Berliner Puppenbordell: Im Bett mit Frankensteins Monster
Das „Cybrothel“ in Friedrichshain ist als Kunstprojekt gestartet, mittlerweile ist es das erste Puppenbordell Berlins. Das gefällt nicht allen.
„Sie tropft noch.“ Philipp Fussenegger hängt den Torso der Puppe an den sogenannten Patientenlifter, stopft ein paar Taschentücher zwischen die Vulvalippen und bringt den Körper ins Backstage, ab in die Dusche zur Reinigung und Desinfektion. Im „Cybrothel“ in Friedrichshain geht es reinlich zu, und Gründer Fussenegger mutet wie ein futuristischer Frankenstein an – inmitten hängender Sexpuppenkörper.
Fussenegger ist Künstler und Filmemacher. Der gebürtige Österreicher hat in Berlin eine Freiheit gefunden, wie sie in seiner Heimat nicht möglich war. Vor vier Jahren hat er gemeinsam mit dem KI-Experten Matthias Smetana das „Cybrothel“ eröffnet, zunächst nur als Kunstprojekt.
Er versuche, die Puppen mit seiner Arbeit zum Leben zu erwecken, sagt er. „Im Backstage sind sie noch Fleisch, was am Haken hängt, und eindeutig Objekt.“ Wenn man sie jedoch in den Zimmern positioniere, in einem anderen Licht: „da könnte es dann eine echte Person sein“. Tatsächlich wirken die Räume sehr theatral, irgendwo zwischen clean-futuristischem Bordell – eben brothel – und Filmset.
Gäste können zwischen etlichen Puppen wählen, alle mit Namen, eigener Backstory und diversen Features wie verbauten Vulven (auf Wunsch vorgewärmt) oder implantierten Schamhaaren. Das Aussehen können die Kunden ein Stück weit selbst bestimmen – mit brauner Langhaar- oder lilafarbener Kurzhaarperücke.
Irritierende Sonderwünsche
In einem der Regale liegen zudem Glasaugen in verschiedenen Farben, die je nach Wunsch in die Puppenschädel montiert werden. Manche wünschen sie sich aber auch ganz ohne Kopf, sagt Fussenegger, für Sessions, die wenige Stunden oder auch über Nacht gehen können.
Noch sprechen Mitarbeiter*innen aus Fleisch und Blut, sogenannte Voice Queens, die Puppen aus Nebenräumen ein, schlüpfen in die Rollen der Figuren und interagieren mit den Gästen. Aber das „Cybrothel“ bietet auch Virtual Reality-Experiences an: Über die VR-Brille erwacht die Puppe zum Leben, während man im realen Raum mit ihrem Körper agiert.
Und dann gibt es noch „Kokeshi“. Sie war die erste Puppe im „Cybrothel“ und hat mittlerweile ein KI-Update erhalten. In einem Video der Digitalkonferenz re:publica sieht man sie auf einem Panel sprechen und mit ihrer Co-Speakerin interagieren.
Fussenegger zeigt zwei Zimmer, in denen am Morgen schon Kunden waren. Die Puppen liegen auf dem Bett, Arme und Beine von sich gestreckt, es wirkt gespenstisch. So fände man sie meistens, sagt er, nach dem Höhepunkt einfach liegengelassen. Kein Kuscheln, nichts. Vor den Terminen versuchten er und sein Team, sie für die Gäste möglichst lebendig zu drapieren.
Flecken lassen sich nicht immer entfernen
Die Silikonhaut der Puppen ist sehr weich, die Gummifinger wabbeln hin und her, Brüste und Hintern sind sehr fest, mit deutlichem Gewicht. Einigen sieht man die häufige Benutzung an, Flecken lassen sich nicht immer entfernen. Ungefähr alle anderthalb Monate müsse man eine Puppe austauschen, sagt Fussenegger. Er bestelle sie in China, einige sind Impulskäufe, deren Käufer sich anschließend schämen und ihn kontaktieren würden.
Die meisten Kunden seien um die 30. „Man hat so seine Vorurteile, denkt sich, hierher kommen die, die keine Frau kriegen. Aber nein: Es sind viele Männer, die mal was anderes wollen.“ Im „Cybrothel“ sei klar: Es ist ein Rollenspiel. „Viele unserer Gäste sind verheiratet oder haben eine Beziehung. Und wenn die Partnerin fragt: ‚Wo warst du?‘, kann man sagen, man war hier, und es ist kein Problem.“ Manchmal kämen auch Paare und probierten eine Art „Dreier light“ aus.
Fussenegger glaubt, dass Frauen – auch durch zunehmende finanzielle Gleichberechtigung – bald einen anderen Zugang zu Sex suchen und mehr Frauen „mit Robotern eine gute Zeit haben“. Ist das also die Zukunft?
Das „Cybrothel“ sei eine Erweiterung der Sexualität, sagt Fussenegger. Eine Möglichkeit, Menschen anders an Sex heranzuführen. Das könne durchaus lehrreich sein. So arbeite eine der Voice Queens auch als Sexcoach. „Viele von denen, die herkommen, haben Ängste, Scham. Das kann man hier abbauen, ein bisschen wie in einer Therapie-Session.“
Beziehungen mit KI
Bis 2050 werde es ganz normal sein, mit Robotern Sex zu haben, Beziehungen zu führen, sie zu lieben, schrieb der britische Autor David Levy 2007 in seinem Buch „Love and Sex with Robots“. Schon jetzt führen viele Menschen Beziehungen mit KI – sei es über Alexa oder mit ChatGPT.
Und manche scheinen davon mehr zu wollen: Die Washington Post hat im vergangenen Jahr einen Datensatz an Unterhaltungen mit KI-Chatbots analysiert. Etwa sieben Prozent davon waren erotischer Natur. Dabei sind viele dieser Bots darauf programmiert, explizite Anfragen abzublocken.
Wie also trainiert man eine Sex-KI? Das „Cybrothel“ verwendet Datensätze, die mit Fokus auf „Konsens, Diversität und Respekt“ ausgewählt werden, sagt Fussenegger. Die KI solle nicht bloß Floskeln wiedergeben. Außerdem nutzt das „Cybrothel“ Daten aus User-Interaktionen, um die hauseigene Sex-KI zu trainieren – allerdings nur bei ausdrücklicher Zustimmung der Kunden, versichert der Betreiber. Die Speicherung erfolge auf lokalen Prozessoren, ohne Internetzugang und Cloud-Speicherung.
Aber irritieren tun sie doch, die riesigen Brüste und Hintern der Puppen. Derzeit müssten sie sich noch auf das beschränken, was die Hersteller haben, sagt Fussenegger. Diese Puppen seien eben von Männern gemacht worden. Er selbst suche nach allem, was nicht den klassischen Sexfantasien entspricht, Fantasy-Figuren zum Beispiel. Gäste würden eher nach Puppen fragen, die nicht so perfekt aussehen. Manchmal seien es nur kleine Dinge, wie Narben. „Letztens habe ich versucht, eine ohne Busen zu bestellen – die kam dann aber doch mit bei mir an.“
„Guy Rider“ wird selten angefragt
Was bisher auf dem Markt ist, ist wenig progressiv. Sexpuppen werden in Typen wie „Wild Wendy“, „Mature Marta“ oder „Young Yoko“ eingeteilt. Nicht klar binäre oder auch männliche Sexpuppen haben es schwer. Das männliche Modell im Cybrothel – ein Kollege namens „Guy Rider“, dessen Körper im Backstage mit immersteifem Gummiglied baumelt – wird selten angefragt.
Die Geschichte der KI begann damit, dass Männer eine Idee von Weiblichkeit erschaffen. Der erste Chatroboter hieß „Eliza“ – nach der Protagonistin von George Bernard Shaws „Pygmalion“. In der berühmten Adaption „My Fair Lady“ knickst sich Audrey Hepburn als Geschöpf eines Sprachforschers bis in die oberste Gesellschaft. Die Männervorstellung einer idealen, weil devoten Frau.
Müssten Sex-KIs so programmiert werden, dass sie Konsens erfragen und selbst Grenzen für sich setzen können? Denn es gibt Anzeichen, dass Menschen mit Puppen oder KI härter umgehen. Im „Cybrothel“ gab es bisher einen Gewaltvorfall, der als Puffpuppen-Mord von Boulevardzeitungen aufgegriffen wurde.
Jessica Szczuka und Natalia Szymczyk von der Universität Duisburg-Essen haben untersucht, wie Menschen auf digitales Material reagieren, das grobe sexuelle Praktiken abbildet. Demnach bevorzugen heterosexuelle Personen computergeneriertes härteres Material gegenüber Darstellungen mit Menschen. Lassen sich digitale oder generell nichtmenschliche Charaktere also besser abstrahieren, sodass man mit ihnen rauer umgehen kann?
Kampagne gegen Sexroboter
Hinzu kommt die Idee, dass nicht erwünschte sexuelle Praktiken an Gegenständen wie Sexpuppen ausgelebt werden könnten – Pädophilie als extremstes Beispiel. Die Ethik- und Robotikforscherin Kathleen Richardson sagt zu alldem klar: Nein. Sie hat bereits vor einigen Jahren die Kampagne gegen Sexroboter ins Leben gerufen. Denn sie ist überzeugt, dass Sexroboter die Objektifizierung von Frauen und Mädchen fördern. Im Sex mit Humanoiden fehle die Empathie.
Letzteres sagt auch Kolja Nolte. Er ist Sprecher des Berufsverbands erotische und sexuelle Dienstleistungen. In seinem Domina-Studio „Atrium“ in Schöneberg ist er besser bekannt als „der Dominus“. Ein abgedunkelter Eingangsbereich, schwere Ledersessel, ein langer Gang mit Toys und Peitschen an den Wänden – Noltes Büro bewegt sich irgendwo zwischen Office und kinky Arztpraxis.
„Ich finde, bei Sexualität ist immer das Ziel, eine Verbindung einzugehen – auch wenn es eine kurze ist“, sagt Nolte. Das gelte auch für Sexarbeit. „Keiner bezahlt dich für die Handlung. Man bezahlt die Emotion, die ausgelöst wird. Die Menschen wollen ein Gefühl haben, wenn sie hier sind.“ Und eine künstliche Intelligenz könne keine Emotionen aufnehmen oder geben.
Menschen, die zu Sexarbeiter*innen gehen, wollten nicht nur Perfektion sehen, ist Nolte überzeugt. Mit der KI könne man zwar Träume ausleben, „und da sagt keiner, das geht nicht oder der ist nicht steif genug“. Das reiche aber nicht aus. „Wenn es so wäre, würden wir alle zu Hause wichsen. Und das tun wir nicht. Wir wollen eine Verbindung zu einem anderen Individuum.“ Für Nolte ist Sexualität wie ein Gespräch: „Da gibt es ein Geben und ein Nehmen. Wenn das Gegenüber nur antwortet, was dir passt, kann man das nicht richtig ernst nehmen.“
Sexarbeit biete für Kund*innen einen geschützten Rahmen, Dinge auszuprobieren, sich selbst neu zu erfahren, sagt Kolja Nolte. Dass die KI Sexarbeiter*innen irgendwann ersetzen könnte, glaubt er nicht. Ob er Sexroboter in den Verband aufnehmen würde? Nolte lacht. „In unserer Satzung steht Menschen. Wir wollen wirklich nur reine Sexarbeiter.“
Ist die Weiterentwicklung von Sexrobotern das Ende des Begehrens oder ein Weg zu einer Art transhumaner Sexualität? „Vielleicht hilft uns das auch, Tabus zu brechen, Identität neu zu definieren und Intimität radikal inklusiv zu gestalten“, sagt „Cybrothel“-Betreiber Fussenegger. Noch schweigen Puppe „Kokeshi“ und ihre Kolleg*innen zu diesen Fragen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Koalitionsvertrag schwarz-rot
Immer schön fleißig!
Schwarz-rote Koalition
Als Kanzler muss sich Friedrich Merz verscholzen
Anschläge vor Bundestagswahl
„Der Verdacht ist plausibel“
Schwarz-rote Koalition
Was befürchtet wurde …
Rechte Drohungen und mediale Ignoranz
Wo bleibt der Aufschrei gegen rechts?
Rassistischer Anschlag von Hanau
Terror-Betroffene reicht Beschwerde ein