Bericht zur Geschlechtergerechtigkeit: Bloß noch 257 Jahre
Laut Gleichstellungsbericht des World Economic Forum schneidet Island am besten ab. Deutschland landet hinter Nicaragua und Ruanda auf Platz zehn.

„Niemand von uns wird zu Lebzeiten Geschlechtergerechtigkeit erleben. Dasselbe gilt für viele unserer Kinder.“ So ernüchternd beginnt das World Economic Forum (WEF) den Bericht über seinen „Global Gender Gap Report 2020“, der am Dienstag erschienen ist. Zwar gibt es vereinzelt positive Nachrichten: So schneiden Island, Norwegen, Finnland und Schweden erwartbar gut ab. Doch Deutschland kommt erst nach Spanien, Nicaragua und Ruanda auf Platz zehn. Und global wird ökonomische Geschlechtergerechtigkeit erst im Jahr 2276 erreicht.
Das WEF mit Sitz in Genf analysiert jedes Jahr die Gleichberechtigung von Frauen und Männern in 153 Ländern. Gemessen wird nach vier Kriterien: wirtschaftliche Teilhabe, Bildung, Gesundheit und politisches Empowerment. Zwar sei das Bestreben nach Geschlechtergerechtigkeit grundsätzlich gestiegen, so das WEF. Doch zum Beispiel in der politischen Arena bekleideten Frauen global nur rund ein Fünftel aller ministerialen Posten. Und auch die Teilhabe von Frauen auf dem Arbeitsmarkt sei in der Entwicklung „stecken geblieben“, weshalb die finanzielle Ungleichheit wachse.
Deutschland kehrt zwar zum ersten Mal seit 2007 in die Top Ten zurück – was vor allem daran liegt, dass die politische Teilhabe von Frauen gestiegen ist: 40 Prozent der MinisterInnen sind Frauen. Und auch Angela Merkels Amtszeit beeinflusst Deutschlands Ranking: „14,1 der vergangenen 50 Jahre mit einer Frau an der Spitze“ verbessert die Statistik. Nichtsdestotrotz hatte Deutschland 2006 schon mal auf dem 5. Platz gelegen. Dass es das nicht mehr schafft, liegt vor allem daran, dass Männer weiter wesentlich mehr verdienen als Frauen, sowie an der Tatsache, dass Frauen in der Wirtschaft deutlich unterrepräsentiert sind: Beim Gender Pay Gap liegt Deutschland nur auf Platz 68, bei der Machtbeteiligung in der Wirtschaft auf Platz 89 im globalen Vergleich. Zudem arbeiten Frauen in Deutschland jeden Tag 1,6-mal so viel wie Männer im Haushalt und in der Kinderbetreuung – unbezahlt. Das ist Zeit, die ihnen nicht zur Verfügung steht, um in ihre Karriere zu investieren.
Um im Berufsleben aufzuholen, müssen Frauen auf der ganzen Welt strukturelle Hürden überwinden, so das WEF: Sie müssen Kinder betreuen, sie haben zu wenig Zugang zu Kapital. Doch die größte Schwierigkeit, um vor allem den ökonomischen Gender Gap zu schließen, seien zu wenige Frauen auf dem Arbeitsmarkt: Nur 55 Prozent aller Frauen zwischen 15 und 64 Jahren arbeiten, aber 78 Prozent aller Männer.
Vor allem in digitalen Zukunftsbranchen fehlen Frauen: In der Kategorie „Cloud Computing“ zum Beispiel sind global nur 12 Prozent aller Fachkräfte Frauen, im Ingenieurwesen nur 15 Prozent. Um diese Defizite zu beheben, müsse bei Besetzungen auf Diversität geachtet werden. Und Frauen müsse es leichter gemacht werden, sich zu qualifizieren: Sie müssten besser gefördert werden.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Friedensforscherin
„Wir können nicht so tun, als lebten wir in Frieden“
Prozess gegen Maja T.
Ausgeliefert in Ungarn
Klimaneutral bis 2045?
Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen
Bundesregierung und Trump
Transatlantische Freundschaft ade
CDU-Chef Friedrich Merz
Friedrich der Mittelgroße
ifo-Studie zu Kriminalitätsfaktoren
Migration allein macht niemanden kriminell