Bayer-Konzern stellte Forschung ein: Big Pharma machtlos gegen Corona
Bayer habe Infektionskrankheiten vernachlässigt, sagen Aktivisten. Bei der Online-Hauptversammlung bleiben Kritiker außen vor.
BERLIN taz | Deutschlands größter Pharmakonzern, die Bayer AG, versagt Kritikern zufolge im Kampf gegen das Coronavirus. „Alle Gebiete, die Erkenntnisse zur Behandlung von Covid-19 hätten liefern können, wie ‚Atemwegserkrankungen‘, ‚Infektionskrankheiten‘ oder ‚Tropenmedizin‘, hat der Pillen-Riese schon vor Jahrzehnten aufgegeben“, teilte die Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG) am Montag mit. „Stattdessen konzentriert er sich auf Krankheiten wie Krebs, weil er für Tumorarzneien – bei noch dazu oft zweifelhaftem Nutzen – Mondpreise verlangen kann.“
Deshalb hat die Organisation beantragt, den Aufsichtsrat bei der Bayer-Hauptversammlung am Dienstag nicht zu entlasten. In einem weiteren Gegenantrag verlangt die CBG, die Dividende bis auf den Mindestsockel von 10 Cent pro Aktie zu kürzen und die frei werdenden Summen zum Aufbau einer Pharmasparte zu nutzen, die „den Ansprüchen der Zeit“ besser gerecht werde. Auch der Bayer-Großaktionär Union Investment lehnt die geplante Dividende in Höhe von 2,80 Euro ab. Der Fonds begründet das mit der Unsicherheit wegen der Klagewelle von mutmaßlichen Opfern des Pestizids Glyphosat in den USA, der Bayer Milliarden kosten könnte.
„Corona traf Big Pharma völlig unvorbereitet. Keiner der 20 größten Pillen-Konzerne hat zu den Vorgänger-Viren von Sars-CoV-2 wie Sars-1 und Mers geforscht“, so die Aktivisten. „Epidemien, die alle paar Jahre einmal auftreten oder auch nicht, bieten eben keine belastbare Kalkulationsgrundlage für die renditeorientierten Geschäftsmodelle von Bayer & Co.“
Besonders die Abwicklung der Tropenmedizin Ende der 1980er Jahre erweise sich jetzt als fatal. Zwar habe Bayer bereits 1937 seinen Wirkstoff Chloroquin als Malariamittel zum Patent angemeldet. Holländische Virolog*innen hätten der Substanz 2004 bei Versuchen mit Zellkulturen „einen gewissen pharmakologischen Effekt“ gegen das erste Sars-Virus bescheinigt. Doch Bayer habe dann nicht begonnen, die Anwendung auf breiterer Basis zu erproben. „Hätte das Unternehmen dies getan, lägen jetzt belastbare Resultate vor, und die Gesundheitsbehörden bräuchten angesichts von elf Toten bei einem Klinischen Test in Brasilien und Sterbefällen durch Selbstmedikation nicht dringend vor einer Chloroquin-Einnahme zur Covid-19-Therapie zu warnen“, so die CBG.
Glyphosat-Verhandlungen verzögert
Ihre Kritik dürfen die Aktivisten dieses Jahr nicht auf der Hauptversammlung vortragen. Denn der Bundestag beschloss im März im „Gesetz zur Abmilderung der Covid-19-Pandemie“, dass Aktionärstreffen auch online stattfinden können. Bayer war der erste Konzern, der zu einer solchen „Online-HV“ einlud.
Bei der ersten deutschen Online-Hauptversammlung dürfen Kritiker nicht reden
Bayers Werner Baumann war vergangenes Jahr der erste Dax-Vorstandschef überhaupt, den die Aktionäre nicht entlasteten – wegen der Risiken durch den Kauf des Glyphosat-Herstellers Monsanto. Dieses Jahr muss er sich nun nicht grillen lassen: Die oft stundenlange Generaldebatte fällt aus. Die Aktionäre durften nur bis spätestens zwei Tage im Voraus Fragen einreichen. Der Vorstand kann sie zusammenfassen, bündeln – oder ganz weglassen.
Bayer will die Coronakrise auch bei den Verhandlungen über einen Vergleich mit den inzwischen rund 53.000 Menschen nutzen, die ihre Krebserkrankung auf Glyphosat zurückführen. Der Konzern pokert wieder höher und streut, dass sich die Gespräche verzögerten. Klägeranwälte bestreiten das. Die nächsten US-Prozesse sind wegen der Pandemie verschoben, der Druck auf Bayer, die Sache schnell abzuschließen, sinkt.
Unterdessen legte der bereinigte Betriebsgewinn (Ebitda) im ersten Quartal um gut 10 Prozent auf 4,39 Milliarden Euro zu. Die Pandemie führte in einigen Geschäftsfeldern zu einer stark gestiegenen Nachfrage, teilweise zu einer Bevorratung, etwa bei Nahrungsergänzungsmitteln, wie ein Sprecher sagte.
Bayer ließ eine Bitte der taz um Stellungnahme bis Redaktionsschluss unbeantwortet. (mit rtr)
Leser*innenkommentare
Thomas Dreher
In einer kapitalistischen Gesellschaft auf einen Konzern einzudreschen, der im Rahmen der geltenden Gesetze Gewinn machen will ist irgendetwas zwischen naiv und lächerlich. Will mensch ein Gesundheitswesen, das sich an den sachlichen Erfordernissen und den menschlichen Bedürfnissen orientiert muß mensch das Gesundheitwesen als ganzes der kapitalistischen Struktur entziehen und in öffentliche Verwaltung geben.
Besser noch wäre, die kapitalistische Form als ganzes aufzuheben.
Manfred Stein
"Versuchen mit Zellkulturen" Da funktiniert Vieles. Oft erlebt man dann in echten Infektionsmodellen oder bei der klinischen Testung eine Enttäuschung.
alterego
Ja, man muss ein Unternehmen wie Bayer nicht mögen, aber es ist schon interessant, dass wenige Aktivisten mit recht diffusen Behauptungen immer wieder Lautsprecher finden. Auch die Arbeitnehmer und die Gewerkschaften unterstützen diese Thesen nicht...
Das Beispiel mit dem Cloroquin spricht Bände...Kategorie Trump/Desinfektionsmittel.
mowgli
Wie war das mit dem Bock, der sich als Gärtner betätigt?
DiMa
Ein Konzern konzentriert sich auf Geschäfte, mit denen Geld zu machen ist und dem Vorstand sol die Entlastung versagt werden. Was für eine abstruse Forderung.
Warten wir mal ab, was passiert, wenn ein Pharmahersteller ein passendes Medikament entwickelt und welche Preise dafür dann aufgerufen werden.
Kappert Joachim
Der Monsanto-Kauf machte es doch klar. Bayer will Rendite, Rendite, Rendite. Baumann ist kein Arzt, kein Chemiker, kein Biologe. Er ist Manager mit einem Wirtschaftsstudium. Schade um die Mitarbeiter, aber kein Mitleid für Bayer.
Strolch
Man muss Bayer ja nicht mögen, aber die Vorwürfe, Bayer hätte vor zehn Jahren dies und jenes tun sollen, um heute die Fehlanwendung eines Medikaments zu vermeiden, ist etwas an den Haaren herbeigezogen. Nach welchen Medikamenten geforscht wird, ist zudem auch eine Entscheidung, die man wohl kaum nur mit "Gewinnstreben" erklären kann. Ein Pharmaunternehmen kann nicht überall mitmischen. Es wird immer die Entscheidung für und gegen einzelne Zweige/Medikamente geben. Die einen sehen Chancen bei Krebsmitteln, andere bei Schmerzmitteln und wieder andere bei Infektionskrankheiten. Alles wird kein Unternehmen vernünftig erforschen können.