Berlinwahl, Pazifisten und Politmänner: So geht dysfunktional

Die Berliner CDU verhandelt mit SPD und Grünen, Sarah Wagenknecht und Alice Schwarzer schreiben ein Manifest. Und was läuft so bei der Berlinale?

Ein abgerissenes Wahlplakat der CDU mit dem Portrait von Kai Wegner

Reste eines CDU-Wahlplakats in Berlin Foto: serienlicht/imago

taz: Herr Küppersbusch, was war schlecht vergangene Woche?

Friedrich Küppersbusch: Viel Kritik an Vermittlungsinitiativen von China, Brasilien, Türkei.

Und was wird besser in dieser?

Vielleicht versucht’s der Mars.

Nach der Berlinwahl ist vor den Sondierungsgesprächen. Die CDU fühlt einen Re­gierungsauftrag und lädt SPD und Grüne zu Verhandlungen ein. Was wird dabei rauskommen?

Schwere Sachbeschädigung. Schwarz-Rot oder Schwarz-Grün würden die Koalitionsaussagen von vor der Wahl demolieren; Rot-Grün-Rot den offenkundigen Wunsch nach Veränderung. Würde Franziska Giffey weiterregieren, verhöhnte sie das desaströse SPD-Ergebnis. Tut sie’s nicht, steht R2G mit gelogener Spitzenkandidatur da. Völker der Welt, haut auf diese Stadt: Ihr trefft immer die Richtigen. Ohne Beule am Kotflügel kommt aus der Nummer gar keiner mehr raus. Setzt Kai Wegner seinen Regierungsanspruch durch, applaudiert huldvoll die AfD in Sachsen. Da haben die Wählenden der Stadt doch mal gezeigt, wie dysfunktional geht.

Am mythenverhangenen Kottbusser Tor in Kreuzberg eröffnet eine Polizeiwache, glücklich wirkt niemand damit. Der Kiez hat keine Lust auf Cops, nur wenige Cops hatten Lust auf den Kiez. Wie sicher fühlen Sie sich am „Kotti“?

Bei meinem Abi-Ausflug rauschte unser Touribus mit Ansage über den Kottbusser-Tor-Platz, damit wir Provinzkinder uns auch mal gruseln können. 1980. Das ist Berliner Tempo. Wenige Plätze in Deutschland eignen sich dazu, eine neue Polizeiwache zum Politikum gären zu lassen. Einzäunen und Eintrittskarten verkaufen wäre eine Alternative.

Innerhalb eines Monats treten Jacinda Ardern in Neuseeland und Nicola Sturgeon in Schottland als Premierministerinnen zurück. Wie groß ist dieser Verlust von Frauen in Führungspositionen?

Heftig. Gute Politikerinnen und Politiker – so wünscht man – mögen mit dem Menschen, den sie bewohnen, im Gespräch bleiben. Das scheinen Ardern, Sturgeon, auch Merkel zu erfüllen: einfach mal merken, wann es reicht. Männer regieren gern durch bis in ein Stadium, in dem jedermann sieht: Da ist keiner mehr zu Hause. Das mag mit verbrauchten Geschlechterrollen zu tun haben: Tapferkeit, Kampfesmut, Ehrgeiz. Und wäre im Grunde also biologisch abbaubar. Dass es einen selbstbestimmten Abgang gibt, mag Einladung sein, selbstbestimmt einzusteigen.

An sieben deutschen Flughäfen wurde am Freitag gestreikt, die Landebahnen blieben leer. Sind Flugbeamte am Ende die effektiveren Kli­ma­aktivist*innen?

Knapp hinter der Coronapolitik, die der Videokonferenz zum Durchbruch verhalf. Auch der Dortmunder Flughafen wurde bestreikt, viele erfuhren so von seiner Existenz. Alle 19 Flüge fielen aus, was die Bonusfrage aufwirft: Haben wir wirklich für 19 Flüge am Tag einen Flughafen? Danke, Verdi.

Sarah Wagenknecht und Alice Schwarzer veröffent­lichten das Manifest des Friedens. Nächste Woche wird demonstriert, Nazis sind auch willkommen, solange sie „ehrlichen Herzens für Frieden und für Verhandlungen“ eintreten. Ist das Pazifismus, Querfront oder einfach neues Deutschland?

Das ist ein interessanter Aspekt – wie die Frage, ob genug Dixi-Klos bereitstehen werden oder mit Regen zu rechnen ist. Schwarzers Lager hat aufgerüstet, von Reinhard Mey über Günter Verheugen und Peter Gauweiler bis Martin Sonneborn unterzeichnen erfrischend irrlichternde wie erstaunlich integre Persönlichkeiten. Mit jedem wohlklingenden Namen wird es schwieriger, die „Verhandler“ zu marginalisieren oder geradeaus rufmörderisch zu verkroneschmalzen. Auf der anderen Seite wird schon propagandistischer Volkssturm an die Front gerollt: Broder, Steingart, Davies erledigen das schmutzige Geschäft, etwa Jürgen Habermas’ Text als „Schnodder“, die beiden Golden Girls als Putins Deppen abzusauen und jedenfalls immer direkt ad personam zu erbrechen – was Habermas als überschüssigen Beweis eines „bellizistischen Tenors einer geballten veröffentlichten Meinung“ nehmen könnte. Aus der höhnenden Verachtung der ­Appellanten dröhnt Arroganz, die an sich selbst zu Fall kommt. Wie wäre es mal mit Argumenten? Man kann zum Beispiel auch die taz beschreiben, ­indem man aus ihren entglittensten Leserbriefen zitiert. Irgendein Nazi wird sich schon finden.

Endlich wieder Berlinale, endlich wieder roter Teppich in Berlin. Gehen Sie noch ins Kino, oder gibt es eher Netflix & Chill?

Ich binge gern in guter Gesellschaft zwei, drei Folgen hintereinanderweg, entrolle dazu eine Großbildleinwand und erwäge die Anschaffung eines Duftbäumchens „vergorenes Popcorn“. Dann hab ich ultimatives Multiplex-Feeling. Für sehr entlegene seltene Filme gehe ich ins Kino; wenn’s langweilig wird, kann ich im Kopf die Überlebenschance des Kinos berechnen.

Und was machen die Borussen?

Stauen bis zu 390.000 Junkies in der Warteschlange für das „Sondertrikot Kohle & Stahl“. Ist ein bisschen albern, ja, aber RB Leipzig müsste dagegen „Dose & Geld“ auflegen, da ist das BVB-Schnäppchen wieder sehr in Ordnung.

Fragen: Anton Kämpf

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Jahrgang: gut. Deutscher Journalist, Autor und Fernsehproduzent. Seit 2003 schreibt Friedrich Küppersbusch die wöchentliche Interview-Kolumne der taz „Wie geht es uns, Herr Küppersbusch?".

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