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Berlins Grüne vor Parteitag„Die Giffey-SPD wirft mit Dreck“

Am Dienstag wollen die Grünen über das Aus für Rot-Grün-Rot reden. „Es gab keinen offenen Dissens“, betont Parteichef Philmon Ghirmai.

War das Lachen echt? Franziska Giffey empfängt Bettina Jarasch zum Sondierungsgespräch Foto: dpa
Bert Schulz
Interview von Bert Schulz

taz: Herr Ghirmai, wie ist die Stimmung in der grünen Parteiführung sechs Tage nach dem Aus für Rot-Grün-Rot?

Philmon Ghirmai: Sie war schon mal besser.

Verständlich.

Wir haben in den vergangenen sechs Jahren in der Regierung gemeinsam mit unseren Koalitionspartnern und der Zivilgesellschaft Berlin wirklich nach vorne gebracht: Etwa den ökologischen Umbau der Stadt, eine bundesweit beispiellose Gesellschaftspolitik, die Mobilitätswende und das Jahrzehnt der Investition. Das hätten wir gerne fortgesetzt.

Was überwiegt: Trauer oder Wut über die Anschuldigungen aus der SPD?

Ich wünsche dem Volksentscheid ein klares Ja für mehr Klimaschutz. Dafür werden wir werben.

Das unverschämte Verhalten der SPD-Führungsriege um Franziska Giffey verärgert uns natürlich. Sie hat scheinbar an anderen Gesprächen teilgenommen als wir und die Linke. Es hat keinen offenen Dissens gegeben, anders als Giffey und Co. es nun darstellen. Ganz im Gegenteil: Es gab die gemeinsame Verabredung, auf den ja erst 15 Monate alten Koalitionsvertrag aufzusetzen.

Warum kam es dann zum Bruch?

Im Interview: Philmon Ghirmai

ist seit Ende 2021 einer der beiden Berliner Landesvorsitzenden der Grünen. Zuvor war er Vorstandssprecher der Grünen in Neukölln.

Die Giffey-SPD hat sich für eine vorgestrige Politik entschieden und will den Betonmischer anschmeißen. Zum Beispiel mit dem Ausbau der A 100 oder der Bebauung des Tempelhofer Feldes. Wir hätten uns gefreut, wenn sie das auch für sich so inhaltlich begründen würde, statt groteske Vorwürfe in die Welt zu setzen und mit Dreck um sich zu werfen.

Ist damit die Tür zugeschlagen für Rot-Grün-Rot unter Franziska Giffey und Raed Saleh?

Wir Grüne stehen zu unserer Verantwortung für Berlin. Das haben wir in den von unserer Seite und auch von Seiten der Linken ernsthaft geführten Sondierungsgesprächen mit der SPD deutlich zum Ausdruck gebracht. Die beiden haben aber sehr viel Porzellan zerschlagen, ganz sicher.

Sollten die Verhandlungen zwischen CDU und SPD noch scheitern oder die SPD-Basis dagegen und für den Gang in die Opposition votieren: Stünden die Grünen für eine CDU-geführte Koalition zur Verfügung?

Wir haben ernsthafte Sondierungsgespräche in beiden Konstellationen geführt, und es waren nicht wir, die am Ende die Tür zugeschlagen haben. Das gilt für beide Optionen. Fakt ist aber auch: Der politische Weg ist für die CDU viel kürzer zur SPD als zu uns. Das spiegelt sich auch in ihrer Entscheidung wider, mit der SPD die politischen Uhren aufs letzte Jahrtausend zurückzudrehen.

An diesem Dienstag haben die Grünen zu einem kleinen Parteitag geladen, auf dem ursprünglich über ein Ja zu Koalitionsverhandlungen diskutiert werden wollte. Worüber wird nun gesprochen?

Wir werden von den Sondierungsgesprächen berichten, aber auch einen Blick nach vorne werfen. Dabei geht es etwa um unseren Fahrplan für die interne Wahlanalyse, aber auch darum, welche Oppositionsarbeit wir leisten wollen. Das ist aber erst ein Anfang. Wir werden diesen Austausch in unseren Gremien in den nächsten Wochen und Monaten intensivieren.

Die Grünen sind erneut hinter der SPD gelandet bei der Wahl, wenn auch nur ganz knapp. Was wäre anders gelaufen, wenn Ihre Partei 54 Stimmen mehr bekommen hätte?

Das hätten die Verhandlungen gezeigt.

Schauen Sie nach dem Aus für die Koalition nicht besonders geknickt auf diesen total knappen Vorsprung der SPD?

Dass am Ende so wenige Stimmen gefehlt haben, ist bitter. Das ändert aber nichts daran, dass wir insgesamt ein sehr gutes Ergebnis erreicht haben. Wir haben unser historisch bestes Wahlergebnis von 2021 gehalten. Das war keine Selbstverständlichkeit angesichts des hart geführten und sehr polarisierenden Wahlkampfes.

Dennoch wurde das erklärte Ziel, die Koalition unter grüner Führung fortsetzen zu können, erneut nicht erreicht. Was wird jetzt aus Bettina Jarasch?

Unsere Stärke in der jüngsten Vergangenheit war, dass wir geschlossen waren sowie verlässlich und gut zusammengearbeitet haben. Das wird so bleiben.

Bereits in weniger als drei Wochen steht die nächste Abstimmung an: über den Klimavolksentscheid. Wie gehen die Grünen damit um?

Wir unterstützen die Initiative, und wir haben unseren Mitgliedern Möglichkeiten und Wege gezeigt, wie sie die Initiative auch bei ihrer Kampagne unterstützen können. Wir haben immer gesagt, dass jede Stimme für mehr Klimaschutz eine gute Stimme ist.

Ist jede Stimme für mehr Klimaschutz auch eine Stimme gegen Schwarz-Rot?

Angesichts der sich anbahnenden inhaltlichen Ausrichtung dieser Rückschritts-Koalition, die ja vor allem auf Benzin und Beton setzt, kann man das so sagen. Ein politischer Schwerpunkt auf die Menschheitsaufgabe Klimaschutz, auf die Mobilitäts- und Energiewende zeichnet sich nicht ab. Es ist also wichtiger denn je, dass es viel Druck aus der Zivilgesellschaft und aus den Verbänden gibt – und auch aus der Opposition. Das gilt sicherlich auch für die Sozial- und Gesellschaftspolitik.

Glauben Sie, der Entscheid wird zur Protestabstimmung?

Die SPD hat ja seinerzeit verhindert, dass die beiden Termine zusammengelegt werden. Ich wünsche dem Volksentscheid in jedem Fall eine sehr hohe Beteiligung und ein klares Ja für mehr Klimaschutz. Dafür werden wir werben.

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14 Kommentare

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  • Wieso kommt den berliner Grünen eigentlich nicht die Erkenntnis, dass die berliner Bevölkerung ein ganz anderes Bild der letzten Jahre hat und die Regierung abgewählt wurde. Ganz egal wie jeder Einzelne es findet, die berliner Bevölkerung hatte anscheinend genug davon und sieht die Ziele der CDU nicht als “gestrig“ an. Dies sollte man akzeptieren und sich nicht über den Wähler stellen. Das sage ich als Nichtberliner, der jedoch viele berliner Freunde hat

  • Ich weiß nicht, warum die Grünen sich immernoch als klimaschützer bezeichnen... seit nun schon länger Zeit an der Macht und nichts, wirklich nichts, ist dahingehend passiert.

  • Die Giffey SPD! Damit wollen die Grünen die SPD Basis gegen die SPD Spitze aufwiegeln. Auf Deutsch, wir reden wieder mit euch, aber nur wenn ihr eure Chefin vom Hof jagt. Was für ein mieses Spiel. Das Gegenteil werden sie bewirken. Auch die SPDler, die keine Fans von Giffey sind, werden sich hinter ihr versammeln.

    • @Rudolf123:

      Nun, die "Giffey-SPD" hat Abstimmungen über den Kotau vor der CDU in diversen SPD-Kreisverbänden verloren, darunter im ureigenen Giffey-Kriesverband Neukölln. Die Jusos sind strikt gegen die "Groko" und die Meisten auf dem linken Flügel ebenso. Schon vor der RGR-Koaltion wolle Giffey lieber mit der CDU und FDP regieren, ihre Partei hat sie damals davon abgehalten. Von daher kann man schon von einer Giffey-SPD sprechen, nur dass sich dieser nun auch Saleh angeschlossen hat. Nach der Mitgliederabstimmung wird man dann sehen,wie groß dieser Flügel wirlich ist.

      Das eigentlich Bedenkliche an der Giffey-SPD ist, dass eine mit einer historischen Niederlage abgewählte Ministerpräsidentin, die ihre Partei mit einem MP-Malus statt Amtsbonus auf 18% gedrückt hat, nun trotz dieser Schwäche ihre Partei in die Geiselhaft der CDU getrieben hat und praktisch jede alternative Regierungsmöglichkeit der SPD für lange Zeit verhindert. Als Juniorpartner und pseudosoziales Anhängsel der CDU steuert sie zielsicher die Einstelligkeit an, statt mit einer alternativen Führung an der Spitze zu regieren. Masochismus statt Selbstbewusstsein. Das Hauptziel der Rentnerkoalition wird sein, Berlin die Zukunft zu verbauen und gegen die direkte Demokratie/ den Bürgerwillen in Sachen Mieten und Klimaneutralität zu kämpfen. Den Volksentscheid zur Enteignung von Mithaien haben 60% der Bürger zugestimmt, der Volksentscheid zur Klimaneutralität könnte ähnlich laufen.

      • @Dorian Müller:

        immer dieser Volksentscheid! Will man in 5 Jahren immer noch darauf verweisen, aber vor 5 Jahren, wisst ihr noch der Volksentscheid, also der muss umgesetzt werden. Ist es nicht eher so, dass die jetzige Wahl eine Aktualisierung des Entscheids war, und dabei haben sich 60% für Parteien entschieden, die gegen den Entscheid sind. Stellen sie sich mal vor, Giffey würde jetzt sagen, aber bei der Wahl vor 20 Jahren, da haben sich 35% der Wähler für die SPD entschieden. Das muss respektiert werden, deshalb stehen uns jetzt 35% der Sitze zu. Das ist jetzt überspitzt ausgedrückt aber es soll zeigen, die ständigen Verweise in die Vergangenheit werden immer unglaubwürdiger.

  • Bei ihrer akademischen Vergangenheit ist die Giffey doch eh angreifbar und indiskutabel.



    Aber genau solche brauchen die Parteigranden - denn dann kann können sie jederzeit die "Notbremse" ziehen.

  • "keine Politiker, die strategisch denken, eine gewisse Intellektualität haben, Truppen zusammenführen"



    den Militärjargon braucht man doch, auch als Grüner, in der Komunalpolitik wohl nicht.

  • Es ist doch ganz einfach. Giffey bricht einfach die Brücken hinter sich ab um ihre SPD ind die Koalition mit der CDU zu zwingen. Mit den Grünen hat das nur insoweit zu tun, als dass Giffey Angst vor den Anforderungen einer Fortsetzung der bisherigen Koalition hat. Dass die Grünen jetzt ernsthaft von der Person Giffey enttäuscht sind, kommt mir merkwürdig vor. Giffey ist nicht zu trauen, das war immer offensichtlich.

  • Nina Scheer, Klimaschutz- und energiepolitische Sprecherin der SPD im Bundestag, macht angesichts der fatalen Weichenstellung in der Berliner SPD den Mund nicht auf. Das zeigt, dass eine sehr wichtige Politikerin in der SPD nicht begriffen hat, dass sie eine große Verantwortung für wichtige strategische Weichenstellungen in der Klima. und Verkehrspolitik der SPD hat.



    In Wahrheit hat die SPD, was Klima- und Verkehrspolitik, aber auch Wohnen, keine Politiker, die strategisch denken, eine gewisse Intellektualität haben, Truppen zusammenführen, die bei einer falschen strategischen Weichenstellung, wie in Berlin, ihr Veto einlegen. Die SPD trommelt bei den Themen, lebt sie aber nicht, fremdelt immer wieder mit nachhaltiger Verkehr- Wohn- und Klimapolitik.

    Dass das Soziale mit der CDU in Berlin besser laufen soll, als mit der Linken ist ein weiteres Armutszeugnis.

    Innerhalb dieser Politikbereiche ist nicht ein einziger Politiker der Berliner SPD bundesweit aufgefallen. Bei der Berliner CDU sieht es nicht besser aus. Zurück in die Zukunft lautet die Devise beider Parteien.

    Man fragt sich, warum Bundeskanzler Scholz nichts dagegen unternimmt, dass Giffey seine Ampel torpediert, die ein Projekt sein soll, das weit über eine Dekade hinausreicht. Dass müsste den großen Strategen der SPD, Kevin Kühnert, auffallen. Doch der schweigt genauso inhaltsleer zur Berliner Wende der SPD, wie die Vorsitzenden der SPD, die nie wieder Groko schworen.

    Es lief gut bei der SPD nach dem Wahlsieg bei der Bundestagswahl, aber die alten provinziellen, zerstörerischen Reflexe innerhalb der SPD schlummerten nur, suchen sich bei der ersten großen Schwierigkeit und Gelegenheit die Grünen als Ziel.

    • @Lindenberg:

      Man kann nicht nur an die Radfahrer und Hilfeempfänger denken. Irgendwer muss auch an die denken, die das alles bezahlen sollen und die Auto fahren wollen. Daher: Abschied nehmen von der Verkehrswende. Dem E-Auto gehört die Zukunft, nicht dem Fahrrad.

      • @Gorres:

        genau, und auf die grosse wiese vor dem reichstag, bauen wir ein parkhaus.

  • Bei der Volksabstimmung handelt es sich nicht nur um "Druck aus der Zivilgesellschaft", sondern um ein rechtsverbidliches Gesetz.

    Herr Wegner muss sich gut überlegen, ob er sich dann zum Regierenden Bürgermeister wählen lassen will, denn Wegner wird nolens volens zum Bürgermeister für ein klimaneutrales Berlin, wenn der Entscheid erfolgreich wird.



    Denn dieser verpflichtet den Senat unmittelbar zum handeln für Klimaschutz. Wie bereits der vorige Senat angedeutet hat: Einer der ersten Schritte wird es sein, für weitere bundesgesetzliche Kompetenzen des Landes zu streiten (Länderöffnungsklauseln), denn bislang sind diese etwas schmal.

  • Es ist merkwürdig, dass Herr Ghirmai den Dissens nicht gesehen haben will, während dies für den politisch interessierten Bürger offenkundig war. Insoweit scheint es den Grünen an Reflektion zu fehlen. Merkwürdig was sie für einen "normalen" Umgang halten wollen.

    • @DiMa:

      manchmal sieht man den wald vor lauter bäumen nicht.

      mir scheint‘s, dass so manche politiker:innen durch ihre persönliche nähe zu ihren koa-partner:innen nicht mehr in der lage sind zu erkennen wo oder wie letztere dabei sind ihnen zu schaden.



      siehe auch ampel. das gemeine fussvolk konnte da von anfang an erkennen, dass die afdp auf kollisionskurs mit den grünen war und ist.