Berichterstattung zum Frauentag: War da was?
In Berlin haben am 8. März 10.000 Menschen demonstriert. An diese Zahl zu gelangen war schwer. Denn einen Bericht war es vielen Medien nicht wert.
Es ist Mittwochabend. Um mich herum protestieren Menschen mit Transparenten und Sprechchören gegen Sexismus und Diskriminierung, fordern das gute Leben für alle. Es ist eine von mehreren Berliner Demonstrationen zum Internationalen Frauentag, organisiert von dem Bündnis Frauen*kampftag.
Wir sind schon mehrere hundert Meter gelaufen, da klingelt mein Telefon. Eine Freundin steht am Startpunkt der Demo und sucht mich – auf dem Platz selbst sind immer noch so viele Menschen versammelt, dass vielen gar nicht klar ist, dass der Protestzug schon läuft. Wir sind viele. Doch wer nicht dabei war, wird davon nur am Rande erfahren.
Am nächsten Morgen will ich wissen, wie viele Menschen an der Demonstration teilgenommen haben. Auf der Webseite der Berliner Zeitung und des Tagesspiegels finde ich: nichts. Hier dreht sich alles um den anstehenden Streik an Berliner Flughäfen. Das Boulevardblatt BZ berichtet außerdem, wie Berliner Polizisten Jagd auf Dachse und Wildschweine machen.
Ich suche nach „Frauentag“, „Demonstration“ und „Berlin“ bei Google News – und finde einen Artikel der Berliner Zeitung darüber, wie der 8. März in der DDR gefeiert wurde. „Frauentag: Warum gibt es den?“, fragt die Aachener Zeitung. Es gibt Sammeltexte, die in jeweils kurzen Absätzen zusammenfassen, was in welchem Land passiert ist, zu den USA gibt es längere Artikel. Im letzten Absatz eines Artikels im Neuen Deutschland heißt es: „Auch in Berlin protestierten mehrere tausend Menschen für Frauenrechte.“
Nun fanden die Demos vor allem abends statt, die Texte müssen vielleicht noch geschrieben werden. Ich durchsuche die Agenturmeldungen. Hier wird doch wohl irgendwo die Zahl der Teilnehmenden zu finden sein, getickert von dpa, AFP oder sonst einer Agentur. Fehlanzeige. Auch ein Anruf bei der Pressestelle der Berliner Polizei hilft nicht weiter – man gebe generell keine Zahlen mehr heraus, heißt es.
Wir waren viele
Erst eine Mail an die Veranstalter*innen gibt Aufschluss: Ihren Angaben zufolge liefen etwa 8.000 Menschen mit. Bei der Abschlusskundgebung auf dem Kreuzberger Oranienplatz sollen es dann etwa 10.000 gewesen sein – hier kamen die verschiedenen Demos zu einem gemeinsamen Abschluss zusammen.
Wir waren viele. Es gab mehr Aktionen als im Vorjahr, nicht nur in Berlin. Auch in Hamburg etwa waren gleich vier Demonstrationen angekündigt. Das war dem Hamburger Abendblatt einen Vorabbericht wert – um Autofahrer vor Verkehrsbehinderungen zu warnen.
Warum gibt es so gut wie keine Berichte von dem Abend, an dem deutschlandweit Tausende für die Rechte von Frauen protestiert haben?
Der Internationale Frauentag gilt vielen als eine Art „Pflichtveranstaltung“. Entstanden ist er Anfang des 20. Jahrhunderts – als Frauen noch dafür kämpfen mussten, überhaupt wählen zu dürfen.
Heute beschleicht einen oft der Verdacht, der 8. März werde mit einem zweiten Muttertag verwechselt. Männer wünschen Frauen „Alles Gute zum Frauentag“, der Chef verteilt Blumen an die Kolleginnen im Büro – quasi eine Perversion dieses Tages an sich. Medien bringen vorab ihre Standardartikel – siehe oben – und damit ist das Programm abgehakt.
Frauenrechte sind nicht selbstverständlich
So auch in diesem Jahr. Doch die Art der Berichterstattung wird der feministischen Bewegung noch viel weniger gerecht als in den vergangenen Jahren. Denn gerade jetzt entdecken viele Menschen wieder, warum – und worum – es sich an diesem Tag zu kämpfen lohnt.
Es ist in den vergangenen Monaten immer wieder gesagt worden: Der rechte Backlash politisiert die Menschen, bringt sie auf die Straße. Frauenrechte wurden über Jahrzehnte in harten Kämpfen errungen. Sie sind nicht selbstverständlich. Menschen wie Donald Trump sind der lebende Beweis dafür, dass diese Rechte auch wieder eingeschränkt werden können.
Überall auf der Welt, von den USA über Argentinien nach Deutschland, haben Frauen in den letzten Monaten lautstark ihre Stimme erhoben, die mediale Aufmerksamkeit war groß. Doch einen Tag nach dem 8. März scheint es damit vorbei zu sein. Die ausbleibende Berichterstattung zeigt: Wir müssen wohl noch viel lauter werden.
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