf die Juden abgesehen gehabt. Diese hätten Jahre später im Getto-Aufstand aber „nicht um ihr Leben gekämpft“, „sondern um die Freiheit die Art ihres Todes zu wählen“ – im Gas oder durch eine deutsche Kugel. So sieht es Duda. Angeblich sei der Massenselbstmord von Massada im Altertum, als die Juden nicht in die Hände der Römer fallen wollten, Vorbild der jüdischen Kämpfer von 1943 gewesen.

Tatsächlich ist das genau das von der nationalpopulistischen Regierungspartei PiS verbreitete Narrativ, mit dem auch gerechtfertigt werden kann, worum die Polen den Juden im brennenden Getto nicht zu Hilfe kamen. Mit „Ehre den jüdischen Helden, den bewaffneten wie den zivilen! Sie wollten nicht in die Hände der Deutschen geraten!“, beendet Duda seine Rede.

„Sie hatten keine Chance, den Kampf zu gewinnen“, zitiert der israelische Staatspräsident Izchak Herzog die Überlebende Cywia Lubetkin, die später nach Israel emigrierte. „Und doch sind sie die Sieger – nicht im physischen Sinne, sondern im moralischen“, sagt Herzog. Zudem seien sie nicht allein gewesen – es habe überall in Polen Gerechte unter den Völkern gegeben, die den verfolgten Juden geholfen hätten. Wenige zwar, aber diese wenigen seien ebenfalls große Helden. Ihnen gebühre der Dank Israels.

Minutiös geplant

Auch Frank-Walter Steinmeier zitiert zunächst eine Stimme aus dem Warschauer Getto: „Zeit gezunt chaveyrim un freind, zei gezunt yiddish folk, derlozt nisht mer zu azelche churboynes.“ – „Lebt wohl, Freunde. Lebe wohl, jüdisches Volk. Lasst nie wieder eine solche Katastrophe zu.“

Diese Worte schrieb Gela Seksztajn auf, eine jüdische Malerin, bevor sie und ihre kleine Tochter Margalit nach Treblinka deportiert wurden. Steinmeier zitiert viele weitere Zeugen und Zeuginnen aus dem Getto, bevor er den zentralen Satz sagt: „Ich stehe heute vor Ihnen und bitte um Vergebung für die Verbrechen, die Deutsche hier begangen haben.“

Deutsche hätten das „Menschheitsverbrechen der Shoah minutiös geplant und durchgeführt“. Deutsche hätten „Europas Jüdinnen und Juden, die Jüdinnen und Juden Warschaus mit aller Grausamkeit und Unmenschlichkeit verfolgt, versklavt und ermordet“.

Dass es zwischen Polen, Israel und Deutschland Versöhnung gebe, die wiederum eine Freundschaft zwischen diesen Ländern habe entstehen lassen – sei „wahrlich ein Wunderwerk!“, so Steinmeier.

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9 Kommentare

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  • Man kann diese Taten nicht vergeben, man kann auch nicht bitten, dass es je eine Verzeihung dafür geben wird.



    Insofern liegt Steinmeier völlig falsch.

    Man kann nur bitten, es der heutigen Generation nicht anzulasten, was viele unsere Ureltern an Grauen begangen oder unterstützt haben.



    Und man kann versprechen, alles dagegen zu tun, dass dies nie wieder vorkommen wird.



    Leider zweifle ich daran, wenn ich "Höcke, Reichsbürger, Pegida,.." höre daran, ob letzteres genügend ernst genommen wird.

  • Steinmeier bittet um Vergebung und ich kann nur den Kopf schütteln.



    Wie kann man im Angesicht der von deutschen begangenen Verbrechen dieses Wort überhaupt in den Mund nehmen?



    Kein vergeben, kein vergessen.

    • @Piratenpunk:

      Vergebung - wie auch Gnade - ist nichts, was man einseitig beanspruchen kann. Darum zu bitten, ist aber nicht falsch (und nur menschlich), denn es lässt dem Angesprochenen jede Freiheit, das zu tun oder zu lassen. Und: Wer um Vergebung bittet, stellt klar, dass er nicht in der Anmaßung lebt, ihm sei schon vergeben.

      Und wer vergibt, tut das aus freien Stücken. Da würde ich mir auch nicht anmaßen reinzureden. Ich habe jüdische Flüchtlinge und sogar Ausschwitz-Überlebende kennengelernt, die "Deutschland" längst verziehen haben, weil sie einfach nichts davon halten, das Land für die Sünden bestimmter Verbrecher oder die Lebnden für die Verbrechen der Toten zu geißeln. Nochmal: Das ist DEREN Entscheidung, und es steht niemand anderem zu, sie besserwissend vorwegzunehmen - sorum wie andersrum.

      Von "Vergessen" redet, glaube ich, außer dem AfD-"Flügel" (und Ihnen, wenn man's genau nimmt) niemand.

  • Das sind die richtigen Worte.



    An dieser Stelle jiddische Zitate auszusprechen ist gut.



    Es verdeutlicht, was und wen wir Alles verloren haben.

  • Wer das Leiden und die Verzweiflung der Juden verstehen will, sollte den sehr guten Artikel über Szmuel Zygielbojm lesen.



    taz.de/80-Jahre-Au...r-Ghetto/!5925987/

    Es gibt nicht nur Täter und Opfer, es gibt Duldung, Stillschweigen, vielleicht sogar Billigung, nicht nur in Deutschland, auch in den besetzte Ländern, auch bei den Alliierten.

    Differenzierung wäre gut, es waren auch in Deutschland nicht alle Täter, es gab auch hier, wie in anderen Ländern Menschen, die sich widersetzten, die Menschen vor dem Tod retteten. Und es gab auch Deutsche unter den Opfern, den auch deutsche Juden sind und waren Deutsche in ihrem Selbstverständnis.

    Das pauschalisierte Schuldbekenntnis dient nur den Nutznießern und Tätern. Es würde der offiziellen Seite guttun, weniger von Versöhnung und Vergebung zu sprechen, den das sind nur Akte, die nur von den Betroffenen ausgehen können.

    Von den späteren Generationen ist Wahrhaftigkeit gefragt und auch ein Verzicht auf die Instrumentalisierung der Opfer.

    • @Octarine:

      👍👍

    • @Octarine:

      ...und wir sollten uns auch immer vergegenwärtigen, es waren Regierende - die die Menschen im drittem Reich ins Verderben " regiert " haben. Es wurden Gesetze erlassen, Befehle gegeben, die es der Bevölkerung schwer machten sich dem Regime zu widersetzen und Widerstand zu leisten.

      • @Alex_der_Wunderer:

        Wunderersame Behauptung, die Sie hier aufstellen. Hat meines Wissens bei den Nürnberger Prozessen auch nicht als Entschuldigung gegolten ...

        • @Christian Lange:

          Respekt gegenüber den Opfern.



          Für die Zukunft, jeglicher Art von Rassismus und Ausgrenzung entschieden entgegentreten, dies sind die Lehren, die wir aus unserer Geschichte ziehen müssen.



          Im Hinterkopf behalten, wie manipulativ Menschen sind - also immer Hinterfragen, was für Informationen uns jeden Tag auf's neue und immer wieder erreichen.