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Beschlagnahme der HabersaathstraßeBesetzer machen Politik

Erik Peter
Kommentar von Erik Peter

Ohne renitente Mieter und Besetzer wäre die Habersaathstraße wohl längst abgerissen. Ihr Druck zwingt die Politik zum Handeln.

Wohnraum für alle! Foto: M. Golejewski/AdoraPress

D er Bezirk Mitte beschlagnahmt mindestens 30 seit Jahren leer stehende, aber bezugsfertige Wohnungen und stellt sie wenigstens vorübergehend Wohnungslosen zur Verfügung. Moralisch ist das richtig, denn es ist nicht einzusehen, wieso Menschen auf der Straße oder in wenig komfortablen und unter Coronabedingungen problematischen Notunterkünften schlafen sollten, wenn anderswo Wohnraum ungenutzt zur Verfügung steht. Auch rechtlich ist es folgerichtig: Spekulativer Leerstand ist in Berlin verboten.

Dass man sich dennoch verwundert die Augen reibt, liegt am meist wenig entschiedenen Vorgehen der Politik gegen Eigentümer. Dass dieses Wegducken im Fall der Habersaathstraße ein Ende hat, ist dabei dem Druck der Initiative Leerstand-hab-ich-Saath zu verdanken. Ein Jahr nach einem ersten Besetzungsversuch und wenige Tage nach einem daraus resultierenden Gerichtsprozess haben die Aktivist:innen, darunter viele Wohnungslose, das Haus ein zweites Mal besetzt – was für eine Chuzpe. Belohnt wurden sie, weil auch der Bezirksbürgermeister erkannte, dass eine polizeiliche Räumung ein Armutszeugnis wäre.

Die Pläne des Eigentümers, das intakte Haus abzureißen und durch einen Neubau seinen Profit in die Höhe zu treiben, sind eine Anmaßung. Dass er damit bislang nicht durchgekommen ist, ist den verbliebenen renitenten Mie­te­r:in­nen und der Initiative zu verdanken. Ihr hartnäckiger Kampf hat den Bezirk erst dazu getrieben, sich gerichtlich gegen die Abrisspläne zur Wehr zu setzen; unterstützt mit Geld vom Senat. Ohne ihren Druck wäre es wohl gelaufen wie am Hackeschen Markt. Dort konnte ein Eigentümer ein erst 20 Jahre altes Gebäude, in dem sich eine Seniorenunterkunft befand, abreißen lassen. Seit Anfang des Monats beherbergt der Neubau einen Apple-Flagshipstore.

Weil nicht an jeder Stelle der Stadt Menschen ihre Lebenszeit gegen diesen spekulativen Wahnsinn einsetzen können, muss die Politik lernen. Abriss von intaktem Wohnraum ist zu untersagen und auch gerichtlich durchzukämpfen. Leerstand gehört konsequent bestraft, Bußgelder von bis zu 500.000 Euro sind möglich. Dass auch eine Beschlagnahme ein Mittel ist, wissen wir jetzt. Danke dafür.

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Erik Peter
Politik | Berlin
Redakteur für parlamentarische und außerparlamentarische Politik in Berlin, für Krawall und Remmidemmi. Schreibt über soziale Bewegungen, Innenpolitik, Stadtentwicklung und alles, was sonst polarisiert. War zu hören im Podcast "Lokalrunde".
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3 Kommentare

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  • Jemand aus der linken Ecke Mitleid mit den hochgelobten, verbliebenen Bewohnern des Hauses?

    Für die verbliebenen Mieter werden das sicherlich keine schönen Weihnachten.

    • Jonas Wahmkow , Autor ,
      @Walker:

      Die verbliebenen Mieter unterstützen die Besetzung ausdrücklich.

  • 4G
    47202 (Profil gelöscht)

    In der Wohnungspolitik genügt es nicht, nur an einer Schraube zu drehen. Eine (!) Möglichkeit wäre, den Zuzug temporär zu begrenzen. Für Mieter einer Wohnung braucht es Kitas, Ärzte, Jobs, Transport, funktionierende Bürgerämter etc.



    Es hängt also ein ganzer Rattenschwanz daran, an jedem einzelnen Mieter.



    Warum wartet man wohl Wochen, bis man einen Arzttermin bekommt? Je mehr Leute, um so länger die Wartezeiten. Auch an der kassenärztlichen Zulassung muss sich was ändern, zu Gunsten der Bürger natürlich.

    Wie gesagt - es gibt mehrere Schrauben zu drehen. DW und Vonovia und all die anderen Spekulanten (z.B. aus Schweden) sollten dauerhaft ausgesperrt werden.



    Für die Verwaltung von Wohnungen braucht es keine milliardenschweren Bankster!



    Keine Leute? Kein Problem. In einem 4-wöchigen Schnellkurs kann man es Leuten,z.B. Arbeitslosen, beibringen, wie sie ein Mietshaus verwalten und um was sie sich aktiv kümmern müssen.



    Das wäre viel, viel besser, als sich für einen profitgeilen Sklavenhändler aufs Fahrrad zu setzen, um ein paar faulen Säcken die fettige Pizza nach Hause zu liefern.



    Verwaltungen der Mietshäuser im Kiez - z.B. 20 Häuser = eine Einheit. Das fördert auch den Zusammenhalt und die Zugehörigkeit im Kiez. Oma Krause wüsste genau, wo sie anrufen müsste, wenn der Wasserhahn mal tropft.

    Keine Handwerker? Es gibt sicher viele Asylanten und Geduldete, die handwerklich gut drauf sind. Nur die Juristenfuzzies, die alles in Frage stellen, sollten sich hier erstmal zurückhalten. In Deutschland muss ja alles rechtlich abgesichert sein, um dann doch vom Oberverwaltungsgericht wieder gekippt zu werden. Was sind das für "Fachleute"?



    Sowas dem Senat allein zu überlassen ist illusorisch und zum Scheitern verurteilt - sieht man ja schon allein am Beispiel der Bürgerämter. Der Senat sollte aber für solche Initiativen Geld bereitstellen. Letztlich zahlen die Leute ja dann auch Steuern.

    So ein Modell wäre auch für andere Branchen als in der Wohnungswirtschaft denkbar!