Berliner Kunsttipps der Woche: Kristall und Eisenkufe

Brigitte Werneburg empfiehlt Fotoarbeiten von Isabelle Le Minh in der Alfred Ehrhardt Stiftung und die Ausstellung „Common Ground“ bei 68projects.

Ein buntes Kristall schwebt vor einer Berglandschaft (Kunstwerk von Isabelle Le Minh)

Le Minh, „Amazonenstein, Pikes Peak, Colorado“ aus der Serie „Kristallklar, after Alfred Ehrhardt“ Foto: Isabelle Le Minh / ADAGP, Paris

Einer Institution im Kunstbereich vorzustehen, die grundsätzlich der Pflege eines Erbes dient, mag auf den ersten Blick keine besonders reizvolle Aufgabe sein. Meistert man diese Aufgabe wie es Christiane Stahl mit der Alfred Ehrhardt Stiftung gelingt, dann freilich wird es wirklich spannend. Denn gerade die Überlegungen wie die künstlerische Hinterlassenschaft des Musikers und naturkundlich orientierten Fotografen und Dokumentarfilmers mit den entsprechenden zeitgenössischen Positionen zu verbinden wäre, führen notwendigerweise zu den schönsten Entdeckungen.

Jetzt ist es Isabelle Le Minhs Präsentation ihrer „Cristal réel“ die man nicht versäumen darf. Die Arbeit ist Teil der Werkgruppe „After Photography“, in der sich die 1965 geborene deutsch-französische Künstlerin mit Meisterfotografen wie Henri Cartier-Bresson, Hiroshi Sugimoto oder Bernd und Hilla Becher auseinandersetzt. Dabei thematisiert sie den fotohistorischen wie fototheoretischen Kontext des ikonischen Œuvres, indem sie Teilaspekte fokussiert, die sie zum Motiv ihrer Neuinterpretation des Werks macht.

Nun also ist Alfred Ehrhardt der Meisterfotograf, wobei Le Minhs Interesses dem Archiv-Konvolut aus 600 Fotografien und 400 Glasnegativen gilt, das Kristalle zeigt. Zufällig ist diese Wahl nicht, denn vor ihrer künstlerischen Ausbildung hat Le Minh Kristallografie studiert. „Cristal réel“ – ein Begriff aus der Kristallografie, der unvollkommene Kristalle meint, wie sie in der Natur vorkommen – besteht aus zwei neuen, aus der Arbeit mit dem Archiv entstandene Serien.

Da die Kulturbeilage taz Plan in unserer Printausgabe derzeit pausiert, erscheinen Texte nun vermehrt an dieser Stelle. Mehr Empfehlungen vom taz plan: www.taz.de/tazplan.

Isabelle Le Minh: „Cristal réel“, Alfred Ehrhardt Stiftung, Di.–So. 11–18 Uhr, bis 6. September, Auguststraße 75.

„Common Ground“, 68projects, Di-Sa 12-18 Uhr, bis 5. September, Fasanenstr. 68.

Zum einen „Kristallklar“, die Serie bei der Le Minh Alfred Erhardts originale Negative mit all ihren Fehlern und Retuschen mit Landschaftsbildern unterlegt, die sie im Internet gefunden hat, von den Gegenden, aus denen die Kristalle stammen. Das Resultat sind bezaubernde Sandwiches, die rätselhaft zwischen harten geometrischen und weichen organischen Formen, zwischen wissenschaftlicher Darstellung und ästhetischer Empfindung oszillieren.

In den „Cristallogrammes“ dann baut Isabelle Le Minh aus fotografischen Archivmaterialien kleine Konstruktionen, die – auf Fotopapier gelegt und dann belichtet – ausschauen wie Kristalle, genauer noch wie Kristalle wie sie Alfred Ehrhardt fotografiert hat. Selbstironisches Hightlight: die Bücher über Kristallografie, die die Künstlerin so aufeinander geschichtet und arrangiert hat, dass ihr Bild exakt so aussieht wie der große Abzug in der Ausstellung von einer Kristallfotografie von Alfred Ehrhardt.

Stühle zum Tanzen bringen

Der „Common Ground“, den die Gruppenausstellung mit Hiba Alansari, Tewa Barnosa und Wael Toubaj bei 68projects zum Titel hat, ist Berlin. Hier leben die drei Künstler*innen inzwischen, die aus Syrien und Libyen stammen. Sie alle sind Preisträger*innen des Ausstellungs- und Mentorenprogramms „A Journey of Belonging Part II“, das im Frühjahr 2019 von der Contemporary Arts Alliance Berlin (CAA Berlin) im Bikini-Haus organisiert worden war. Die Contemporary Arts Alliance entstand aus privatem Engagement und fördert die zeitgenössischer Kultur in Berlin in den Bereichen Bildende Kunst, Theater, Musik und Tanz.

Die Galerieräume in der Fasanenstraße wirken aufgeräumt. Denn die Kunst der Preisträger macht sich leicht, die Arbeiten sind transportabel, schnell auf- und abgebaut und doch sind sie sehr bedacht und absolut richtig im Raum platziert.

Zunächst ist da die Wandarbeit von Tewa Barnosa. Die lybisch-berberische Künstlerin hat in Tripolis Wandinschriften gesammelt, Graffiti die die politische Situation ironisch bis sarkastisch kommentieren. Auf helle Ziegelsteine geschrieben will „silent protest“ durchaus als eine zeitgenössische Fortführung und aktuelle Version des Corpus Inscriptionum Latinarum gelten, in dem die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften lateinische Inschriften in aller Welt sammelt, darunter selbstverständlich Fundstücke eben aus Libyen.

Im hinteren Bereich des Hauptraums scheinen Hiba Alansari Blätter, in die feine Netze und Fäden eingelassen sind, vor der Wand zu schweben. Mit den Eisenkufen freilich, auf die sich Alansari in ihrer Performance „Balance“ stellt, um sie mit ihren Füßen in Bewegung zu bringen, parallel zu ziehen oder übereinander zu türmen, macht sie selbstbewussten, selbstbehauptenden krachenden Lärm.

Wael Toubaj setzt sich in „Ubrugskunst“ mit seinen Erfahrung in Dänemark auseinander, wo er an der Kunstakademie Fünen in Odense studiert hat. Ubrug oder übrig waren die Holzstücke, die er im Wald gefunden und zu einen Stuhl zusammengesetzt hat, der skandinavischem Design Hohn zu sprechen scheint, bei genauerer Betrachtung aber im Gegenteil eine wunderbare skulpturale Hommage ist, was vor allem in Toubajis Animationsfilm deutlich wird, in dem der Künstler die Stuhlskulptur zu Tanzen gebracht hat.

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war Filmredakteurin, Ressortleiterin der Kultur und zuletzt lange Jahre Kunstredakteurin der taz. Seit 2022 als freie Journalistin und Autorin tätig. Themen Kunst, Film, Design, Architektur, Mode, Kulturpolitik.

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