Bericht zu rechten Polizeichats in NRW: „Gravierende Mängel“
In NRW flogen PolizistInnen mit rechtsextremen Chats auf. Nun bilanziert ein Untersuchungsbericht: Frühwarnsysteme hätten versagt.
Ermittelt wurde anfangs gegen gleich 29 Polizeibeamte, fast alle aus dem Polizeipräsidium Essen, insbesondere der Mülheimer Dienstgruppe A, die samt Dienstgruppenleiter komplett suspendiert wurde. Über Jahre sollen die PolizistInnen in Chatgruppen rechtsextreme Inhalte verschickt haben.
Dies flog nur zufällig auf, weil einer der Polizisten durchsucht wurde, mit dem Vorwurf, Polizeiinterna an einen Journalisten verraten zu haben. Innenminister Reul nannte die Chats eine „Schande für die NRW-Polizei“ – und setzte eine polizeiinterne Sonderinspektion ein, welche die Vorgänge im Polizeipräsidium Essen untersuchte sollte.
Bereits zu Jahresbeginn legte diese ihren rund 30-seitigen Bericht, der als „Verschlusssache“ eingestuft ist, Reuls Innenministerium vor. Am Donnerstag wurde der Bericht im Innenausschuss des Landtags vorgestellt. Bereits vorab versandte Reul am Mittwoch eine Vorlage an den Ausschuss, in der Kernergebnisse des Berichts zusammengefasst werden.
In der Vorlage vom Mittwoch heißt es: „Ein Netzwerk von (Rechts-)Extremisten innerhalb der Kreispolizeibehörde Essen oder innerhalb der Polizei NRW existiert nicht.“ Über die Mülheimer Dienstgruppe fällt die Sonderinspektion dennoch ein harsches Urteil.
„Alle Aspekte gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit“
Die Chatgruppen der dortigen Polizeibeamten seien zwar nicht originär extremistisch gewesen, sondern zum dienstlichen oder privaten Austausch, in einem Fall etwa für Kegelverabredungen. „Temporär und sukzessive“ seien dort aber rechtsextreme Inhalte eingestellt worden, vor allem im Kegel-Chat. Hervorgetan habe sich „eine Gruppe negativer Treiber, die sich mit Unterstützern umgeben hatte“.
Über diese urteilt der Bericht deutlich: „Das Handeln der Treiber und Unterstützer ging deutlich über das Posten rechtsextremistischer, fremdenfeindlicher, rassistischer und antisemitischer Inhalte hinaus. Es erfasste nahezu alle Aspekte des Syndroms Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, nämlich Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus, Islamophobie, Sexismus, Homophobie etc.“
Zudem seien die „Treiber“ und ihre Unterstützer auch anderweitig mit Straftaten wie Körperverletzungen, Delikten gegen die sexuelle Selbstbestimmung oder Amts-, Eigentums- oder Staatsschutzdelikten aufgefallen. Der Bericht spricht von einer „Multidevianz“.
Laut der Sonderinspektion hätte das schon früher Konsequenzen haben müssen. In der Dienststelle habe ein „nicht zu tolerierender innerbetrieblicher Umgang“ geherrscht. Die Straftaten der PolizistInnen seien „in ihrem Umfeld wahrnehmbar“ gewesen. Dies hätte „Aktivitäten bzw. Interventionen auslösen müssen“. Jedoch: „Solche waren nicht feststellbar.“ Problematisch sei dabei gewesen, dass einige der Beamten schon lange auf ihren Positionen oder in der Dienststelle saßen und gleichen Alters waren.
Ein Fall von Führungsversagen
Auch die Vorgesetzten kritisiert der Bericht: „Vor allem aber haben Führungskräfte im unmittelbaren Umfeld ihre Führungsaufgaben nicht ordnungsgemäß wahrgenommen.“ Die Sonderinspektion schreibt von „gravierenden und weitreichenden Mängeln“ in der Mülheimer Dienstgruppe. Frühwarnmechanismen hätten „nicht gegriffen“, weil etwa Beschwerden oder Anzeigen wegen Amtsdelikten nicht ausreichend bearbeitet wurden.
Mit dem obersten Behördenchef, Essens Polizeipräsident Frank Richter, geht die Sonderinspektion dagegen milder um. Ihm attestiert sie eine Bereitschaft zu einer „guten Gesprächskultur“ und zu Sensibilisierungsmaßnahmen der Beschäftigen gegen Extremismus.
Die Sonderinspektion untersuchte zudem Vorgänge in der Essener Polizei zurück bis zum Jahresanfang 2012. Dabei wurden 250 Beschäftigte befragt, Ortsbesichtigungen durchgeführt, Akten ausgewertet. Vergleichbare Fälle wie in der Polizeiwache Mülheim seien dabei aber nicht festgestellt worden, heißt es im Bericht.
In 82 Fällen sei aber Hinweisen auf rechtsextreme Vorgänge nachgegangen worden. 25 davon hatten tatsächlich eine straf- oder disziplinarrechtliche Relevanz, 17 eine extremistische. Gemessen an der Behördengröße seien diese Zahlen aber „nicht signifikant erhöht“, so die Sonderinspektion.
Polizeipräsident versus Reul
Essens Polizeipräsident Richter hatte bereits Mitte Februar in einem Schreiben an das Innenministerium behauptet, dass es keine rechtsextremen Chatgruppen in seiner Behörde gab. Richter bezog sich dabei explizit auf den noch nicht öffentlichen Bericht der Sonderinspektion und beklagte, dass das Mitarbeitermagazin der Polizei NRW das Thema „Rechtsextremismus in der Polizei“ zum Titel gemacht hatte.
Reul wies diese Darstellung am Mittwoch zurück. Richter habe den Bericht „nicht vollständig wiedergegeben“. Der Minister verteidigte auch den Rechtsextremismus-Titel des Polizeimagazins: Dass die Berichterstattung zu Kontroversen führen würde, „war nicht nur voraussehbar, sondern beabsichtigt“.
Am Donnerstag sagte Reul vor dem Innenausschuss bei einem Gespräch mit Journalisten: „Jeder einzelne Fall ist ein Drama, aber es sind nicht die großen Mengen“. Die Dimension sei „zu groß, aber nicht so groß, dass man von einem Problem in der ganzen Polizei reden muss“. Insgesamt sei die Lage „eigentlich nicht so schlimm“, wie er ursprünglich befürchtet habe.
Der Innenminister kündigte an, aus dem Lagebild Konsequenzen ziehen zu wollen. Bis zum Herbst wolle der Beauftragte des Innenministeriums für rechtsextremistische Tendenzen in der Polizei eine Handlungsempfehlung vorlegen.
Reul präsentierte am Donnerstag im Landtag auch ein Lagebild zu „Rechtsextremistischen Tendenzen in der Polizei NRW“. Demnach gab es von Anfang 2017 bis Ende 2020 insgesamt 212 Hinweise auf rechtsextreme Vorkommnisse im Land. In 186 Fällen davon wurde ein disziplinar- oder strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet. Elf dieser Fälle betrafen auch Regierungsbeschäftigte und 13 Polizeiführungskräfte. Die meisten Fälle spielten, wenig überraschend, bei der Polizei Essen (50). Es folgten Aachen (25) und Köln (21).
Vier der PolizistInnen hatten dabei direkten Kontakt zu rechtsextremen Organisationen, einer war gar Mitglied. Das Lagebild sieht bei der Mehrzahl der betroffenen Beamten dennoch „kein geschlossenes rechtsextremistisches Weltbild“.
Die auffälligen Chatgruppen sei vielmehr „innerdienstliche Gesinnungsgemeinschaften“ gewesen, in denen rechtsextreme Äußerungen „zumindest toleriert“ wurden. Und: „Konspirative und handlungsorientierte rechtsextremistische Netzwerke innerhalb der Polizei NRW sind bislang nicht nachweisbar.“
In der Konsequenz wurden inzwischen aber bereits sechs Kommissarsanwärter entlassen. Und das Innenministerium bestätigte auf taz-Anfrage, dass inzwischen 40 weitere Hinweise eingingen. Mit Stand 10. März gibt es damit 252 Hinweise auf rechtsextremes Verhalten in der Polizei NRW, die 247 Polizeibeamte betreffen.
Aktualisiert und ergänzt am Donnerstag 11.03.2021 um 16:25 Uhr und noch einmal um 17:20 Uhr.
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