Berlins Senatsbaudirektorin im Interview: „Schöner kann es nicht mehr werden“
Erst, als die Linkspartei das Bauressort übernahm, konnte Regula Lüscher so, wie sie wollte. Nach 14 Jahren scheidet die Senatsbaudirektorin nun aus dem Amt.
taz: Frau Lüscher, es heißt, man soll immer dann gehen, wenn es am schönsten ist. Stimmt das?
Regula Lüscher: Ja, das sage ich auch. Die letzten fünf Jahre waren wirklich am schönsten. Eindeutig. Schöner kann es nicht mehr werden.
War es deshalb in den letzten fünf Jahren am schönsten, weil Sie mit einer Senatorin und einem Senator der Linken zusammengearbeitet haben? Mit Katrin Lompscher und Sebastian Scheel?
Ich glaube, es war am schönsten, weil wir einfach ein wahnsinnig gutes Team waren. Es hat menschlich supergut funktioniert. Zum Team gehörten da mehr als Frau Lompscher und Herr Scheel. Da ist die Pressestelle, da sind die Referentinnen und Referenten, die Vorzimmer.
Wie war das, als Frau Lompscher zurückgetreten ist?
Es war der schlimmste Tag für mich in meinen 14 Jahren als Senatsbaudirektorin. Ich hab das sehr bedauert. Aber Sebastian Scheel hat das in einer bewundernswerten Weise übernommen. Und auch meine neue Kollegin als Staatssekretärin, Wenke Christoph, ist ganz toll.
Die Architektin:
Regula Lüscher wurde 1961 in Basel geboren. Nach dem Abitur zog sie nach Zürich, wo sie an der Eidgenössischen Technischen Hochschule ETH Architektur studierte. Nach ihrer Zeit als freie Architektin wechselte sie 1998 in die Verwaltung und leitete dann bis 2007 als stellvertretende Direktorin das Amt für Städtebau. 2007 wurde Lüscher von der damaligen Bausenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) nach Berlin geholt, wo sie die Nachfolge von Senatsbaudirektor Hans Stimmann antrat.
Die Baudirektorin:
Zu ihren größten Verdiensten zählt sie die Sanierung der Staatsoper oder den Einfluss, den sie auf einige Gebäude in der Europa-City hat nehmen können wie die Unternehmenszentrale von 50Hertz. Auch, dass zwischen Rotem Rathaus und Marienkirche kein Wiederaufbau der Altstadt stattgefunden hat, geht auf ihre Kappe. Ihre Idee einer Internationalen Bauausstellung zur Stärkung der Stadt außerhalb des S-Bahn-Rings wurde nicht verwirklicht.
Die Künstlerin:
Nach dem Ende ihrer Karriere will sich Regula Lüscher ihrer Arbeit als Künstlerin widmen und dafür eine zusätzliche Ausbildung machen. Vor allem die Malerei hat es ihr angetan. Eine Zeichnung von ihr ziert auch ihre neue Visitenkarte. „Senatsbaudirektorin und Staatssekretärin für Stadtentwicklung a. D.“ ist darauf zu lesen.
Sie haben in Ihrer Amtszeit auch andere Konstellationen erleben dürfen. Legendär war die 14. Etage im Verwaltungsgebäude in der Württembergischen Straße. Das war die Chefinnenetage, in der unter Senatorin Ingeborg Junge-Reyer nur Frauen gearbeitet haben. Damals hieß es scherzhaft, jeder Abteilungsleiter, der zur Senatorin zitiert wurde, hatte vor der Etage Bammel. Wie haben Sie das empfunden?
Ich selber mag gemischte Teams. Vor allem im Umgang mit Machtthemen kann ich auch von Kollegen lernen. Auch wie sie anders mit Konflikten umgehen. Das heißt nicht, dass ich das dann auch so machen muss, aber ich bekomme gespiegelt, mit was ich konfrontiert bin, ich kann es besser verstehen. Deshalb sind für mich gemischte Teams stärker. Die Zeit mit den vier Frauen auf der Etage war nicht unbedingt die leichteste. Wir haben mit ähnlichen Strategien die Probleme gelöst, und dabei hat uns vielleicht ein gewisses Repertoire gefehlt.
Weil da ein geschützter Raum entstanden ist, der mit der Realität draußen wenig zu tun hatte und einen vielleicht auch in falscher Sicherheit gewiegt hat?
Ja. Aber trotzdem war es mutig und bemerkenswert. Auch dass mich Frau Junge-Reyer ganz von außen geholt hat.
Aber die Chemie muss stimmen.
Die Chemie muss stimmen, ja. Aber ich hab mich auch gefragt, ob es einen Unterschied macht, ob ich in einem linken Haus arbeite oder, wie vorher, in einem SPD-Haus.
Und?
Es ist natürlich ein Unterschied. Die SPD ist eine große Partei, da sind viele Leute drin, die ihre Karriereplanung haben, für die das ein Beruf ist. Bei der Linken hab ich viel mehr das Gefühl, dass das Überzeugungstäter sind.
Auch was Architektur, Städtebau und Gestaltung angeht?
Mehr im politischen Sinne. Der zweite Unterschied war dann, dass ich große Parallelen in der Sozialisierung zwischen Ostdeutschen und Schweizern gesehen habe.
Welche?
Bescheidenheit in Bezug auf die eigene Person. Dass es nicht selbstverständlich ist, dass einem alles zusteht. Aber auch so kleine Dinge. Ich bin selber in der Schweiz in einer Siedlung aufgewachsen, da ist es selbstverständlich, dass man die Waschküche und den Trockenraum mit allen teilt. Diese Erfahrung teile ich nur mit einem bestimmten Teil der Bevölkerung.
Und architektonisch und städtebaulich?
Das ungebrochene Verhältnis zur Nachkriegsmoderne. Das ist für mich ein natürlicher Teil der Architekturgeschichte. Und das ist auch die Geschichte meiner Eltern. Da habe ich Verbündete gefunden, die diese Geschichten mit mir teilen. Auch wenn ich natürlich aus einem anderen politischen System komme und auch nicht die geschichtliche Belastung habe.
Zu der in Deutschland auch gehört, dass die Moderne der radikale Bruch mit der Vergangenheit ist, auch mit der des Nationalsozialismus.
Die geschichtliche Belastung haben alle Deutschen, egal ob in Ost oder West. Das kann eine Tätergeschichte sein, eine Verfolgungsgeschichte oder eine Teilungsgeschichte. Mit diesem Rucksack durch die Welt zu gehen und dann Europa voranzubringen oder die Türen zu öffnen für die Flüchtlinge, das ist bemerkenswert.
Da ist der neutrale Schweizer Rucksack leichter.
Manchmal auch naiv leer. In der Schweiz war ich eine extrem ausgefeilte und reflektierte Architekturdebatte gewohnt. Die wenig gesellschaftspolitisch oder politisch war. Und dann komme ich hierher und diskutiere über Glas oder Stein und musste plötzlich verstehen, dass da sehr viel Geschichte und politische Positionierung mitschwingt.
Glas ist transparent und neu, Stein steht für das Alte, der Rucksack eben.
Das ist Teil der Diskussion, ja.
Waren Sie überrascht, als Frau Lompscher Sie 2016 gefragt hat, ob Sie weiter im Amt bleiben wollen? Das ist ja eher ungewöhnlich. Normalerweise suchen sich Politikerinnen Staatssekretäre aus der eigenen Partei.
Ich war nicht überrascht. Katrin Lompscher und ich kannten uns seit Anbeginn. Als ich angefangen habe, war sie Umweltsenatorin. Nach Rot-Rot war sie dann stadtentwicklungspolitische Sprecherin und Expertin. Es gab sehr wenige im Abgeordnetenhaus, mit denen ich so fundiert diskutieren konnte. Das hat uns verbunden.
Dann fanden Sie es bestimmt reizvoll, dass das Bauressort, das gefühlt seit dem Krieg bei der SPD war, 2016 an eine andere Partei gegangen ist?
Persönlich fand ich das gar nicht so spektakulär.
Die SPD hat den Phantomschmerz bis heute nicht verwunden.
Natürlich war damit auch ein Paradigmenwechsel verbunden. Ich fand das schön …
… weil auch mal frische Luft reinkam und eine Verwaltung, die so tief sozialdemokratisch geprägt wurde, mal etwas gelüftet wurde in ihrer Verstaubtheit? Oder war das gar nicht der Fall? Unter der 14. Etage sind ja noch 13 andere.
Das ist bei jedem Regierungswechsel die große Herausforderung an die Führung und Leitung, gerade auch an die Staatssekretäre. Sie sollen die Verwaltung in eine neue Richtung führen, das bedeutet viel Veränderung, weil manche Projekte auch in eine andere Richtung geleitet werden. Das löst auch Verunsicherung aus. Da haben aber eine transparente Kommunikation und eine Zugewandtheit und Wertschätzung von Katrin Lompscher den Leuten gegenüber geholfen.
Wie war das, als Sie 2007 nach Berlin kamen? Wie hat die Stadt auf Sie gewirkt?
Ich habe natürlich wie alle das Bild von der kreativen Stadt im Kopf gehabt. Aber dann hat es mich in ein politisches Amt gespült, wo ich gemerkt habe, wie abgeschlossen das alles ist, fast ein Inseldasein. Fast kleinstädtisch.
Der politische Apparat und die politische Kultur haben nichts mit dem Bild der Stadt zu tun?
Null! Das passt überhaupt nicht zusammen. Das hätte ich nie erwartet. Und dann musste ich auch noch preußische Verwaltung lernen. Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich diesen Schritt nicht gemacht.
Was wurde Ihnen denn versprochen?
Mir wurde nichts versprochen. Aber wie konnte Frau Junge-Reyer ahnen, wie meine Welt funktioniert? Und ich konnte nicht ahnen, wie ihre Welt funktioniert.
Wie war das, als Sie nach Berlin geholt wurden?
Frau Junge-Reyer hat mich angerufen. Ich dachte, okay, sie will eine Führung durch Zürich. Und dann hat sie gesagt, ich suche eine Nachfolge für Herrn Stimmann. Dann haben wir ein paar Mal gesprochen, und ich habe auch einige Wochenenden alleine in Berlin verbracht, um mir vorzustellen, wie das wäre (lacht).
Dass Sie nicht Hochdeutsch sprechen, ist das auch eine Art Widerstand gegen die politische Kultur, auf die Sie hier getroffen sind?
Entschuldigung, ich spreche Hochdeutsch!
Okay, Sie sprechen Hochdeutsch.
Ich spreche Hochdeutsch, besser kann ich es nicht, und jeder Schweizer sagt zu mir: Die spricht wie eine Deutsche.
Und was sagen die Deutschen?
Die denken, dass ich Mundart spreche. Und wenn ich dann anfange, Mundart zu sprechen, verstehen sie kein Wort mehr.
Vielleicht ist das hilfreich, denn Ihr Hochdeutsch könnte auch signalisieren, ich komme von außen und bringe auch den Blick von außen darauf ein, worüber wir jetzt reden.
Im positiven Sinne ja. Aber meistens hat es das Gegenteil ausgelöst: Du hast ja keine Ahnung von Berlin. Du hast die Stadt nicht verstanden. Du hast uns nichts zu sagen.
Wie haben Sie darauf reagiert? Haben Sie gedacht, nun werde ich es euch aber zeigen?
Nein. Ich habe zugehört. Ich habe immer zugehört. Nach drei Wochen habe ich gelernt, dass ich alles, was ich gelernt habe, vergessen muss. Der Vorteil war, dass mir viele Leute viel erzählt haben. Wenn ich gegen die Rekonstruktion der mittelalterlichen Mitte bin und mir vorgeworfen wird, ich hätte keine Ahnung, nehme ich das sehr tiefenentspannt zur Kenntnis, weil ich eben auch die unterschiedlichen Stimmen kenne.
Die historische Mitte am Rathausforum. Das ist auch so ein Konflikt wie Glas versus Stein.
Man macht in dieser Stadt immer wieder den gleichen Fehler. Immer wieder wird Tabula rasa gemacht. Immer wieder denkt man, man muss vergangene Leistungen und Geschichtsschichten ausradieren. Das ist das Gegenteil von Respekt, Toleranz und einer gemeinsamen Basis, mit der sich jeder identifizieren kann. Wie kann man nach dem Abriss eines Schlosses mit dem Abriss des Palastes der Republik den gleichen Fehler machen!
Sie haben Ihren Frieden mit dem Stadtschloss also nicht geschlossen.
Ich muss meinen Frieden damit nicht schließen. Es war nicht meine Entscheidung. Aber es war wichtig, dafür zu sorgen, dass es in Zukunft nicht immer weiter so läuft. Die Bebauung des Rathausforums hätte den Fernsehturm einfach wegradiert. Also ob es ihn nie gegeben hätte.
Als Frau Junge-Reyer einen Nachfolger für Hans Stimmann gesucht hat, was war da Ihr erster Gedanke? Stimmann hat ja mit der kritischen Rekonstruktion die Stadt massiv geprägt. Haben Sie da überhaupt eine Möglichkeit gesehen, ein anderes Bild von Stadt zu verwirklichen?
Das war nicht mein erster Gedanke. Mein erster Gedanke war: Jetzt sagst du nicht gleich Nein, sondern guckst dir das genau an. Ich hatte in Zürich ein tolles Betätigungsfeld. Dann bin ich hierhergekommen, und aus Schweizer Sicht habe ich die Diskussionen um die kritische Rekonstruktion sehr viel weniger ideologisch gesehen als hier. Die kritische Rekonstruktion war ein möglicher Weg, auf dem Grundriss und der Parzelle aufzubauen.
Sie sind also nicht mit einer Anti-Stimmann-Agenda angetreten.
Erst mal nicht. Dann habe ich aber schon erkannt, dass diese Strategie zu unglaublich vielen Konflikten führt. Man kann die Rekonstruktion der Gründerzeit und den offenen Städtebau der Moderne nicht so unversöhnlich gegeneinanderstellen.
War das von Anfang an für Sie klar, dass das Rathausforum für Sie eines der Themen ist, auf das Sie sich konzentrieren?
Das war erst mal nicht klar. Das wurde mir nach meinem Empfinden eher aufoktroyiert. Das lag auch daran, dass man in diesem Amt sehr stark auf die Mitte fokussiert wurde durch das Planwerk Innenstadt. Mich hat aber die gesamte Stadt interessiert.
Deshalb auch Ihre Idee mit einer Internationalen Bauausstellung über die „Draußenstadt“.
Die IBA war der Versuch, aus dieser Fokussierung auf die Mitte auszubrechen.
War die Verhinderung der Rekonstruktion der Berliner Altstadt dennoch Ihr größter Erfolg?
Es war mein Erfolg. Und wir haben da einen breit angelegten Beteiligungsprozess gemacht. Die Bürger haben Leitlinien erarbeitet, die dann vom Abgeordnetenhaus verabschiedet wurden. Vielleicht ist es mir auch gelungen, die Dialogkultur in Berlin in eine positive Richtung zu verändern. Und das Baukollegium, das ich etwas guerillamäßig eingeführt habe, ist inzwischen eine wichtige Instanz.
Und tagt öffentlich.
Baukultur muss man mit und für die Menschen machen. Man muss daher transparent über Architekturqualität diskutieren, und es muss viele Wettbewerbe geben.
Wenn man vor vielen Jahren mit stadtpolitischen Initiativen oder Aktivistinnen und Aktivisten gesprochen hat, hieß es immer wieder: Frau Lüscher mag ja unerschrocken sein und für gute Architektur stehen, aber die sozialen Belange sind nicht so ihr Ding. Das hat sich inzwischen geändert, oder täusche ich mich da?
Es hat sich geändert, und das hat sicher auch damit zu tun, dass ich lange damit beschäftigt war, die Architekturdebatte in eine andere Richtung zu bringen. Die Zuwendung zu den politischeren Themen kam dann in der zweiten Hälfte meiner Zeit, in der Berlin stark zu wachsen begann. Das wurde auch dadurch unterstützt, dass ich für die Linke Politik gemacht habe. Da gab es dann auch keine Berührungsangst mehr zu den Initiativen. Damit habe ich auch meine Amtszeit abgerundet. Jetzt bin ich da, wo ich sein wollte.
Wenn Sie nun in den einstweiligen Ruhestand gehen, wo lacht das Auge und wo weint es?
Es weint beim Abschied von den Menschen. Und weil ich Abschied von Berlin nehmen muss.
Dafür haben Sie keine Fernbeziehung mehr.
Darauf freue ich mich am meisten. Wir werden den Lebensmittelpunkt in Zürich haben, behalten aber auch die Wohnung in Berlin.
Sie wollen außerdem eine neue Ausbildung beginnen. Was genau?
Es geht in Richtung Kunst, Malerei. Eine gestalterische Richtung. Zeichnen, Malen, das nach innen Gerichtete. Das ist ein starker Teil von mir.
Also kein neues Amt?
Ich bin ein sehr freiheitsliebender Mensch und eine Individualistin. Die 14 Jahre haben schon viel Kraft gekostet. Nachdem ich öffentliche Person sein musste, freue ich mich jetzt auf die Freiheit.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen