Gender Pay Gap: Vorteil Ost
Der Gender Pay Gap ist im Osten geringer als im Westen. Der Osten ist nicht so prekär und defizitär, wie auch heute noch gern behauptet wird.
D as klingt top: Frauen sind heute zunehmend häufiger berufstätig als kurz nach dem Mauerfall – sowohl im Osten als auch im Westen. In Niedersachsen, Bayern, Hessen und den anderen Westländern arbeiten laut einer aktuellen Studie zur Gleichberechtigung der Hans-Böckler-Stiftung mittlerweile gut 71 Prozent der Frauen. In Sachsen, Thüringen, Brandenburg und dem Rest des Ostens sind es 74 Prozent.
Die schlechte Nachricht dabei: Die höhere weibliche Erwerbsquote ist einer allseits gestiegenen Rate an (weiblichen) Teilzeitjobs geschuldet. Das ist nicht überraschend, sondern eine Folge der vergangenen 30 gemeinsamen Jahre in Ost und West: Westfrauen orientieren sich an Ostfrauen, für die Berufstätigkeit die normalste Sache der Welt war und ist. Egal, wie viele Kinder sie haben. Und Ostfrauen nehmen jetzt ein Recht in Anspruch, das ihnen in der DDR nahezu verwehrt geblieben war, für Westfrauen aber das gängige Erwerbsmodell darstellte: mehr Zeit für Kinder, Familie, (unbezahlte) Care-Arbeit.
Diesen Aspekt der deutsch-deutschen Entwicklung – unabhängig davon, wie man ihn bewertet – zeigt deutlich, wie der Osten den Westen beeinflusst hat. Daher ist es auch wenig verwunderlich, dass der Gender Pay Gap im Osten geringer ist als im Westen, zumindest bei den nicht ganz jungen Frauen. Wer sein Leben lang Vollzeit gearbeitet hat, bekommt (in der Regel) auch eine bessere Rente.
Wer nach Ausbildung und Studium unmittelbar in den Job eingestiegen ist und durchgängig berufstätig war, landet in der Firma eher auf einem Chefinnensessel. Der Osten ist nicht so prekär und defizitär, wie das manche auch 30 Jahre nach der Wende immer noch gern behaupten. Auch wenn man eine ostdeutsche Elite fast mit der Lupe suchen muss.
Ungeachtet dessen sind Frauen in Ost und West in Führungspositionen unterrepräsentiert. Das allerdings hat keine speziell ost- oder westdeutschen Ursachen, sondern ist ein Relikt männlicher Machtgebahren und -strukturen, die überall in Deutschland zu finden sind. Auch noch 30 Jahre nach der Wende.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Berliner Kultur von Kürzungen bedroht
Was wird aus Berlin, wenn der kulturelle Humus vertrocknet?
Argentiniens Präsident Javier Milei
Schnell zum Italiener gemacht
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?