Obdachlosenprojekt Habersaathstraße: Die zaghafte Politik rächt sich

Der Eigentümer der Häuser in der Habersaathstraße will 56 Obdachlose rauswerfen – und der Bezirk Mitte meint, dagegen machtlos zu sein.

Abreißen, neu bauen, teurer vermieten: Kann die Politik diesem Geschäftsmodell nichts entgegnen? Foto: dpa

Das war zu erwarten gewesen: Der Bezirk Mitte hat den Kampf um die Habersaathstraße offensichtlich aufgegeben. Es sehe „leider“ nicht danach aus, „dass wir eine längere Duldung der obdachlosen Menschen hinbekommen“, erklärte Bürgermeister Stephan von Dassel (Grüne) am Mittwoch. Einen Tag zuvor hatte der Eigentümer der Häuser Nummer 40 bis 47 den 56 ehemaligen Obdachlosen erneut mitgeteilt, dass sie ausziehen müssten.

Diese zaghafte Haltung des Bezirks gegenüber einem Eigentümer, der nur seinen eigenen Gewinnmaximierungsinteressen folgt, zieht sich bedauerlicher Weise durch die ganze Geschichte.

Seit Jahren lässt die Arcadia Estate GmbH die Gebäude leer stehen, bis auf 9 Altmiet-Parteien sind inzwischen alle ausgezogen: Man möchte gerne abreißen und teuer neu bauen. Gegen den spekulativen Leerstand unternahm die Politik trotz Protesten von Bür­ge­r*in­nen lange nichts; im Winter besetzen dann 56 Wohnungslose mit Hilfe der Initiative „Leerstand-hab-ich-Saath“ einen Teil der Wohnungen.

Der Bezirk, schon damals im Ruf, zu zaghaft mit Arcadia umzugehen, erreichte in Verhandlungen immerhin, dass die Leute „vorerst“ bleiben dürfen – sogar 3,50 Euro pro Quadratmeter „Kostenerstattung“ sagte der Bezirk dem Eigentümer dafür zu. Der „bedankte“ sich im April mit dem 1. Rauswurfschreiben: Statt „Winterhilfe“ für die Obdachlosen wolle man nun lieber Ukraine-Flüchtlinge unterbringen.

Die Habersaathstraße ist längst zum Symbol geworden für den Kampf gegen Investoren, denen das Allgemeinwohl nichts und ihre Börse alles bedeutet.

Dahinter stand offensichtlich die Idee, dass man mit Flüchtlingen mehr Kasse machen kann. Für sie zahlen – je nach dem – Bezirke oder das Land bis zu 25 Euro pro Person pro Tag. Daraus wurde zwar nichts; der Bezirk pfiff Arcadia zurück mit der Drohung, wenn die Leute rausfliegen, werde das nichts mit der Einigung über den Abriss. Einen Monat später beim 2. Rauswurfschreiben sieht sich der Bezirk jedoch nicht mehr in der Lage, für die Be­woh­ne­r*in­nen einzustehen.

Für die weitere Unterbringung sei „das Entgegenkommen des Eigentümers Voraussetzung“, heißt es nun aus dem Bezirksamt. Die Frage ist: Warum eigentlich?

Nicht vorzeitig einknicken

Denn eigentlich hat der Bezirk ja ein gutes Faustpfand in der Hand: Seit Jahren verstößt die Arcadia Estate GmbH mit dem bewussten Leerstand eines Großteil der Gebäude gegen das Zweckentfremdungsverbot und müsste dafür nach Berechnungen der Initiative eigentlich 42 Millionen Euro Strafgelder zahlen. Und selbst wenn man deren Eintreibung für unrealistisch hält, braucht der Eigentümer eine Genehmigung für den Abriss, wenn er dort neu bauen will. Wenn er nicht zusagen will, dass die neuen Wohnungen für durchschnittlich verdienende Menschen erschwinglich sein werden, muss der Bezirk diesen Abriss auch nicht genehmigen.

Doch offensichtlich hat man Befürchtungen, dass eine solche Verweigerung vor Gericht nicht stand hält – und sucht lieber eine Verhandlungslösung. Doch diese Angst vor der eigenen Courage ist falsch: Wenn man am politischen Ziel des Zweckentfremdungsverbots festhält, den Abriss von Wohnraum zu spekulativen Zwecken zu verhindern, dann sollte man dieses Ziel auch konsequent verfolgen und vor Gericht dafür einstehen.

Notfalls muss das Gesetz eben nachgebessert werden, damit es gerichtsfest wird. Aber vorzeitiges Einknicken, wie es der Bezirk gegenüber Arcadia getan hat, als er die Abrissgenehmigung für 30 Prozent der Wohnungen im „bezahlbaren“ Segment anbot, nützt niemandem – außer dem Investor.

Allerdings sind die Bezirke mit ihren arg begrenzten Ressourcen womöglich damit überfordert, sich solchen Kapitalinteressen entgegen zu stellen. Und es ist ja vor allem der Senat, der sich die Abschaffung der Obdachlosigkeit bis 2030 und eine progressive Wohnungspolitik auf die Fahnen geschrieben hat. Warum übernimmt also die Landesregierung nicht einfach, so wie sie es auch bei anderen Themenbereichen macht, wenn sie von stadtweitem Interesse sind?

Denn so viel kann man wohl festhalten: Die Habersaathstraße ist längst zum Symbol geworden für den Kampf gegen Investoren, denen das Allgemeinwohl nichts und ihre Börse alles bedeutet. Wenn die Politik hier vorzeitig aufgibt, ist das kein gutes Zeichen.

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