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Bauernproteste radikalisieren sich„Sterben oder wehren“

Die Initiatoren der Bauerndemos werfen der Politik vor, ihre Branche abschaffen zu wollen. Der gesamte Mittelstand Europas sei gefährdet.

Jetzt rollen sie wieder: Landwirte aus Schleswig-Holstein fahren mit Traktoren in Hamburg Foto: dpa

Berlin taz | Die Organisatoren der aktuellen Bauernproteste radikalisieren sich. „Entweder wir sterben oder wir wehren uns“, sagte Dirk Andresen, Sprecher der Initiative „Land schafft Verbindung“, in einem im Internet verbreiteten Video. Die von der Bundesregierung geplante Verschärfung der Düngevorschriften führe dazu, „dass unserem Berufsstand die Kehle durch einen dialogfreien Kompromiss abgeschnürt wird“. Die Bauern würden „zum Schafott geführt“. Andresen rief Landwirte und ihnen nahe Branchen wie Landhandel oder Lkw-Fahrer dazu auf, am Mittwochabend an großen Straßen „Flashmob“-Proteste mit ihren Fahrzeugen zu starten. Denn die Politik wolle ihre „Berufsstände abschaffen“.

Ähnlich drastisch äußerten sich andere Vertreter der Bewegung, die vor Kurzem Zehntausende Bauern zu Demonstrationen mobilisiert hatte. Mehrere warfen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vor, mit ihrem Klimaschutzprogramm nicht nur der Landwirtschaft, sondern auch anderen Branchen zu schaden. Thomas Andresen, Mitgründer der Bewegung und Funktionär des schleswig-holsteinischen Bauernverbands, sagte, „unsere ehemalige Flinten-Uschi … fährt den kompletten Mittelstand in ganz Europa mit ihrem Green Deal an die Wand“. Der Landwirt ergänzte: „Wenn das so weiterläuft, … sind über 70 Jahre Frieden wahrscheinlich für die Tonne.“

Die Online-Protestgruppe „Fridays for Hubraum“, die sich vor allem gegen Klimaschutz zulasten von Autofahrern richtet und bei Facebook mehr als 566.000 Mitglieder hat, schloss sich dem Aufruf zu den Flashmobs an. Ihr Gründer Christopher Grau erklärte: „Unsere Landwirte leiden genauso unter politischen Entscheidungen wie wir.

„Land schafft Verbindung“ wendet sich derzeit vor allem gegen einen Entwurf des Agrarministeriums für eine Reform der Düngeverordnung. Er soll besonders die Düngung mit Stickstoff einschränken. Die potenziell gesundheitsschädliche Stickstoffverbindung Nitrat belastet das Grundwasser, aus dem das meiste Trinkwasser gewonnen wird. In der Umwelt trägt zu viel Dünger zum Aussterben von Pflanzen- und Tierarten sowie zum Klimawandel bei.

Agrarministerium warnt vor Diktat aus Brüssel

„Es wäre besser gewesen, die Düngeproblematik wäre schon vor Jahren abgeräumt worden. Jetzt müssen wir den geforderten Anpassungen der EU-Kommission nachkommen“, sagte ein Sprecher von Bundesagrarministerin Julia Klöckner (CDU) der taz. Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs und ein Strafverfahren der EU-Kommission zur Umsetzung der Nitratrichtlinie führten dazu, dass Deutschland bei der Düngung an Stellen nachjustieren müsse, „an denen andere europäische Staaten schon länger deutlich strengere Regelungen vorsehen.“

Sonst drohten Deutschland Strafzahlungen von bis zu 800.000 Euro pro Tag. Zudem würde Brüssel dann die Regelungen zur Düngung vorgeben. „Ein Nicht-Handeln wäre für alle Beteiligten also die schlechteste Option.“

Das Agrarministerium entwickele derzeit ein „Bundesprogramm Nährstoffmanagement“, um die Bauern bei der Umsetzung der neuen Regeln zu unterstützen. Ziel sei es, „die Transportfähigkeit der flüssigen organischen Düngemittel durch Verarbeitung zu fördern“. Dann könnten sie in die Ackerbauregionen geliefert werden, wo es keine erhöhten Nitratwerte im Grundwasser gibt. Für die energetische Nutzung von Wirtschaftsdüngern stünden darüber hinaus aus dem Klimapaket der Bundesregierung bis 2023 Mittel in Höhe von 180 Millionen Euro zur Verfügung.

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14 Kommentare

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  • Die Tierqualindustrien, damit „Produktion“/Konsum von Tierqual„produkten“ (Fleisch, Milch/Milchprodukte, Eier, Fisch, Tierhaut: Leder, Pelz, Federn, Wolle...), sind für die größten Probleme unserer Zeit hauptverantwortlich: Klimakrise-/katastrophe, Verseuchung der Gewässer und Böden mit Gülle, Nitrat, Pestiziden, Herbiziden & Co, antibiotikaresistenten Keimen und Toxinen, Zerstörung, Verseuchung, Vermüllung und Plünderung der Meere, Insekten-, Vogel- und Artensterben, Welthunger, Zerstörung des ganzen Planeten: Lebensgrundlagen allen Lebens...

    • @Unbequeme Wahrheit:

      Was der Konsument nicht kauft wird auch nicht mehr produziert. Den Landwirten hierzulande die Produktion zu erschweren oder unmöglich zu machen ändert nichts. Ihre pauschale Anklage (Gülle/Pestizide/Herbizide/Toxine) ist meiner Meinung nach kaum belegbar. Worin genau liegt der Unterschied zwischen Pestizid und Herbizid? Welche Toxine meinen sie?

      • @Le Kralle:

        Den LANDwirten möchte und soll niemand etwas erschweren, den TIERAUSBEUTER-/QUALwirten dagegen schon, unbedingt! Denn wenn die Verbrechen an den Tieren nicht SOFORT (falls es nicht bereits längst zu spät ist - Stichwort: 5NACH12) beendet werden, wird die Biosphäre, mittel- eher kurzfristig auseinander-/zusammenbrechen! Zu Ihren Fragen: selbst recherchieren und 1000de Antworten selbst finden!

        • @Unbequeme Wahrheit:

          Aber es wird doch alles über den gleichen Kamm geschoren. Egal ob Viehzucht, Getreideanbau, Gemüse-, Obst- oder Weinbau. Die neuen Regelungen aus Frau Klöckners/Schulzes Agrarpaket treffen alle Erzeuger. Indem man beispielsweise Weizen mit weniger N ernährt als er benötigt, kommt dabei Futterweizen raus, da er zur Mehlgewinnung qualitativ nicht ausreicht. Bioweizen ist am Markt nicht zu plazieren, da es ein Überangebot gibt.

  • Merkwürdigerweise (oder auch passenderweise) bedient hier fast jeder Kommentar nur weiter Vorurteile weiter. Subventionen/Pestizide ohne Rücksicht auf Verluste/Düngung ohne jedes Maß etc.



    Nicht einer von euch geht auf die Argumente von LSV ein. Moderate Forderungen? Es ist doch unlogisch, Pflanzen 20% unter ihrem Bedarf zu düngen. So wird Getreide zu Futterqualität degradiert. Importieren wir's halt einfach. Simples Outsourcing. Außerdem sind die positiven Folgen der letzten Novellierung der Düngeverordnung (2017) an den Grundwassermessstellen noch überhaupt nicht messbar. Dass man da jetzt nachregelt ist total unlogisch. Von der deutschen Messstellenpraxis mal ganz abgesehen, die nur darauf abzielt, künstlich ein Problem zu schaffen. Die anderen Mitgliedsstaaten der EU haben definitiv genausoviel/wenig Nitrat im Grundwasser. Sie melden aber nur den Durchschnitt (macht eigentlich auch Sinn). Deutschland meldet Brüssel nur, wenn es zu viel Nitrat gibt.



    Die Subventionen stützen den Preis der Lebensmittel in Deutschland. 14% gibt der Deutsche für Essen und Trinken aus. Das ist rekordverdächtig wenig. Hört doch bitte einfach auf, immer nur noch billiger zu kaufen. Das hat der LEH in der Hand, aber der Verbraucher kann sich da auch von keiner Verantwortung frei sprechen. Als mündiger Bürger kauft man dann bitte keine Ramschware mehr.

    • @Le Kralle:

      90-98% der Weltsojaernte (GVO), ca. 50% der Weltgetreide, ca. 40% der den Meeren geraubten Lebewesen (Fischmehl) und ca. 30% des produzierten Palmöls, landen in den Futtertrögen der 900 Millionen (Deutschland) / 70-75 Milliarden (weltweit) vergewaltigten, gequälten, gefolterten und ermordeten („Nutz“)Tiere der Tierqualindustrien um Tierqual„produkte“ (Fleisch, Milch/Milchprodukte, Eier, Fisch, Tierhaut: Leder, Pelz, Federn, Wolle...) „produzieren“/konsumieren zu können... während - jährlich(!) - Milliarden(!) Menschen (Säuglinge, Kinder, Erwachsene) hungern und Abermillionen(!) verhungern!!!

      • @Unbequeme Wahrheit:

        Warum das eine Reaktion auf meinen Kommentar sein soll erschließt sich mir nicht. Ist alles richtig. Ich hab auch 1994 zuletzt Fleisch gegessen. Das hat aber trotzdem nichts damit zu tun was ich geschrieben habe.

  • 4G
    4813 (Profil gelöscht)

    Traktorterror mit von mir subventionierten Sprit?



    Liebes Finanzamt, bitte holt euch diese Subventionen zurück.

  • Es ist unglaublich, mit welch dümmlicher Dreistigkeit diese "Nährstands"-Funktionäre, unterstützt von unserer überaus kompetenten Agrarministerin, uns überzeugen wollen, dass die urdümmliche Formel "Viel hilft viel!" beim Düngen und Spritzen immer noch gültig ist, und dass alle schädlichen Folgen nur von Gartenbesitzern verursacht werden.

    Hinweis: Das GG gibt allen Deutschen das Recht, sich friedlich und ohne Waffen versammeln zu dürfen. Vom Mitbringen überdimensionierter Landwirtschaftsmaschinen zwecks Terrorisierung der Gesellschaft steht im Grundgesetz nichts.

  • Dieselbe Strategie, die auch in der Wirtschaft gefahren wird: Auf notwendige, moderate Forderungen wird mit maßlos übertriebenen Untergangsszenarien reagiert. Vielleicht hilft's ja was.

  • Das Bild von der Demo zeigt immerhin, dass bei allem Gejammer noch jede Menge Geld für repräsentative Traktoren in der Kasse ist, und jede Menge Zeit, um mit den Protzmaschinen in der Weltgeschicht rum zu gurken statt zu arbeiten.

  • OMG immer dieses Gejammer, solang ihr auch meine Zukunft verbockt darf ich da wohl noch mitreden. In meiner Branche darf ja auch jeder reinlabern und kurzen Prozess machen. (Regenerative Energien)

    Fakt ist und bleibt, die Landwirtschaft in Deutschland steht nicht für Nachhaltigkeit.

    Solange nicht eure Enkelkinder noch so weiterwirtschaften können ohne das die Rohstoffe ausgehen ist das Thema lächerlich. Gegen was wehrt ihr euch? Gegen die Natur von der ihr lebt. Na dann viel Spaß.

    • @Upgrade:

      Können Sie den genannten Fakt belegen? Welche Länder haben eine nachhaltigere Landwirtschaft als Deutschland? Gibt's da Statistiken drüber?

      • @melvd:

        Es ist unerheblich, ob andere Länder eine nachhaltigere Landwirtschaft haben oder nicht. Die deutsche Landwirtschaft ist größtenteils nicht nachhaltig. Sie können gerne das Gegenteil belegen.