Bedrohte Kneipe in Neukölln: Syndikat bleibt schleierhaft
Der Bezirk Neukölln weiß kaum etwas über den dubiosen Vermieter des Syndikats. Über 40 Häuser besitzt Pearce Global wohl in Berlin.
Der Bezirk Neukölln weiß, dass er nichts weiß. Ob Neukölln, dem Bezirksbürgermeister und der Verwaltung bekannt sei, welche Umtriebe und Verstöße gegen das Zweckentfremdungsverbot noch durch das Firmengeflecht von Pears Global begangen wurden, wollte ein Anwohner in der Fragestunde der monatlichen Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Neukölln am Mittwochabend wissen.
„Derartige Aktivitäten werden im Bezirk nicht erfasst“ und die Frage könne „entsprechend leider nicht beantwortet werden“, sagte der grüne Bezirksstadtrat Jochen Biedermann. Wenn dem Kneipenkollektiv Syndikat und generell Bürger*innen weitere Verstöße bekannt würden, hätte man allerdings durchaus Interesse daran, so Biedermann weiter. Der Bezirk könne den Hinweisen dann nachgehen und bei Verstößen gegen den Milieuschutz Bußgelder verhängen: „Sollten Sie Hinweise haben – also über drei Monate andauernden Leerstand, umfassende Sanierungen von leerstehenden Wohnungen und Grundriss-, Luxus- und Badsanierungen, sagen Sie gerne Bescheid“, so Biedermann.
Der Gewerbemietvertrag des linken Kneipenkollektivs Syndikat wurde nicht verlängert und lief Anfang des Jahres aus, den Schlüssel hat das Betreiberkollektiv einfach behalten. Derzeit ist das Syndikat zwar weiter geöffnet, aber eine Räumungsklage gegen das Kollektiv ist anhängig. Die Kneipe ist seit 33 Jahren Treffpunkt für Nachbarn und linke Szene im Schillerkiez und häufig überfüllt, öffnet auch jetzt noch jeden Tag ihre Türen.
Im vergangenen Herbst war durch Recherchen des linken Kneipenkollektivs Syndikat in der Weisestraße im Schillerkiez bekannt geworden, dass hinter dem Käufer von über 6.000 Wohnungen in Deutschland, dem Großteil davon Berlin, eine verwirrendes Briefkastenfirmengeflecht in Luxemburg steckt – ein auf Verschleierung ausgelegtes Spekulanten-Syndikat, wenn man so will. Es stellte sich heraus, dass die Londoner Immobilienfirma Pears Global 2014 neben der Weisestraße 56 zahlreiche weitere Immobilien in Berlin gekauft hatte – unter mindestens 74 wechselnden Firmennamen.
Strategische Verschleierung
Der Fragesteller in der BVV, ein Lukas vom Kneipenkollektiv Syndikat, begründete seine Frage: „Ich finde es beschämend, welchen Aufwand Firmen zur Verschleierung betreiben. Ebenso ist es unanständig, dass wir uns nicht direkt an unsere Vermieter wenden können.“ Seit diversen Monaten versucht das Kollektiv, direkten Kontakt mit seinem Vermieter herzustellen, einige sind sogar eigens zum eigentlichen Londoner Firmensitz gereist – erfolglos.
Nachdem Pears Global vom Syndikat geoutet wurde, meldeten sich auch andere Berliner*innen, deren Häuser an eine der Briefkastenfirmen verkauft wurde, auch betroffene andere Gewerbe taten dies, ein Blumenladen in Friedrichshain, ein Heimwerkerladen in Moabit. In Kürze wollen die Aktivist*innen einen Zwischenstand ihrer Recherchen veröffentlichen. „Wir wissen sicher von 40 Häusern, die Pears gehören“, sagt Lukas. Die von der Firma angegebene Größenordnung von 6.200 Wohn- und Gewerbeeinheiten könnte aus ihrer Sicht stimmen, damit wäre Pears Global eine der größten privaten Immobilienfirmen Berlins. „Die operieren strategisch in ganz Berlin“, sagt Lukas, „die wechselnden Namen führten dazu, dass sich Mieterprotest nicht so schnell organisiert und die Firma in einem Bezirk mit Verstößen nicht so auffällt.“
In Neukölln ist das offenbar geglückt, der Bezirk kann in der BVV jedenfalls nur eine unbefriedigende Antwort auf die Frage geben, in welchem Umfang die Firmen in Neukölln tätig sind. Biedermeier wünscht dem Syndikat trotzdem alles Gute: „Ich würde mir natürlich wünschen, dass der Eigentümer sich noch gesprächsbereit zeigt, aber es sieht ja leider nicht danach aus.“ Das Syndikat-Kollektiv und dessen Unterstützer*innen werden am Samstag bei der Stern-Demo mitlaufen, bei der linke Projekte und Kneipen gegen Verdrängung von Kiezkultur demonstrieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Verkehrsvorbild in den USA
Ein Tempolimit ist möglich, zeigt New York City
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich