Baustadtrat über Karl-Marx-Allee: „Das ist ein Pilotprojekt“
Politik und Mieter siegen in der Karl-Marx-Allee über die Deutsche Wohnen. Baustadtrat Florian Schmidt (Grüne) über den Erfolg und was daraus folgt.
taz: Herr Schmidt, bis zu 46 Prozent der Mieter in den vom Verkauf an die Deutsche Wohnen betroffenen Gebäuden an der Karl-Marx-Allee haben sich für das von Ihnen favorisierte Modell der Rekommunalisierung entschieden. Haben Sie damit gerechnet?
Ich bin schon davon ausgegangen, dass wir es schaffen, über das erforderliche Quorum von 25,1 Prozent zu kommen, mit dem die landeseigene Gewobag später eine Sperrminorität besitzen wird. Aber dass das Ergebnis so deutlich ausfällt, das freut mich schon besonders.
Dabei hatten Sie kurz vor Fristablauf am letzten Donnerstag sogar Werte von 70, 80 Prozent als Zielmarke ausgegeben.
Ja, aber das war auch zur Motivation gedacht. Man muss sich ja hohe Ziele stecken, um etwas erreichen zu können. Außerdem: Wenn man diejenigen Mieter herausrechnet, die sich gar nicht für diese Option entscheiden konnten, weil die entsprechenden Informationen sie vielleicht gar nicht erreicht haben oder sie nicht die Ressourcen haben, sich damit auseinanderzusetzen, bin ich gar nicht so sicher, dass diese Werte nicht sogar stimmen.
Die Nachricht Anfang November platzte die Bombe: Berlins meistgehasster Immobilienkonzern, die Deutsche Wohnen, will rund 700 Wohnungen in den denkmalgeschützten Häuserblöcken an der Karl-Marx-Allee erwerben. Die Mieter befürchten Mietsteigerungen und organisieren Protest.
Der Plan Land und Bezirk hecken schließlich ein Modell aus, mit dem die Wohnungen rekommunalisiert werden können, indem die Mieter ihr privates Vorkaufsrecht ziehen: Mit einem Kredit der landeseigenen Investitionsbank Berlin können sie die Wohnungen erst der Deutschen Wohnen vor der Nase wegschnappen und anschließend direkt an die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft Gewobag weiterverkaufen.
Das Ergebnis Mehr als 25,1 Prozent der Mieter in den drei betroffenen Blöcken – der vierte liegt im Milieuschutzgebiet, so dass der Bezirk selbst sein Vorkaufsrecht ausüben kann – müssen mitmachen, damit die Gewobag künftig über eine Sperrminorität verfügt. Seit Freitag ist bekannt, dass dieses Quorum mit einer Beteiligung von 34, 40 und 46 Prozent in den drei Blöcken mehr als erreicht wurde. (mgu)
Weniger als 30 Mieter der insgesamt 675 betroffenen Wohnungen haben sich dazu entschlossen, ihre Wohnung mit dem Kredit der Investitionsbank selbst zu kaufen. Warum war der Eigenerwerb für so wenige eine Option?
Auch wenn die Kredite zu guten Konditionen vergeben werden: Eine gewisse Bonität war auch hier die Voraussetzung, und die bringen nun mal viele nicht mit. Und selbst wenn mir die Wohnung dann in 30 Jahren gehört: Erst einmal ist das ja mit einer erheblichen Kostensteigerung verbunden, die die meisten schlicht nicht schultern können oder wollen.
Dennoch hatten die SPD und insbesondere Finanzsenator Matthias Kollatz den Eigenerwerb zunächst favorisiert. War das Blauäugigkeit oder politischer Unwille?
Ich denke, das hat mit der Rollenverteilung zu tun, die ja auch gut und richtig ist: Die Finanzverwaltung hat nun einmal vor allem im Blick, wie viel etwas kostet. Zunächst hielt man dort andere Optionen eben nicht für machbar, und da finde ich es eigentlich positiv, dass dann gesagt wurde: Versuchen wir das Mögliche. Auch wenn sich später herausgestellt hat, dass das, was zunächst unmöglich schien, eben doch möglich ist.
Dass es schlicht zu teuer sei, auf diese Art die Stadt zurückzukaufen, wird nicht nur in der Finanzverwaltung moniert. Was entgegnen Sie dieser Kritik?
Es ist ja nicht so, dass wir vorhaben, dieses Modell des gestreckten Erwerbs jetzt überall anzuwenden. Das ist ein Pilotprojekt, mit dem wir ausprobieren können, wie gut das funktioniert. Das werden wir systematisch evaluieren, um genau festlegen zu können, unter welchen Bedingungen und in welchen Fällen das ein brauchbares Modell ist. Es gibt letztlich tausend verschiedene Möglichkeiten für eine gemeinwohlorientierte Wohnungspolitik – das Ziel ist, dass wir möglichst viele Modelle so gut kennen und anwenden können, dass wir auch innerhalb der oft kurzen Fristen jeweils das Richtige tun können.
Beendet ist das Pilotprojekt allerdings noch nicht – stellen Sie sich auf einen Rechtsstreit mit der Deutsche Wohnen ein?
Ich könnte mir schon vorstellen, dass da noch etwas kommt. Gleichzeitig haben wir das Verfahren ja aber sehr gut geprüft, es ist nicht so, dass da jetzt ein Scheunentor offenstehen würde. Und sollte die Deutsche Wohnen tatsächlich versuchen, jetzt in den Verkauf der Wohnungen von den Mietern an die Gewobag zu intervenieren, also explizit und direkt gegen die Mieterinteressen zu handeln, dann gäbe es von Mieterseite einen derartigen Groll gegen dieses Unternehmen, da wäre die bisherige Stimmung nichts dagegen.
44, ist seit 2016 Baustadtrat in Friedrichshain-Kreuzberg. Als gelernter Stadtsoziologe war der Grünen-Politiker schon vor diesem Amt in verschiedenen Projekten im Bereich Stadtentwicklung tätig.
Gerade mal zwei Monate war Zeit, um die Mieter vom Modell des gestreckten Erwerbs zu überzeugen. Was ist besonders an der Karl-Marx-Allee, dass das so schnell klappen konnte?
Das hat sehr viel damit zu tun, dass es dort einen Mieterbeirat gibt, der gut verankert ist. Dass es Menschen gibt wie dessen Vorsitzenden Norbert Bogedein, aber auch andere, die sich da so was von reingehängt haben in den letzten Wochen, ehrenamtlich. In dieser kurzen Zeit war das die absolute Voraussetzung, damit das klappen kann. Allerdings habe ich auch festgestellt: Selbst dort, wo es noch nicht so starke Strukturen gibt, finden sich in solchen Fällen eigentlich immer Menschen unter den Mietern, die bereit sind, diese Rolle zu übernehmen. Dass wir im Bezirk mittlerweile eine eigene Arbeits- und Koordinierungsstelle für gemeinwohlorientierte Stadtentwicklung haben, in der eben auch Leute mit Erfahrung in der Mieterselbstorganisation sitzen, ist sicher auch hilfreich.
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