Beschädigte Ostseepipeline: Anker-Theorie verfestigt sich

Sabotage an der Balticconnector-Pipeline schließen die Behörden weiterhin nicht aus. Möglich sei aber auch, dass ein Anker die Leitung aufgerissen hat.

Schiff der finnischen Küstenwache in stürmischer See.

Schiff der finnischen Küstenwache bei Untersuchungen zum Leck der Pipeline am 11. Oktober Foto: Finnish Border Guard/reuters

STOCKHOLM taz | Eine Explosion will man in Finnland und Estland zwar nach wie vor nicht ausschließen, aber die Schäden an der Gaspipeline Balticconnector und einem Unterwasser-Datenkabel zwischen Finnland und Estland seien „offenbar von einer mechanischen Kraft verursacht worden, nicht von einer Explosion“, erklärte Kriminaloberkommissar Risto Lohi von der in dieser Sache ermittelnden finnischen nationalen Polizeibehörde auf einer Pressekonferenz. Derzeit analysiere man den Schiffsverkehr in der fraglichen Nacht zum Sonntag.

War es ein Schiffsanker? Und wenn ja, dann absichtlich oder unabsichtlich? Darauf konzentrieren sich die Spekulationen, seitdem der estnische Marineoberbefehlshaber Jüri Saksa am Dienstag das – nach wie vor nicht veröffentlichte – Bild- und Videomaterial analysiert hatte.

Das an der fraglichen Stelle in einer Tiefe von 60 bis 70 Metern liegende und nicht gänzlich bedeckte Pipelinerohr mit einem Durchmesser von 50 Zentimetern sei ebenso wie die es schützende Betonhülle an der Seite beschädigt und aus der Rinne, in der es gelegen habe verschoben worden: „Es ist vergleichsweise so, als wenn man mit dem Fuß an einem Gartenschlauch hängen bleibt und den ein Stück mit sich schleppt.“

Also könnte – theoretisch – der Anker eines großen Schiffes über den Meeresboden geschleift sein. Der Anker könnte dabei mit Wucht auf das Rohr geprallt sein – und es mitgerissen haben. Ein solcher Ablauf könnte auch erklären, warum etwa gleichzeitig ein unweit von der Pipeline entfernt liegendes Datenkabel durch äußere Krafteinwirkung beschädigt wurde.

Anker könnte ins Rohr eingeschlagen sein

Analysen der seismologischen Institute der nordischen Länder und Estlands halten es für möglich, dass schwache Vibrationen zum Zeitpunkt des Druckabfalls in der Pipeline damit erklärt werden könnten, dass ein Anker in das Rohr einschlug und dadurch plötzlich Gas unter hohem Druck aus dem entstandenen Leck entwich. Jukka Savolainen, Abteilungsleiter beim von der EU und der NATO eingerichtetem „Europäischem Kompetenzzentrum für die Bekämpfung Hybrider Bedrohungen“ erklärte im finnischen Fernsehen YLE: „Wenn sich die Pipeline bewegt hat und auf einer Seite beschädigt ist, kann es sich durchaus um ein großes Schiff handeln, das vor Anker liegt und in den stürmischen Winden abdriftet.“

Stürmisch war es in der fraglichen Nacht. Wegen starkem Wind und zeitweisen Orkanböen mussten auch einige Ostseefähren ihren Betrieb einstellen. In der finnischen Bucht im Bereich der beschädigten Pipeline kreuzten nach einer Analyse von YLE mindestens vier Tanker und ein Frachtschiff, um vor ihrer Weiterfahrt in die offene Ostsee ein Abflauen des Windes abzuwarten.

Unklar ist, ob einige von diesen zeitweise vor Anker gegangen waren. Nach Ansicht von Schifffahrtsexperten könnte es zu einem von einem Anker verursachten Schaden kommen, wenn ein vor Anker liegendes Schiff aufgrund starken Windes ins Treiben gerät. Sollte tatsächlich ein Schiffsanker den Schaden verursacht haben, wäre es schwer, einen eventuellen Vorsatz nachzuweisen.

Reparatur dauert mindestens fünf Monate

Wolle man darüber spekulieren, welches mögliche Interesse Russland an einem Sabotageakt haben könnte, sehe er theoretisch drei Motive, erklärte Savolainen der Tageszeitung „Helsingin Sanomat“: Ein Ablenkungsmanöver der Ukraine, ein Test, wie man entsprechende Leitungen beschädigen könne oder ein Protest gegen Finnlands NATO-Mitgliedschaft und das Signal, dass das Land damit nicht sicherer geworden sei.

Der staatliche finnische Pipelinebetreiber Gasgrid schätzt, dass die Reparatur von Balticconnector mindestens fünf Monate in Anspruch nehmen wird. Sie könne damit vermutlich nicht vor April 2024 wieder in Betrieb genommen werden.

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