Berliner Szenen: Jesus' Füße
Wenn der Schuh des Nachbars beim Beten stört: Eine Begegnung der anderen Art in der U-Bahn.
Nun ist besser“, sagt die Frau mit den hochgesteckten weißen Haaren, als mein Fuß wieder auf dem Boden steht. Wir sitzen nebeneinander in der U-Bahn, und ich hatte ein Bein in einem ziemlich rechten Winkel übergeschlagen, so, dass der linke Fuß neben dem rechten Knie lag. Die Frau hatte diesen Fuß dann mit gespieltem Interesse aus verschiedenen Winkeln betrachtet.
„Ihr Schuh stert mich beim Beten“, erklärt sie mit einem Akzent, den ich für polnisch halte. „Er hat Lecher, man sieht den Strumpf.“ Da hat sie leider recht. „Es sind frische Strümpfe“, sage ich und versuche, meinen Ärger zu unterdrücken. Tatsächlich hält sie einen Rosenkranz zwischen den Fingern, und von ihrer Handtasche kündet ein Aufkleber, Abtreibung sei Mord.
„Was glauben Sie, mit was für Füßen Jesus rumgelaufen ist“, ätze ich zurück, „und dann ist er auf einem Esel geritten, der hat gar nicht gut gerochen.“ Damit habe ich sie erst in Fahrt gebracht. „Nein, nein“, sagt sie, „Tiere riechen nicht schlecht. Ich bin aufgewachsen bei Krakau, da habe ich gemacht Männerarbeit. Mit Kiehe, Schweine, alles. Nur der Mensch riecht schlecht.“
So geht das noch eine Weile. Erstaunlicherweise eskaliert das Gespräch nicht. Und irgendwie mag ich diesen Akzent. Schließlich wende ich mich ab und schließe die Augen.
„Man misste machen eine Ausstellung mit den Mustern von Sohlen“, sagt meine Sitznachbarin, und ich mache die Augen wieder auf. „Sehr interessante Muster, ich beobachte sie jeden Tag. Aber nur Schuhe von Männern, weil die sitzen immer so wie Sie. Man kennte machen eine Ausstellung im U-Bahnhof.“
Langsam wird sie mir sympathisch, denke ich gequält und sage: „Ja, gute Idee.“ Ich muss sie freundlich angesehen haben, denn als sie aufsteht, sagt sie: „Sie haben gute Energie, junger Mann. Ich spiere das.“ Dann steigt sie aus. Ich überlege, ob ich das Bein wieder über das andere schlagen soll.
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