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Berlins neue Schulsenatorin Busse (SPD)„Ich soll etwas bewegen“

Das Aussetzen der Präsenzpflicht sei richtig gewesen, sagt Astrid-Sabine Busse – und erzählt, warum sie den Senatorinnen-Job nicht ablehnen konnte.

Astrid-Sabine Busse (SPD) ist seit Dezember Berlins neue Bildungssenatorin Foto: Doro Zinn
Anna Klöpper
Bert Schulz
Interview von Anna Klöpper und Bert Schulz

taz: Frau Busse, am heutigen Montag enden die Winterferien, die Präsenzpflicht ist ausgesetzt. Würden Sie Ihr schulpflichtiges Kind oder Enkelkind in die Schule schicken?

Astrid-Sabine Busse: Selbstverständlich. Ich persönlich hätte ein Kind auch keinen Tag rausgenommen aus der Schule.

Das sagen Sie ohne zu zögern.

Es laufen ja sehr viele Infektionsschutzmaßnahmen in den Schulen. Und obwohl die Inzidenzen sehr hoch sind, gibt es bei den Kindern kaum schwere Krankheitsverläufe. Ich war bis Dezember noch live dabei als Schulleiterin: Da hatten die meisten Kinder, die positiv getestet wurden, überhaupt keine Symptome. Dazu kommt: Schule ist einfach der beste Lernort für ein Kind – dort hat es den Kontakt zur Lehrkraft, zu den Erzieherinnen und Erziehern, zu den Mitschülerinnen und Mitschülern. Also ja, ich würde mein Kind schicken.

Im Interview: Astrid-Sabine Busse

Astrid-Sabine Busse leitete, nach Stationen als Lehrerin an einer Grundschule in Marienfelde und einer Förderschule, fast 30 Jahre lang die Grundschule in der Köllnischen Heide. Die 64-jährige gebürtige Berlinerin sprach außerdem von 2015-21 für den Interessenverband Berliner Schulleitungen. Seit Dezember ist sie Berlins neue Bildungssenatorin und zuständig für die Bereiche Schule, Jugend und Familie, einschließlich Kita. SPD-Mitglied ist sie ebenfalls seit Dezember.

Wenn Ihre Position da so klar ist – warum haben Sie die Präsenzpflicht überhaupt aufgehoben?

Weil zum einen die Winterferien vor der Tür standen und zum anderen die Infektionszahlen stark angestiegen sind. In den Winterferien wären wir nicht so handlungsfähig gewesen. Wenn die Zahlen über die Ferien jetzt stark steigen sollten, dann hätte man gesagt: Warum haben Sie nicht gehandelt? Und zudem haben uns die Amtsärzte der Bezirke ein Stück weit im Stich gelassen, indem sie die Quarantänenachverfolgung in den Schulen ausgesetzt und vor allem unklar kommuniziert haben.

Das hat Sie geärgert?

Geärgert ist ein großes Wort. Es war wie immer in der Pandemie: Da ist etwas Neues passiert, und wir mussten abwägen. Mir war aber auch klar, dass nur sehr, sehr wenige Eltern von der Aussetzung der Präsenzpflicht Gebrauch machen werden. Die Zahlen liegen im niedrigen einstelligen Prozentbereich.

Also war das Aussetzen der Präsenzpflicht eine Symbolhandlung?

Nein. Die Eltern können sich das Recht nehmen, ihr Kind zu Hause zu lassen – temporär, zum Glück, bis zum 28. Februar. Und dann hoffen wir, dass wir den Peak der Omikron-Welle überstanden haben.

Trotzdem: Infektiologisch macht es keinen großen Unterschied, wenn nur wenige das Aussetzen der Präsenzpflicht in Anspruch nehmen. Warum haben Sie nicht entschieden: Dann halbieren wir die Klassen konsequent und machen Wechselunterricht? Infektiologisch wäre es sinnvoller gewesen, für die Schulen planbarer.

Also, das Wort planbar deckt sich nicht wirklich mit der aktuellen Schulwirklichkeit – auf dem Papier ist das vielleicht so, aber wir haben das doch alles durchgespielt in den Schulen…

Deswegen ja – die Schulen müssten ihre Konzepte vom letzten Frühjahr doch noch in der Schublade haben.

Wir haben eine andere Situation – letztes Jahr hatten wir Delta, jetzt haben wir Omikron. Wechselunterricht wird jetzt teilweise gar nicht mehr möglich sein, weil nicht nur viele Kinder infiziert sind, sondern auch die Pädagoginnen und Pädagogen. Da müssen die Schulen täglich morgens umplanen und Schwerpunkte setzen: Wer bekommt jetzt noch das bestmögliche Unterrichtsangebot? Wechselunterricht ist aktuell oft nicht mehr durchführbar, das ist ein hoher Aufwand. Außerdem kann ich Ihnen sagen: Die Gruppe, die zu Hause war, hat zuweilen wenig gemacht im Wechselunterricht – das habe ich erlebt, als ich letztes Jahr noch als Lehrerin vor einer Klasse stand.

Diese SchülerInnen verlieren Sie aber doch jetzt mit der ausgesetzten Präsenzpflicht auch.

Schule startet ohne Präsenzpflicht

Die Inzidenz in Berlin ist am Wochenende erstmals wieder leicht gesunken und lag am Sonntag bei 1.727,5. Zuvor lag der Wert seit Tagen bei rund 1.800. Bei den SchülerInnen liegen die Inzidenzen allerdings laut Lagebericht der Gesundheitsverwaltung bei über 3.000.

Am Montag enden in Berlin die einwöchigen Winterferien. Damit gilt eine neue Teststrategie an den Schulen: Wird in einer Klasse ein Kind positiv getestet, wird die ganze Lerngruppe – einschließlich der Lehrkraft – fünf Tage lang schnellgetestet („test-to-stay-Prinzip“). Kontaktpersonen werden nicht mehr extra ermittelt; nur noch Infizierte bekommen einen Quarantänebescheid vom Gesundheitsamt. Außerdem sollen am Montag alle SchülerInnen frisch getestet in die Schule kommen – dafür hatten die Schulen vor den Ferien Testkits für zu Hause ausgegeben. In den ersten zwei Wochen wird täglich getestet, danach wieder dreimal wöchentlich. (taz)

Ja, aber die Zahl ist noch marginal. Zudem denke ich, dass nach den Ferien noch weit weniger vom Aussetzen der Präsenzpflicht Gebrauch machen werden. Und wie gesagt, dann hoffe ich, dass auch die Inzidenzen wieder sinken werden.

Dennoch: Können Sie nicht nachvollziehen, dass viele Eltern sich jetzt allein gelassen fühlen mit der Entscheidung, ob sie ihr Kind morgens noch zur Schule schicken?

Wer sind denn „die“ Eltern? Wir haben ungefähr 700.000 Eltern – und da müssen wir auch mal sehen: Wer spricht, wer schreibt? Und dann relativiert sich Vieles.

Dass einige lauter sind als andere, setzt Sie überhaupt nicht unter Druck?

Sie, ich, wir alle müssen viel aushalten. Und ich hoffe auf den März, dass wir dann zurückkehren in die volle Präsenzpflicht.

Der Virologe Christian Drosten sieht die Schulen inzwischen in der Omikron-Welle ganz klar als Pandemiebetreiber.

Herr Drosten – und andere Fachfrauen und -männer – haben auch lange die gegenteilige These vertreten.

Jetzt aber nicht mehr. Ändert das etwas für Sie?

Die Erkenntnislage ändert sich ja quasi jeden Tag, auch die der Expertinnen und Experten. Das muss ich aushalten. Das Problem ist die Schnelligkeit, mit der wir oft Entschlüsse fassen müssen. Aber dem Virus ist das natürlich egal.

Bundesweit haben SchülervertreterInnen unter #wirwerdenlaut ihrem Frust Ausdruck verliehen, dass sie sich von der Politik nicht geschützt fühlen in der Pandemie. Können Sie den Frust nachvollziehen?

Berlin erfüllt ja ganz viele Forderungen der Schülerinnen und Schüler schon. Zum Beispiel bei der Forderung nach Luftfiltergeräten: Da sind wir ganz weit vorne.

Wie ist denn der Stand bei den Luftfiltern – die Zielvorgabe Ihrer Amtsvorgängerin war, dass in jedem Klassenraum ein Lüfter stehen muss. Gilt das noch?

Wir haben jetzt so viel ausgeliefert, dass jeder Klassenraum rechnerisch mit einem Filtergerät ausgestattet werden kann. Konkret: Rund 23.000 Geräte wurden ausgeliefert, 7.000 kommen noch. Aber ich sage auch: Die Luftfiltergeräte sind kein Allheilmittel. Man muss immer noch lüften.

Sie sagen selbst, das Aussetzen der Präsenzpflicht wird kaum in Anspruch genommen, der Wechselunterricht würde die Schulen vor enorme Herausforderungen stellen, die Luftfilter sind nicht das Allheilmittel. Was ist denn das Allheilmittel?

Wenn ich das Allheilmittel wüsste, säße ich hier nicht mit Ihnen auf der Couch.

Maskenpflicht und testen, testen, testen: Schulalltag in der Pandemie Foto: picture alliance/dpa | Peter Kneffel

Wir könnten auch fragen: Was ist Ihre Strategie? Setzen Sie auf die steigende Impfquote, auf das Frühjahr?

Die Impfquote steigt ja leider sehr langsam.

Das ist ja das Problem.

Nehmen Sie zum Beispiel das Testen in den Schulen: Wir testen in den ersten zwei Schulwochen jedes Kind fünfmal pro Woche. Es ist wirklich eine logistische Meisterleistung, den Schulen diese Tests bereitzustellen; die müssen auf dem Weltmarkt ja erstmal beschafft werden. Aber wir können liefern, die Schulen bekommen pünktlich ihre Tests. Und dann haben wir immer noch, nicht zu vergessen, die Maskenpflicht in den Schulen – die Kinder tragen den ganzen Tag im Unterricht Maske. Ich finde das ja schlimm, aber es muss sein.

Sind Sie für eine berufsbezogene Impfpflicht bei LehrerInnen und ErzieherInnen?

Ich persönlich würde das gut finden. Das muss aber auf Bundesebene entschieden werden. Zudem ist bei den Berliner Lehrerinnen und Lehrern die Impfquote ohnehin sehr hoch, über 95 Prozent sind geimpft.

Wie sieht es bei den ErzieherInnen aus?

Da sind es etwas weniger. Aber seit die 3G-Regel am Arbeitsplatz gilt, ist auch dort die Impfquote gestiegen. Das tägliche Sich-Testen-Müssen hat die Motivation spürbar erhöht.

Wann wissen die Eltern, wie es nach dem 28. Februar mit der Präsenzpflicht weitergeht?

Vor dem 28. Februar.

Der 28. ist ein Montag, also bekommen die Schulen die Nachricht am Freitag davor?

Ich weiß, dass viele Schulleitungen in der Vergangenheit kritisiert haben, dass neue Maßgaben sehr kurzfristig vor dem Wochenende angekündigt wurden. Ich habe das als Schulleiterin selbst kritisiert. Jetzt weiß ich, warum es manchmal nicht anders möglich ist. Da gibt es so viele Abteilungen und Gremien, die mit beteiligt werden müssen. Aber es bleibt mein Wunsch, dass wir in Zukunft nicht erst freitags informieren.

Sie waren, neben Ihrem Job als Schulleiterin in Neukölln, außerdem einige Jahre lang Vorsitzende eines SchulleiterInnenverbands. Was genau unterscheidet eine Politikerin von einer Lobbyistin?

Als Lobbyistin bin ich völlig frei. Da kann ich wünschen, da kann ich fordern. Jetzt bin ich in meinem dritten Beruf – nach Lehrerin und Schulleiterin – plötzlich Politikerin. Das muss ich von der Pike auf neu lernen. Auch wenn ich eine große Schule mit mehreren Hundert Mitarbeiterinnen und Mitarbeiterin geleitet habe – eine Verwaltung mit 2.000 Menschen ist nochmal etwas völlig anderes. Die Tage sind sehr dicht getaktet, aber immer, wenn ich mal eine Pause habe, gehe ich raus und öffne hier ein paar Türen und sage: Hallo, ich bin Frau Busse, und was machen Sie hier, was ist Ihre Aufgabe?

Haben Sie unterschätzt, was Verwaltung bedeutet?

Was man nicht kennt, kann man nicht unterschätzen. Aber es ist noch immer ein spezielles Gefühl, nun plötzlich auf der anderen Seite zu stehen. Wobei sich die sechs Wochen, die ich gerade erst im Amt bin, sich bereits anfühlen wie ein Jahr. Die Tage sind, wie gesagt, sehr dicht getaktet. Wir wollen hier ja anpacken.

Was war Ihre Motivation zu sagen: Die Herausforderung nehme ich jetzt nochmal an?

Ich habe mich ja nicht beworben. Ich wurde gefragt. Und da habe ich gesagt: So ein Angebot, das ist auch Schicksal, das kann ich nicht ablehnen. Ich soll ganz offensichtlich noch mal etwas bewegen. Was ich allerdings nicht in Gänze gewusst habe, ist der Umfang der Aufgaben, der auf mich zukommen würde. Das hat man mir wohlweislich auch nicht erzählt. (lacht)

Wenn wir auf die nächsten fast fünf Jahre Ihrer Amtszeit blicken: Was wollen Sie bewegen?

Mein ganzes Leben habe ich mich mit ganzem Herzen für Kinder und Jugendliche eingesetzt. Das war für mich immer das Tollste. Das will ich nun auf einer anderen Ebene tun. Etwa, was den Personalmangel an den Schulen angeht.

Jetzt bin ich in meinem dritten Beruf – nach Lehrerin und Schulleiterin – plötzlich Politikerin. Das muss ich von der Pike auf neu lernen.

Da setzt Rot-Grün-Rot darauf, LehrerInnen wieder zu verbeamten. Warum wird das das Problem lösen?

Das hat niemand gesagt. Ich stehe trotzdem dahinter.

Aber warum dann dieses teure Projekt?

Wir sind das einzige Bundesland, das nicht verbeamtet. Und ich habe als Schulleiterin oft erlebt, dass Kolleginnen und Kollegen an meiner Schule gesagt haben: „Ist schön hier, ich würde auch bleiben. Aber ich gehe jetzt mal über die Landesgrenze, werde verbeamtet – und irgendwann komme ich dann zurück.“ Die Verbeamtung ist ein Baustein, um neues Personal zu gewinnen.

Sie haben bei Ihrem Amtsantritt angekündigt, Sie würden mit der Verbeamtung gerne schon in diesem Jahr beginnen. Klappt das?

Ich bin ziemlich sicher, dass wir den ersten wichtigen Schritt bald machen können. Mehr kann ich dazu noch nicht sagen.

Was sind Ihre anderen Bausteine gegen den LehrerInnenmangel?

Lehrkräfte und Erzieherinnen und Erzieher haben leider nicht die Lobby, die sie verdienen – was sie leisten, haben viele Eltern erst während des Homeschoolings erkannt. Wir müssen vor allem die jungen Menschen – etwa an der Universität – motivieren und zeigen, dass das einer der tollsten Berufe der Welt ist.

Und wie schaffen Sie das?

Indem auch ich als Person dafür werbe.

Halten Sie mal eine Vorlesung?

Warum nicht? Darüber hinaus bin ich auch präsent in den Medien und kann über den Beruf aus tiefster Überzeugung sprechen. Sie können mich gleich losschicken, ich mach auch noch eine Klassenfahrt mit zwei Grundschulklassen und schaffe es, mit denen im Berufsverkehr drei Mal umzusteigen – das ist gar nicht so einfach.

Was ist mit der Ausbildung der LehrerInnen – viele ExpertInnen sehen auch hier eine große Stellschraube, um mehr junge Menschen für diesen Beruf zu gewinnen.

Da müssen wir auch ran. Klar. Das Schlimme ist ja: Durch die Pandemie haben jene, die derzeit auf Lehramt studieren, die Uni nie von innen gesehen; sie konnten keine normalen Praktika machen. Und jene, die vor der Uni mit dem Gedanken spielten, konnten nicht einfach mal eine Woche an einer Schule hospitieren. Da müssen wir wieder ganz vorne anfangen und die jungen Menschen abholen.

Viele neue Lehrkräfte sind gar keine ausgebildeten LehrerInnen, sondern QuereinsteigerInnen.

Ich habe mit ihnen ganz tolle Erfahrungen gemacht. Sie kommen aus den unterschiedlichsten Berufsfeldern – ich hatte sogar mal einen Bierbrauer – und sie waren wirklich ein Gewinn für die Schule. Man muss sich aber die Zeit nehmen, sie wirklich zu unterstützen. Und leider gibt es auch diese Gruppe nicht mehr in ausreichender Zahl.

Dafür gibt es jetzt die SeiteneinsteigerInnen, die weder ein Lehramtsstudium haben noch ein Fach der Berliner Schule studiert haben.

Ich kann über den Beruf aus tiefster Überzeugung sprechen. Sie können mich gleich losschicken, ich mach auch noch eine Klassenfahrt mit zwei Grundschulklassen und schaffe es, mit denen im Berufsverkehr drei Mal umzusteigen – das ist gar nicht so einfach.

Da sind viele Rohdiamanten darunter, die man schleifen muss. Auch dafür braucht es Zeit.

Wer soll sie denn schleifen?

Die Schulen. Sie müssen ein gutes Mentorensystem aufstellen und ein langsames Reinwachsen möglich machen. Man muss klein anfangen, mit ein paar Wochenstunden und dann langsam steigern – dann bleiben die meisten auch dabei. Wer noch nie vor einer Klasse gestanden hat, weiß nicht, dass das schwierig ist.

Dummerweise ist Zeit von LehrerInnen ja Mangelware. Viele Schulen haben einfach keine Kapazitäten für MentorInnenstunden.

Schulen in Berlin haben eigene Budgets – das gibt es sonst nur noch in Hamburg. Und das ist großartig. Aus diesem Geld können die Schulen auch mal jemanden einkaufen, der Quer- und Seiteneinsteigerinnen und -einsteiger betreut – unabhängig von der Schulleitung. Die Schulen haben in Berlin viele Freiheiten.

Ein anderes bekanntes Schulproblem beginnt für Kinder und Eltern am 15. Februar: Die Anmeldung für die Oberschulen nach der sechsten Klasse. Wer in beliebten Kiezen wohnt und gerne weiter in Wohnortnähe zur Schule gehen will, braucht absurd gute Notendurchschnitte, selbst für Sekundarschulen. Allen anderen bleibt nur die Hoffnung auf das Glück bei der Platzvergabe. Wie erklären Sie diesen sehr frühen Leistungsanspruch den Kindern und Eltern?

Die Oberschulen haben keinen festen Einschulungsbereich wie die Grundschulen. Und die Herausforderung ist die stetig gestiegene Anzahl von Schülerinnen und Schülern, gerade in Bezirken wie Pankow und Friedrichshain-Kreuzberg, aber auch in fast allen anderen Bezirken. Der Schulneubau geht zwar sehr rasant voran – ich bin immer wieder bei Eröffnungsfeiern – aber es reicht eben noch nicht. Das Problem ist nicht heute entstanden und auch nicht gestern, sondern schon ein bisschen älter, und ich bin nicht glücklich darüber.

Warum wird der Vergabeschlüssel nicht verändert und den Schulen zum Beispiel ein fester räumlicher Einzugsbereich vorgegeben?

Das haut nicht hin. Als seinerzeit die Wohnortnähe nach BVG-Fahrplan als Kriterium galt, gab es eine noch viel größere Kritik von Eltern daran. Nun können Schüler und Eltern sich am Schulprofil orientieren. Aber klar, die steigenden Schülerzahlen erschweren die Auswahl.

Ein steter Streit in der Koalition aus SPD, Grünen und Linken ist das Neutralitätsgesetz. Einerseits gibt es das Urteil des Bundesarbeitsgerichts, das im August 2020 das pauschale Kopftuchverbot aufgehoben hat und auf Einzelfallprüfungen drängt – anderseits klagt Berlin vor dem Bundesverfassungsgericht dagegen. Es ist gerade ein Schwebezustand. Wie sollen Schulleitungen damit umgehen?

Derzeit gilt das Neutralitätsgesetz noch. Erst wenn das Bundesverfassungsgericht entscheidet, müssen wir gegebenenfalls handeln. Es kann nicht sein, dass jede Schule einzeln entscheiden muss. Das würde sie in große Konflikte bringen.

Viele Initiativen fordern, sich an der Rechtsprechung des Arbeitsgerichts zu orientieren.

Wir müssen jetzt das Urteil des höchsten deutschen Gerichts abwarten und dann auch annehmen.

Wann rechnen Sie denn mit dem Urteil?

Das dauert noch.

Sind Sie für das Neutralitätsgesetz?

Ja. Eine staatliche Schule ist ein neutraler Raum. Aber ich bin nicht die Entscheidende.

Lassen Sie uns zu den Kitas kommen. Dort ist die Coronalage aktuell noch schwieriger als an Schulen, ab Montag gilt – wie auch in den Schulen – das „Test-to-stay“-Prinzip: Kontaktpersonen sollen nicht mehr in Quarantäne, sich aber 5 Tage lang täglich testen. Wer hat das erfunden?

Na, die Amtsärzte.

Also jene, die Sie an den Schulen im Stich gelassen haben wegen der Aussetzung der Nachverfolgung, retten Sie jetzt, weil Sie so Kitas offen halten können.

Kita ist ein anderer Bereich als Schule, es gibt ja keine Kitapflicht. Wir haben die wunderbaren Lolli-Tests eingeführt, und klar wollen wir so weit wie möglich das Betreuungsangebot aufrechterhalten. Das ist nicht leicht. Wir mussten die Öffnungszeiten einschränken und rund 375 vor allem kleine Einrichtungen sind gerade geschlossen.

Können Sie den Vorwurf von Beschäftigten nachvollziehen, dass man sich als „Versuchslabor“ fühlt und Infektionen billigend in Kauf nimmt?

Das ist der Situation geschuldet. Vorwürfe gibt es immer, aus jeder Ecke – das habe ich jetzt nach sechs Wochen schon gelernt. Aber es geht uns darum, die Kitas offen zu halten. Mir schreiben berufstätige Eltern, die verzweifelt sind, weil sie nicht wissen, wie sie sonst ihre Kinder betreut bekommen. Im Moment gibt es keine anderen Lösungen.

Ist es eigentlich fahrlässig, sich darauf zu verlassen, dass die Eltern ihre Kita-Kinder schon ordentlich und ehrlich zu Hause testen werden?

Da müssen wir drauf vertrauen, wie auf vieles andere auch. Was wäre denn die Alternative?

Vor Ort testen.

Das kann die Kita, wenn sie Zweifel hat, sogar machen.

Sie haben zu Anfang den März als zeitliche Perspektive ins Spiel gebracht, wenn es wieder besser sein könnte. Worauf stützen Sie sich da?

Ich kann mich nur auf die Fachleute verlassen. Die sagen, Mitte Februar soll der Höchststand bei den Inzidenzen erreicht werden; danach geht es runter. In anderen Bundesländern geht es schon runter, das haben mir Kolleginnen und Kollegen bei der Kultusministerkonferenz berichtet.

Im Bildungsausschuss haben Sie jüngst noch von „meiner Schule“ gesprochen und damit Ihre ehemalige Grundschule in Neukölln gemeint. Sind Sie im Herzen noch dort?

Ich kriege ja immer noch Post von den Kindern. Es ist halt noch so frisch.

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