Begriff „Postfaschismus“: Italienischer Sonderweg
Bei der Italien-Wahl fiel häufig das Wort „Postfaschismus“ für die Partei Fratelli d’Italia, die sich durchgesetzt hat. Was ist damit gemeint?
Dass Sprechen und Sprache ein sich wechselseitig beeinflussender Aushandlungsprozess ist, der es ermöglicht, zu kommunizieren, ist bekannt. Neue Wörter in aktuellen Wörterbüchern können Indikatoren für gesellschaftlichen Wandel sein. Ein Beispiel gefällig? 1929 stand das Wort Faschismus das erste Mal im Duden. Das sind exakt sieben Jahre, nachdem die italienische Partito Nazionale Fascista (PNF) unter Benito Mussolini 1922 in Italien an der Regierungsbildung beteiligt war, und drei, nachdem sie sich 1926 zur diktatorischen Staatspartei aufgeschwungen hat, bis sie 1943 aufgelöst wurde.
„Faschismus“ war eine Eigenbezeichnung des PNF und leitet sich ab vom italienischen fascio, was so viel wie „Bund“ bedeutet. Heute wird mit dem Begriff eine nach dem Führerprinzip organisierte, nationalistische, antidemokratische, rechtsradikale Bewegung beschrieben.
Sieben Jahre sind eine lange Zeit, bevor das Wort sich im deutschen Sprachraum etabliert hatte. Schneller geht das heute im Netz. Seit dem 24. September 2022 gibt es bei Wikipedia einen kleinen Eintrag für das Wort: Postfaschismus. Er korreliert natürlich mit der Parlamentswahl in Italien, in der die als postfaschistisch bezeichnete Partei Fratelli d’Italia sich durchgesetzt hat.
Postfaschismus, so der Eintrag, soll die politischen Strömungen bezeichnen, die aus dem historischen Faschismus hervorgegangen sind und ihre Wurzeln in diesem Erbe sehen, ohne die existierende demokratische Ordnung umstoßen zu wollen. Demokratische Faschisten also. Das kommt bekannt vor, oder? Genau. Denn hier in Deutschland, in den USA und anderen Demokratien sprechen wir von diesem Phänomen als Rechtspopulismus.
Treffende Beschreibung des Phänomens
Die Gründe des italienischen Sonderwegs in der Begriffsbildung liegen darin, dass im Unterschied zu Deutschland kein harter Bruch mit dem Faschismus vollzogen wurde und der Begriff 1948 durch die MSI, Nachfolgepartei der PNF, mit dem Slogan „Nicht leugnen, nicht wiederherstellen“ wieder salonfähig wurde.
Als der Rechtspopulismus in Europa auch medial populär wurde, hatten die Italiener schon längst ihren eigenen Begriff dafür und ergo keinen Bedarf, ihn anzupassen. Vielleicht wäre es nun angebracht, auch im Rest Europas den italienischen Begriff zu übernehmen. Er beschreibt das Phänomen treffender und macht auch die historischen Kontinuitäten offensichtlicher.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Ampel-Intrige der FDP
Jetzt reicht es sogar Strack-Zimmermann
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag