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Bericht Corona-SachverständigenausschussDie große Ungewissheit

Kommentar von Kathrin Zinkant

Helfen Masken? Was bringen Schulschließungen? Solche Fragen kann der Corona-Sachverständigenbericht mangels Daten nicht beantworten.

Was hat sich eigentlich an den Schulen getan? Foto: Daniel Bockwoldt/dpa

G roße Erwartungen können nur enttäuscht werden, aber selten war die Enttäuschung so vorprogrammiert, wie im Fall des Sachverständigenausschusses, der die Coronamaßnahmen bewerten sollte. 160 Seiten ist der Bericht stark, und er tut erwartbar nicht, was er tun sollte: Gewissheit schaffen. Sind Lockdowns wirksam? Schwer zu sagen. Helfen Masken? Ja, schon, unter Bedingungen. Wird es noch einmal Schulschließungen geben? Steht in den Sternen. Ob sie in einer Pandemie überhaupt den gewünschten Nutzen bringen, ebenfalls. Es fehlen die Daten.

Das große Datenloch zu Infektionsketten, zu Effekten von Kontaktbeschränkungen oder Homeschooling ist zurecht ein zentraler Kritikpunkt des Ausschusses am Umgang mit der Pandemie – auch wenn die Frage, wer daran schuld ist, mit einem Fingerzeig auf „die Politik“ und das Robert-Koch-Institut sicher nicht beantwortet ist. Genauso steht es um die Kommunikation: Zu gering war laut Bericht das Bestreben, Migranten, Geringverdienende und Menschen aus bildungsfernen Schichten für die Maßnahmen zu gewinnen, einen Draht zu den BürgerInnen zu suchen, die mit ihren Existenzen, Familien, Seelen aushalten mussten – und müssen –, was der Kampf gegen das Virus ihnen aufbürdet.

Bei aller berechtigten Kritik aber bleibt von zentraler Bedeutung, was der Bericht weglässt, nur streift oder an künftige Kommissionen delegiert. An erster Stelle sind das die Impfungen. Über künftige Maßnahmen in größerem Umfang müssen sich die Länder schließlich nur deshalb Gedanken machen, weil zu wenige Menschen in Deutschland dreifach immunisiert sind. Das geht keineswegs auf das Konto einer kleinen Gruppe von ImpfverweigerInnen, sondern auf das der Regierung: Eine echte Impfkampagne, wie sie oft angekündigt wurde, hat es nie gegeben. So wenig wie eine Impfpflicht.

Wenn es zudem um die Schulen geht, ist die wichtigste Frage kaum, ob sie wieder geschlossen werden müssen. Eher muss man fragen, was sich in den Schulen eigentlich getan hat. Gibt es jetzt überall Luftfilteranlagen? Erhalten Kinder gezielte Unterstützung, wenn der Unterricht ausfällt? Haben alle einen Rechner und Internet – was nicht erst so sein sollte, wenn ein Virus den Betrieb lahmlegt?

Und schließlich gibt es die Zukunft und die Tatsache, dass sich das Virus verändert. Möglich, dass im Herbst eine Variante kommt, die wieder anders ist als Delta oder Omikron. Krankmachender, noch leichter übertragbar. Ein Bericht über Datenlücken wird in so einem dritten Coronawinter wenig helfen. Helfen werden nur Impfungen – oder doch wieder: die verhassten Maßnahmen.

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8 Kommentare

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  • "Helfen werden nur Impfungen – " hmmm, haben Sie eine andere Live-Übertragung gesehen als ich? Ich habs zwar nicht in voller Länge verfolgt, aber meine mich durchaus zu erinnern, daß Herr Streek meinte, zum Effekt der Impfungen auf den Verlauf der Pandemie könne man, der dünnen Datenlage geschuldet, keine sicheren Aussagen machen....

  • Schade! Da wurde eine Chance verpasst, nachhaltige Erkenntisse zu schaffen bzw. zu untermauern. Und gleichzeitig dürften sich Gegner*innen von Infektionsschutzmaßnahmen über Bericht freuen und die Ungewissheit womöglich zukünftig Anderen im Diskurs vorhalten und für ihre Sache instrumentalisieren. Was für eine verkorkste Sache!

  • Es fehlt am Willen Daten erheben zu wollen, es sei denn sie können zu direkten kommerziellen Zwecken genutzt werden.



    Damit fehlen Strukturen zur Datenerhebung, zur Übermittlung, Analyse, aber auch zur Überwachung und Kontrolle dieser Vorgänge.

    Es ist damit sichergestellt, dass sich ein vergleichbares Chaos aus zentraler Mittelvergaben, mit willkürlichen Maßnahmen lokaler Akteure, auf allen Ebenen, wieder abspielen wird.

    Erkrankungen sind kein "unvermeidliches" Schicksal, sie geschehen im Kontext genetischer Disposition und der Lebensumstände.



    Etliches lässt sich vermeiden, anderes lässt sich lindern, wenn Informationen vorhanden sind und genutzt werden können.



    Das gilt erst recht für Epidemien.

    Das ist nicht mal ein IT-Problem. Es fehlt an naturwissenschaftlichem Verständnis, am Verständnis für Strukturen und Abläufe von Informationsgewinnung, an Verantwortungsbewusstsein und Vernunft. IT stellt die Kirsche auf diesem Desaster dar.

  • Ich verstehe die Schlussfolgerung des Artikels nicht. Es gibt keine Daten über die Wirksamkeit von Maßnahmen, keine gute Kommunikation, die alle Gruppen der Bevölkerung erreicht, keine Ausrüstung der Schulen (und Kitas und Gesundheitseinrichtungen, muss man ergänzen) mit dem, was für einen Betrieb unter Pandemiebedingungen notwendig ist. Nach fast drei Jahren wissen wir also nicht, ob das, was wir tun, hilft, und tun das was evident richtig wäre, nicht oder kaum. Und daraus können wir ableiten, dass es nichts bringt, sich damit zu befassen, und allein Impfungen und am besten eine Impfpflicht helfen?

  • Corona ist gewissermaßen die "Klima-Krise light", nur das es bei der Klimakrise keine Erkenntnisprobleme mehr gibt. Die Mehrheit der Menscheit muss die Lebenweise grundlegend ändern, oder sterben. Entweder durch Verlust der Lebensgrundlagen, Pandemien oder im Atomkrieg. Die Party ist zu Ende! Viele spüren das, wollen unbedingt noch einmal in den Urlaub fliegen und übervölkern die Flughäfen. Ist auch irgendwie verständlich. Was wäre das denn für ein Leben ohne (eingebildete) "Freiheit und Wohlstand".

    • @Matt Gekachelt:

      Es gibt einen sehr großen Unterschied zwischen Corona und der Klimakrise.

      Die Corona-Krise bleibt uns zum jetzigen Zeitpunkt um so länger erhalten, je mehr Maßnahmen wir ergreifen bzw. beibehalten, da das Erreichen des endemischen Gleichgewichts verzögert wird. Wir betreiben Aufwände, die nicht mehr nötig wären und generieren dadurch wiederum mehr Aufwände als nötig.

      Die Klimakrise wird durch zu zaghaftes Handeln immer schlimmer und das dauerhaft auf die Zukunft hin gesehen. Alles was über die letzten Jahre versäumt wurde, fällt uns zigfach auf die Füße.

      Der Kompass ist an der Stelle sehr weit von sinnigen Handlungsdirektiven abgekommen.

      Naja, nun wird uns ja auch noch aufgezeigt, dass neben dem glasklaren Nutzen der Energiewende auf klimatischer Ebene, es auf geopolitische Sicht noch viel wichtiger gewesen wäre, unabhängig von fossilen Energieträgern zu werden bzw. bereits zu sein.

      Jeder Euro, der noch in irgendwelche Coronamaßnahmen fließt, wäre in Ausgaben für die Energiewende um Größenordnungen besser aufgehoben. Jede nichtmedizinische Maßnahme, die sich noch negativ auf Industrien auswirkt sollte besser durch Maßnahmen zur Energieautarkie ersetzt werden.

      Corona ist vorbei. Es stellt keine Bedrohung mehr dar, die über das hinausgeht, was vor der Pandemie als normal akzeptiert wurde. Die Klimakrise wird dagegen bedeutend mehr Menschen das leben kosten, wenn da weiterhin zu zaghaft gehandelt wird.

  • Nach über zwei Jahren "nicht genügend Daten". Man fasst sich an den Kopf ob der digitalen Steinzeit in Deutschland.

    • @Expat:

      Vor allem wenn angesichts der Ansage vieler Gesundheitsämter, noch seltener zu melden, nachdem die FDP ihre Gleichsetzung von Masken in Innenräumen und Lockdowns als gleichermaßen restriktive Einschränkungen der Freiheit durchgesetzt hatte. Warum in Schulen nicht schon längst Luftfilter installiert wurden, die es im Bundestag längst gibt, kann nur nachvollziehen, wer zynisch sagt: "Zur Hölle mit den Kids!"