Beleidigung ausländischer Staatschefs: Der Schah, der Papst und Erdoğan
Der Paragraf 103 ist eine Erinnerung an die Willkürjustiz. Meist kümmern sich Staatschef nicht um Witze, deutsche Behörden aber umso mehr.
Die Entscheidung, die ihr der nicht minder anachronistische Folgeparagraf 104a abverlangt, ist weder eine juristische noch eine rein formale, sondern eine der Staatsräson: Ist eine juristische Aufarbeitung der Causa im politischen Interesse der Bundesrepublik oder nicht?
In den 1950er Jahren wäre das überhaupt keine Frage gewesen. Ohne mit der Wimper zu zucken hätte die damalige Bundesregierung der Strafverfolgung zugestimmt. Denn genau um diese zu ermöglichen, hatte sie ja den Paragrafen 103 wieder eingeführt. 1953 war die aus der Kaiserzeit stammende Vorschrift zur Ahndung der Beleidigung ausländischer Monarchen, die die Alliierten nach 1945 – wie das gesamte deutsche politische Strafrecht – suspendiert hatten, wieder in Kraft gesetzt worden, nun ergänzt um den Schutz auch ungekrönter Staatsoberhäupter.
Gerne wären Adenauer und sein Außenminister Heinrich von Brentano sogar noch weiter gegangen: Es sollte endgültig Schluss sein mit despektierlichen und die diplomatischen Beziehungen störenden Artikeln über ausländische Potentaten. Deswegen planten sie 1958, auch noch einen Paragrafen 103a einzufügen: Wer öffentlich „eine herabwürdigende Behauptung tatsächlicher Art aufstellt oder verbreitet, die das Privat- oder Familienleben eines ausländischen Staatsoberhauptes oder eines seiner Angehörigen betrifft und geeignet ist, die auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu stören, wird ohne Rücksicht darauf, ob die Behauptung wahr oder unwahr ist, mit Gefängnis bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft“.
Um auch überhaupt keinen Zweifel an dem Willkürcharakter aufkommen zu lassen, schloss der Paragraf mit dem Satz: „Eine Beweisführung über die Wahrheit der Behauptung ist unzulässig.“
Sensibler Schah
Der Anlass für Adenauers und Brentanos Initiative, die für große öffentliche Empörung sorgte, waren die in schöner Regelmäßigkeit wieder kehrenden Beschwerden des persischen Schahs Mohammad Reza Pahlavi, ein Geistesverwandter Erdoğans, über die „schrankenlose Zügellosigkeit“ der deutschen Presse. Aktueller Auslöser war eine Reportage im Stern mit dem Titel „Tausend und eine Macht“, in dem es unter anderem um die Scheidung des schillernden Despoten von seiner zweiten Frau Soraya Esfandiary Bakhtiari ging.
Die „Ehre des Schahs“ sei verletzt, teilte der persische Botschafter per Verbalnote mit und drohte mit dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen, falls nicht in Deutschland gegen die verantwortlichen Journalisten strafrechtlich vorgegangen werde. Das jedoch war ein Problem. Zwar übermittelte die Bundesregierung ihr tiefstes Bedauern sowie ihre schärfste Missbilligung und genehmigte auch umgehend die Strafverfolgung nach dem Paragrafen 103 – aber leider enthielt der Stern-Artikel überhaupt keine inkriminierbaren Beleidigungen: Das Verfahren vor dem Landgericht Hamburg wurde eingestellt.
Mit der Ausweitung der Ahndungsmöglichkeiten wäre eine Verurteilung trotzdem möglich gewesen. Doch der als „Lex Soraya“ verspottete Gesetzentwurf Adenauers scheiterte im Bundesrat. So musste sich Reza Pahlavi auch in den Folgejahren darauf beschränken, mit dem Paragrafen 103 gegen ihm nicht genehme Presseveröffentlichungen vorzugehen. Was er auch tat, weswegen das fragwürdige Rechtskonstrukt bis heute als „Schah-Paragraf“ firmiert.
Teurer Fotospaß
Mitte der 1960er hatte der persische Menschenschlächter Erfolg. Sein Protest gegen eine witzig gemeinte Bildmontage des österreichischen Cartoonisten und Satirikers Harald Rolf Sattler, die im Dezember 1964 im Kölner Stadt-Anzeiger erschienen war, führte zu einer dreijährigen juristischen Auseinandersetzung, die im Januar 1968 mit der rechtskräftigen Verurteilung Sattlers und des verantwortlichen Ressortleiters Rolf Elbertzhagen zu niedrigen Geldstrafen endete.
Die Fotocollage hatte den Schah im Gespräch mit dem saudischen saudischen Herrscher Abd al-Aziz ibn Saud gezeigt und war mit der Unterzeile versehen: „Also gut, gib mir die 30 000.-, und du kannst Farah Dibah haben!“ Bei der Strafzumessung hielten die Richter den beiden zugute, dass der schale „Fotospaß“ um die dritte Frau des Schahs keine politische Absicht gehabt und kein abwertendes Urteil enthalten habe.
Gerne hätte der Schah noch ein weiteres Mal prozessiert: gegen die Studenten, die gegen seinen skandalösen Staatsbesuch in Deutschland im Juni 1967 protestiert hatten. In ihrer Verbalnote bat die persische Botschaft, „alle rechtlichen Grundlagen und gesetzlichen Möglichkeiten zu benutzen, um die Verantwortlichen nach dem Gesetz zur Rechenschaft zu ziehen“. Das Bundesjustizministerium erbat daraufhin von denjenigen Bundesländern, in denen Anti-Schah-Demonstrationen stattgefunden hatten, Auskünfte über Majestätsbeleidigungen.
Doch die politische Situation hatte sich verändert. So deckte sich in Hamburg die Staatsanwaltschaft erst einmal mit „Literatur über die politische Lage in Persien“ ein. „Wenn darüber entschieden werden muss, ob ein Plakat mit der Aufschrift ‚Persien ein KZ‘ als Beleidigung gegen das Staatsoberhaupt dieses Landes gewertet werden muss, ist es notwendig, die Situation zu kennen“, argumentierte der Hamburger Staatsanwalt Helmut Münzberg. Schließlich reiste Bundesinnenminister Paul Lücke nach Teheran und bewegte den Schah zu einem Verzicht auf die Strafverfolgung.
Ermittlungen ohne Anlass
Es gab und gibt viele ausländische Potentaten, die wenig mit Presse- und Meinungsfreiheit anfangen können und schnell beleidigt sind. Doch anders als der persische Schah und jetzt der türkische Präsident haben andere Staatsoberhäupter lieber darauf verzichtet, ihr „Strafverlangen“ offiziell der Bundesregierung vorzutragen. So ließ der damalige polnische Staatspräsidenten Lech Kaczynski lieber in Polen gegen die taz ermitteln. Anlass war eine 2006 erschienene Satire mit der Überschrift „Polens neue Kartoffel“. Der Artikel sorgte für heftige diplomatische Turbulenzen, Kaczynski sagte sogar ein Gipfeltreffen mit dem französischen Präsidenten und der deutschen Kanzlerin ab. Doch juristisch blieb die „Kartoffelaffäre“ für die taz letztlich folgenlos.
Die generelle Zurückhaltung der Staatschef hat die deutschen Strafverfolgungsbehörden allerdings nicht davon abgehalten, immer mal wieder von sich aus zu prüfen, ob der Paragraf 103 möglicherweise greifen könnte. So ermittelte 1987 die Polizei vorsorglich und völlig überflüssigerweise in der Berliner Hausbesetzerszene, weil der damalige US-Präsident Ronald Reagan auf Transparenten als „Mörder“ und „Faschist“ bezeichnet worden war.
2003 ermittelte die Staatsanwaltschaft gegen einen Marburger Metzger, der anlässlich des Irakkriegs den US-Präsidenten George W. Bush als „offensichtlich durchgeknallt“ und „blutgierig“ bezeichnet hatte. Das Verfahren wurde eingestellt. Weder Reagan noch Bush hatten eine Strafverfolgung gefordert.
1994 konfiszierte die Münchner Polizei ein Transparent, mit dem eine Schülerin gegen den Staatsbesuch des chinesischen Präsidenten Li Peng protestiert hatte. „Mörder“ hatte darauf gestanden. Falls sich Li Peng beschwere, sei ein Verfahren gegen die 14-Jährige möglich, begründete die Beamten ihre Aktion. Er beschwerte sich nicht.
Diplomatie vor Redefreiheit
Durch mehrere Instanzen ging der Fall von Demonstranten, die im Juli 1975 vor der chilenischen Botschaft in Bonn gegen die Pinochet-Diktatur protestiert hatten. Auf Intervention des chilenischen Botschafters nahm die Polizei ihnen ihr Spruchband weg, auf dem handgeschrieben stand: „Italien, Schweden, England, Niederlande – Kein Geld für eine Mörderbande. Warum zahlt die BRD?“ Gegen die Beschlagnahmung klagten die Demonstranten – und verloren. Die Bezeichnung „Mörderbande“ erfülle „den objektiven Tatbestand des §103 StGB“, entschied das Verwaltungsgericht Köln 1976.
Im Übrigen hätte „bei einer Abwägung das Interesse der Klägerin, ihrer Auffassung über das gegenwärtige Regime in Chile uneingeschränkt Ausdruck geben zu können, hinter dem öffentlichen Interesse an ungestörten diplomatischen Beziehungen zurückstehen müssen“. Sowohl das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen 1977 als auch das Bundesverwaltungsgericht 1981 bestätigten das erstinstanzliche Urteil. Weder ein Strafverlangen der chilenischen Regierung noch die zur Strafverfolgung erforderliche Ermächtigung der Bundesregierung sei für das polizeiliche Vorgehen nötig gewesen.
Anders entschieden hingegen bayrische Richter neunzehn Jahre später. Ein katholischer Priester hatte die Polizei alarmiert, weil auf dem Christopher Street Day im August 2006 in München ein „Papamobil“ mitgefahren war, auf dem das damalige katholische Kirchenoberhaupt Joseph Ratzinger geschminkt mit gefärbten Haaren und mit Aids-Schleife sowie über die Finger gezogenen Kondomen abgebildet war.
Wegen des „Anfangsverdachts der Begehung einer Straftat der Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten“ holte der Einsatzleiter der Polizei den Wagen aus der Parade. Das Ermittlungsverfahren wurde jedoch im Oktober 2006 eingestellt, „da ein Strafverlangen der ausländischen Regierung nicht vorlag“.
2010 urteilte der Bayrische Verwaltungsgerichtshof, dass die ganze Polizeiaktion rechtswidrig war. Das „Papamobil“ hätte nicht aus dem Verkehr gezogen werden dürfen, denn ihm sei „kein Angriff auf die Ehre des Karikierten zu entnehmen“ gewesen. „Die satirische Kritik hält sich in den Grenzen des Zumutbaren“, befanden die Richter. „Eine Beleidigung ist darin nicht zu sehen.“
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