Besserer ÖPNV auf dem Land: Mit Rufbussen angebunden statt abgehängt
Auf dem Land geht nichts ohne Auto? Doch! Jede dritte Nahverkehrsgesellschaft in Deutschland bietet flexible Kleinbusse an, die nach Bedarf fahren.
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„Es stimmt nicht mehr, dass die Leute hier abgehängt sind“, sagt Tim Jurrmann, der beim Kreisentwicklungsamt des Landkreises Oder-Spree arbeitet. Dieser organisiert und bezahlt den modernen Beförderungsdienst. Ähnliche Angebote gibt es mittlerweile bundesweit bei einem Drittel der Unternehmen des öffentlichen Nahverkehrs. Die Klage, man sei auf dem Land abgeschnitten, spiegelt in vielen Fällen vielleicht eher ein Gefühl wider als die Realität.
Seit Jahresanfang sei der Dalli noch attraktiver, sagt Jurrmann. Donnerstags, freitags und samstags fahren die elektrischen Mini-Vans nun bis 0.30 Uhr in der Nacht. Wer am Wochenende die Oper in Berlin besucht oder einen Kneipenabend mit Freunden in der Großstadt verbringt, kann sich noch spät vom Bahnhof in der Kleinstadt Storkow abholen und in die Nähe der Wohnung bringen lassen. An den anderen Tagen fahren die Kleinbusse zwischen 6.00 oder 8.00 Uhr und 22.00 Uhr. Neben Storkow und Bad Saarow mit seiner Therme bedient der Service mehrere Gemeinden rund um den Scharmützelsee.
Die Dalli-Busse sind dafür gedacht, die Bürger von deren Wohnort bis zur nächsten Bus- oder Bahnlinie zu bringen. Sie fahren die „erste und letzte Meile“, wie die Fachleute sagen. Es handelt sich um einen „Linienbedarfsverkehr“: Die Fahrerinnen und Fahrer steuern hunderte Haltestellen an – wenn sie jemand anfordert. Im Unterschied zu Taxis werden bis zu fünf Personen gemeinsam transportiert, die auch unabhängig voneinander buchen können. Die Kleinbusse kommen nur, wenn sie gerufen werden. Reservieren kann man die Plätze per Telefon, Smartphone oder in der Dalli-Zentrale. In der Regel finden sich die Haltestellen maximal 200 Meter von bebauten Gebieten entfernt.
Ersetzt den Zweitwagen
Pro Woche werden durchschnittlich tausend Transporte abgewickelt. Ein Fünftel der Fahrten hätten sonst nicht stattgefunden, sagten die Nutzer in einer Auswertung, sie wären sonst zu Hause geblieben. Es handelt sich somit um einen Zugewinn an Bewegungsfreiheit, der beispielsweise Arztbesuche ermöglicht, die andernfalls unterblieben. „Ein Quantensprung der Mobilität“, sagt Jurrmann. Und jede zweite Dalli-Fahrt ersetzt eine Tour mit privaten Pkws. „Die Leute überlegen, ob sie ihren Zweitwagen noch brauchen.“
Im nordöstlichen Bayern ergänzt der Hofer Landbus ebenfalls die Linien des traditionellen Nahverkehrs. 2024 wurde das Netz stark ausgedehnt, berichtet Andreas Weinrich, Geschäftsführer der Logistik Agentur Oberfranken. Mittlerweile werden 1.450 Haltestellen im Umkreis der Stadt Hof angesteuert. Eine Fahrt kostet dort pauschal drei Euro.
Im Norden rollen im Gebiet des Hamburger Verkehrsverbundes über 75 unterschiedliche Bedarfsverkehre. Hinzu kommt Moia, eine private Tochter des VW-Konzerns, die Sammel-Ruftaxis anbietet. Südlich von Frankfurt am Main versorgen die Fahrzeuge der Kreisverkehrsgesellschaft Offenbach einige hessische Gemeinden. Ähnliches funktioniert in zahlreichen weiteren Städten und Landkreisen.
93 Angebote bundesweit
In einer Übersicht kam die Beratungsfirma rms Anfang vergangenen Jahres auf 93 Angebote bundesweit. Setzt man diese Zahl ins Verhältnis zu den etwa 280 kommunalen Nahverkehrsgesellschaften, die Mitglieder im Verband Deutscher Verkehrsunternehmen sind, ergibt sich eine bundesweite Abdeckung von etwa einem Drittel.
Mit Rufbussen experimentieren Gemeinden seit 40 Jahren. In der vergangenen Dekade allerdings hat die Technik einen Sprung gemacht. Smartphone-Apps, die Nutzer und Busse lokalisieren, ermöglichen es, die Fahrzeuge zum genau richtigen Zeitpunkt an den gewünschten Ort zu bestellen. Das sei einer der Gründe für die bundesweite Verbreitung der Bedarfsverkehre, sagt Frank Hunsicker von der Beratungsfirma Nuts One in Berlin. Hinzu kam die Reform des Personenbeförderungsgesetzes unter der letzten Regierung Angela Merkels, die unter anderem neue digitalbasierte Mobilitätsdienste ermöglichte.
Risiko Finanzierung
Allerdings stellen sich auch Finanzierungsfragen. Die neuen Angebote erwirtschaften bislang nur etwa 15 bis 20 Prozent ihrer Einnahmen selbst mittels des Ticketverkaufs. Vier Fünftel der notwendigen Mittel stammen aus Zuschüssen unterschiedlicher staatlicher Kassen. Bei den traditionellen Liniendiensten liegt die Kostendeckung dagegen bei durchschnittlich 30 Prozent. Ein Grund dafür ist dort die hohe Auslastung vielbefahrener Strecken.
In dieser Situation machen sich nun die teilweise gestiegenen Energiepreise, die wirtschaftliche Stagnation und die auch dadurch verursachte Knappheit der Staatsfinanzen bemerkbar. Laut der rms-Übersicht ist bei 90 Prozent der Projekte unklar, ob und wie sie mittelfristig fortgeführt werden. Es hängt vom Geld ab. Bei manchen wirkt sich im Übrigen auch ein Mangel an Fahrern und Fahrerinnen aus. Autonomes Fahren könnte da künftig eine Lösung sein, aber in größerem Maßstab praxistauglich ist das noch nicht.
Der Dalli am Scharmützelsee hat glücklicherweise keine Probleme, Leute mit Führerschein zu finden, die die Busse steuern wollen. Und er sei bis Mitte 2026 gesichert, sagt Tim Jurrmann, bis dahin müsse man jedoch alles neu ausgeschrieben haben. Gut sieht es vorläufig auch beim Hofer Landbus aus, wie Andreas Weinrich erklärt – vor allem, weil das Bundesland Bayern den Betrieb für drei bis vier Jahre finanziell abgesichert hat.
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