Über Silikon-Sexpuppen in Friedrichshain: Der interaktive Sex der Zukunft

Im „Cybrothel“ werden aus Bordellbetreibern jetzt KI-induzierte und -inspirierte Sexclub-Gestalter. Unser Kolumnist macht sich da so seine Gedanken.

Zwei weibliche Sexpuppen liegen in einem Zimmer des Sexpuppenbordells Unique Dolls in Helsinki in Finnland. Versteckt hinter einem Supermarkt bietet das Bordell Sex mit knapp bekleideten Puppen an. Auch in Deutschland gibt es ein solches Etablissements wie nun in Berlin

Weibliche Sexpuppen gibt es in aller Welt, hier ein Archivbild aus einem Bordell in Finnland Foto: dpa/Steffen Trumpf

Wir erinnern uns: Westberlin hat stets Leute angezogen, die im Rechnen eine fünf und im Malen eine eins hatten, oder im Musikmachen. Heute machen sie ein großes Kontingent bei den Obdachlosen aus.

Immer wieder haben hier KünstlerInnen auch versucht, neue Bordellformen zu entwerfen. Erinnert sei nur an die Betreiberin des Bordell-Cafés „Pssst“ Felicitas und an die drei HDK-Absolventinnen, die in Schöneberg ein SM-Bordell namens „Schwanzwaldklinik“ eröffneten. Ein Karlshorster Nachwendebordell warb auf seiner Telefonansage mit dem vieldeutigen Satz „Wir haben Verständnis für Toleranz“. Diese „Experimente“ lebten meist nicht lange.

Nun, da die rotgrüngelbe Bundesregierung verkündete: „Das Leitbild der KI-Strategie ist ein europäisches KI-Ökosystem für Innovationen“, gibt es in der Hauptstadt ein neues Experiment, in dem es um „Sex of the Future“ geht. Das aus einer Künstlerinstallation entwickelte „Cybrothel“ bietet für 350 Euro eine ganze Nacht an, um sich mit einer von elf Silikon-Puppen zu „vergnügen“. Dabei kann man sich nebenbei noch von einem Pornofilm anregen lassen. Auf Wunsch liegen Kondome parat.

„Alle Puppen sprechen fließend Deutsch und Englisch.“ Paare sind im Cybrothel willkommen. Für die Frauen liegt ein Set mit „Satisfyern“ bereit. Bezahlt wird vorab per Computer. Durch den „Buchungsprozess“ führt „Kokeshi“ – eine „analoge KI“: Sie ist „eine authentische Persönlichkeit und du kannst interaktiv mit ihr spielen,“ eine „kokeshi.ai“ ist „in Arbeit“.

Nach japanischem Vorbild

„Das Cybrothel sieht sich als Weiterentwicklung des konventionellen Puppenbordells,“ heißt es im Konzept der Betreiber. „Nach japanischem Vorbild bietet es ein immersives, erotisches Erlebnis, nämlich durch die Live-Interaktion mit einer Puppe und ihrer menschlichen Sprecherin.“

Die „lebensechten“ Puppen bestehen aus Silikon. Und das Wort „immersiv“ heißt so viel wie „Eintauchen, Einbetten, Eintritt: Bis in die 2000er Jahre wurden damit vor allem Computerspiele beschrieben, in die der Spieler regelrecht eintauchte. Er wurde also in seiner eigenen Wahrnehmung ein Teil der Spiele-Welt.“

Im „Cybrothel“ scheint es umgekehrt zu sein: Der sexuell erlebnishungrige Kunde zahlt Minimum 85 Euro für 30 Minuten mit Monika, Barbie oder Hito – „ohne ihre Stimme, nur die Puppe“. Wer sie zum Vergnügen beschädigt, muß natürlich was draufzahlen. Je realistischer sie aussieht, desto teurer ist sie. „Die Silikonpuppen werden nach jedem Gebrauch gereinigt und desinfiziert.“

Wäre man so begeistert von dieser unblutigen Abschaffung der Prostitution durch Silikon – wie etwa die Enthusiasten für das noch neue Internet und die sozialen Medien am Anfang (unter anderem der „Chaos-Computer-Club“, der Medienwissenschaftler Geert Loving und die „Digitale Bohème“), dann würde man vielleicht meinen: Im Friedrichshainer „Cybrothel“ werden aus Zuhältern oder Bordellbetreibern wieder Künstler – KI-induzierte und -inspirierte Sexclub-Gestalter. Jede Puppe hat einen Lebenslauf. So liest eine Puppe namens Paris aus ihrem Paris-Hilton-„Tagebuch“ vor und sieht ihr auch ähnlich.

„KI ist für Frauen ein Albtraum“

Wenn auch noch nicht so wie all die „wirklich“ KI-generierten Fotos und Clips u.a. mit dem „Deepfake-Pornostar“ Scarlett Johansson. Diese ist nur eine von vielen Frauen und Stars, die ProtagonistInnen von Sexvideos sind, die von künstlicher Intelligenz generiert wurden.

Die „Washington Post“ berichtet, dass ein „Deepfake“-Video, in dem Johansson zu sehen ist, allein auf einer Pornoseite über 1,5 Millionen Mal aufgerufen wurde. „KI ist für Frauen ein Albtraum“, titelte die Zeitung. „Tatsache ist, dass der Versuch, sich vor dem Internet und seiner Verderbtheit zu schützen, im Grunde ein hoffnungsloser Fall ist.

Das Internet ist ein riesiges Wurmloch der Finsternis,“ meint Scarlett Johansson. Zumal die rechtlichen Möglichkeiten, gegen „Deepfake-Pornographie“ vorzugehen, sehr begrenzt sind und die KI-Bilderflut quasi stündlich steigt. Wandert damit auch die Pornoproduktion ins Virtuelle? Und ist das „Cybrothel“ fast schon ein innovatives „KI-Ökosystem“?

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geb. 1947, arbeitet für die taz seit 1980, Regionalrecherchen, ostdeutsche Wirtschaft, seit 1988 kulturkritischer Kolumnist auf den Berliner Lokalseiten, ab 2002 Naturkritik.

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