Berliner Hausprojekt vor der Räumung: Viel Liebe für die Liebig
Mieterinis, Anwohnende, Besetzerinnen, Militante und die Linke: Die Unterstützung für die Liebig 34 ist groß. Groß wird aber auch der Polizeieinsatz.
Doch ab Donnerstagmorgen, 5 Uhr wird es mit der bislang nur durch nächtliche Hubschraubereinsätze gestörten Ruhe vorbei sein. Dann errichtet die Polizei eine Sperrzone. Zwischen Bersarinplatz und Rigaer Straße 94 sowie entlang der Liebigstraße ist ein Durchkommen nur noch für Anwohnende oder Personen mit triftigem Grund möglich. Das Abstellen von Pkws ist in einem noch größeren Bereich bis Sonntag früh untersagt; bis Freitagmitternacht gilt ein generelles Versammlungsverbot. Schule und Kitas bleiben geschlossen.
Im Raum steht eine Zahl von bis zu 5.000 Polizist*innen, die die wohl schwierigste Räumung seit Langem absichern sollen. Ihre Aufgaben: das angekündigte „Chaos“, das Unterstützer*innen des Hauses in der Umgebung herbeiführen wollen, unterbinden, den für 7 Uhr angekündigten Gerichtsvollzieher zum Haus bringen und die verbarrikadierte Trutzburg einnehmen.
Unterstützer*innen der Liebig haben am Freitagfrüh ab 3 Uhr zwei Kundgebungen am Bersarin- und am Forckenbeckplatz angemeldet, rufen aber vor allem dazu auf, eigenständig in der Umgebung durch Blockade- und Störaktionen aktiv zu werden. Für den Abend ist ab 21 Uhr eine Demonstration ab Monbijoupark angekündigt.
Benjamin Jendro, Sprecher der Gewerkschaft der Polizei Berlin, machte auf eine kuriose Folge des tagelangen Einsatzes aufmerksam. Über Kontrollen der ab Samstagnacht geltenden Sperrstunde für Kneipen sagte er: „Wir werden derartige Verstöße eigentlich nur bei Einrichtungen rund um die Liebig 34 kontrollieren können.“ Dort allerdings wird angesichts von Tausenden Polizist*innen und Demonstrant*innen auf relativ engem Raum das Abstandsgebot nur schwer einzuhalten sein.
Zwangsräumung in der Pandemie
Mitten in der Pandemie werden etwa 40 Menschen ihr Zuhause verlieren. Der Senat hatte Ende September beschlossen, auf Zwangsräumungen bis zum Jahresende zu verzichten. Dies gilt jedoch nur für die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften. Der Appell an die freie Wohnungswirtschaft hat zumindest bei dem Liebig- 34-Eigentümer Padovicz nicht gefruchtet.
Viele Anwohnende sind trotz aller Scherereien solidarisch mit ihren Nachbar*innen. „Die Vorstellung, dass sie aus ihrem Zuhause vertrieben werden, finde ich furchtbar. Wo sollen sie denn hin?“, fragt am Mittwoch eine 26-jährige Passantin vor der Bäckerei 2000 direkt am Dorfplatz. Ein Obdachloser, der in der Rigaer Straße unter einem Balkon lebt, sagt: „Die Stimmung im Kiez ist gedrückt. Das bunte, dreckige Berlin, das viele so lieben, wird es nicht mehr geben, wenn Projekte wie die Liebig zerstört werden.“
Das Bündnis Mietenwahnsinn hat sich in einem offenen Brief mit scharfer Kritik an die Mitglieder des Abgeordnetenhauses gewandt. Verwiesen wird darauf, dass Padovicz viele seiner Immobilien leer stehen lasse. Dass trotzdem und angesichts der chronischen Wohnungsnot Mieter*innen geräumt werden sollen, sei offenbar „die Logik des Marktes. Eine Logik, der wir uns nicht fügen sollten.“ An den Senat wird appelliert, „das Menschenrecht auf Wohnen zu garantieren“ und alle Zwangsräumungen auszusetzen.
Linke solidarisiert sich
Die Linke bedauerte in einer Stellungnahme die anstehende Räumung. Sie sei „Ausdruck davon, wie sich Spekulanten gestützt auf geltendes Recht die Stadt als Renditeobjekt aneignen können“. Den Innensenator forderte die Partei auf, seine Spielräume bei der Unterstützung des Gerichtsvollziehers, etwa durch „zeitliches Aufschieben, eine andere Einsatzgröße und -taktik“, zu nutzen.
Die Linken-Vorsitzende von Friedrichshain-Kreuzberg, Kerstin Wolter, kritisierte gegenüber der taz, dass sich Padowicz auf keine Verhandlunsgversuche oder einen möglichen Ankauf des Hauses durch die Stadt eingelassen habe: „Unternehmer wie Padovicz sind Teil von einer antisozialen Mietenpolitik, die sich grundsätzlich ändern muss“, so Wolter.
Der Berliner Mieterverein appelliert an den Eigentümer, das Berufungsverfahren gegen das Räumungsurteil vor dem Kammergericht abzuwarten. „Der Vermieter mag aus dem Urteil des Landgerichts vollstrecken dürfen, doch damit befindet er sich auf dünnem Eis“, so der Mieterverein. Liebig-Anwalt Moritz Heusinger argumentiert, dass die Bewohner*innen trotz des ausgelaufenen Gewerbemietvertrages als Mieter*innen angesehen werden müssten, die nicht einfach auf die Straße gesetzt werden könnten.
Militanz und Vorverurteilung
Unterdessen wurde in Bezugnahme auf die Liebig ein Polizeigebäude in Lichtenberg attackiert und Fahrzeuge beschädigt und die Scheiben eines SPD-Büros in Neukölln eingeworfen. Am Nachmittag besetzte eine Gruppe Jugendlicher ein seit zehn Jahren leerstehendes Haus in der Perleberger Straße 50 in Moabit. Transparente hingen kurz darauf auch aus einem Gebäude in der Siegfriedstraße in Pankow.
Der Vereinschef des Nutzervereins der Liebig 34, Janko E., hat nach taz-Informationen eine Strafanzeige gegen unbekannt gestellt. Im RBB-Magazin „Kontraste“ war er namentlich erwähnt worden, samt dem Hinweis, er sei wegen Körperverletzung zwei Mal verurteilt worden. Für den nicht vorbestraften E. steht fest, dass die Information unrechtmäßig aus Polizeikreisen weitergegeben worden sei.
Im selben Beitrag war eine weitere Aktivistin mit Meldeadresse und einem gegen sie ergangenen Strafbefehl erwähnt worden. Gegen die weitere Verbreitung des Beitrages geht E. mittels einer einstweiligen Verfügung vor.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Zweite Woche der UN-Klimakonferenz
Habeck wirbt für den weltweiten Ausbau des Emissionshandels
Krieg in der Ukraine
Biden erlaubt Raketenangriffe mit größerer Reichweite
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga