„Bau-Turbo“-Gesetz tritt in Kraft: Wohnraum um jeden Preis
Das „Bau-Turbo“-Gesetz ist in Kraft. Wohnungen sollen schneller gebaut werden. Im Zweifel auch gegen das Interesse von Bürger:innen und Umwelt.
taz | Der Name soll Programm sein: Der sogenannte „Bau-Turbo“ ist am Donnerstag in Kraft getreten. Das Bundesgesetz, das eigentlich die sperrige Bezeichnung „Gesetz zur Beschleunigung des Wohnungsbaus und zur Wohnraumsicherung“ trägt, ändert Teile des Baugesetzbuches. Statt wirklich für mehr bezahlbaren Wohnraum zu sorgen, befürchten Kritiker:innen, dass das Gesetz Vorgaben zu Umweltschutz und demokratischer Beteiligung aushebele.
Im Grunde geht es beim „Bau-Turbo“ um drei Gesetzesänderungen: Erstens kann nun von mehreren Bebauungsplänen in vergleichbaren Fällen abgewichen werden – bisher war das nur im Einzelfall möglich gewesen (§ 31 Abs. 3 BauGB). Das beudeutet, dass ganze Straßenzüge nachverdichtet werden können, ohne mehrere aufwendige Bebauungsplanverfahren einleiten zu müssen.
Zweitens erhalten Kommunen die Möglichkeit, Wohngebäude auch dann zu genehmigen, wenn sie sich nicht exakt in die Umgebung einfügen (§ 34 BauGB). Die dritte Änderung ist der wohl meistdiskutierte Punkt: Vorerst bis 2030 können Kommunen weitreichend vom bestehenden Bauplanungsrecht abweichen (§ 246e BauGB). Diese Abweichung des Bauplanungsrechts ermöglicht die Genehmigung von Projekten, die entweder keinen Bebauungsplan haben oder nicht in bestehende Planungen passen.
Wie der „Bau-Turbo“ angewendet wird, liegt allerdings in der Entscheidungsmacht der Kommunen. Das sind in Berlin die Bezirke. Der Senat veröffentlichte am Donnerstagmorgen entsprechend einen 37-seitigen Leitfaden für die Verwaltungen, indem die Umsetzung des neuen Gesetzes geregelt ist. Der Senat wünscht sich berlinweit eine möglichst einheitliche Vorgehensweise.
Auch gegen das Interesse von Bürger:innen und Umwelt
„Letztlich hebelt das Gesetz demokratische Prozesse aus“, kritisiert Theresa Keilhacker, Architektin und Mitglied beim Berliner Klimaschutzrat und beim Bündnis Klimaschutzstadt Berlin 2030, der taz. Denn, wenn kein Bebauungsplan benötigt wird, kann die Beteiligung von Bürger:innen bei der Planung von Großprojekten umgangen werden.
Zudem fürchtet die Architektin Keilhacker, dass die Bezirke überlastet werden könnten. Denn die Änderung sieht vor, dass Gemeinden innerhalb von drei Monaten einem Bauvorhaben widersprechen müssen. Ansonsten gilt das Projekt als beschlossen, eine sogenannte Genehmigungsfiktion. Diese Zeitspanne hält die Architektin für unrealistisch. „Wir müssen anerkennen, dass Bauen komplex ist“, sagt sie. Viele Belange träfen aufeinander, von sozialen Fragen bis zur Umwelt. Es brauche Zeit, diese Aspekte abzuwägen. Der „Bau-Turbo“ würde vor allem dazu führen, dass die letzten Berliner Grünflächen auch noch bebaut würden.
Eine Sorge, die Umweltverbände teilen. Ebenso wie die Bürger:innenbeteiligung umgeht der „Bau-Turbo“ auch planungsrechtliche Verfahren bei der Umweltprüfung. Ohne Erfolg warnte der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) gemeinsam mit anderen Verbänden bereits im Vorhinein vor den ökologischen Schäden, die das Gesetz begünstige.
Afra Heil, Sprecherin beim BUND, fürchtet, dass das Gesetz vor allem Zersiedelung und weitere Flächenversieglung mit sich bringe. „Die Gefahr besteht, dass weitere Grünflächen und Bäume dem planlosen Neubau zum Opfer fallen, die es dringend für eine lebenswerte und resiliente Stadt braucht“, sagt Heil der taz. All das, ohne dabei tatsächlich die zentralen Ursachen der Wohnungskrise zu bekämpfen.
Kurze Fristen lösen keine Probleme
Auch der Grünen-Abgeordnete Julian Schwarze sieht den „Bau-Turbo“ kritisch: „Fristen zu verkürzen, löst unsere Probleme auch nicht“, sagt er der taz. Stattdessen riskiere man Planungsqualität. Ein solches Vorgehen hält Schwarz für kurzsichtig. Man baue ja nicht nur für die nächsten zehn Jahre, sondern hoffentlich für die nächsten hundert, sagt Schwarz der taz.
Ob der „Bau-Turbo“ tatsächlich etwas an der Wohnkrise in Berlin ändern wird, bezweifelt Schwarz. Denn der „Bau-Turbo“ denke bezahlbaren Wohnraum nicht mit. „Es gibt diese Theorie, dass jede Wohnung hilft – egal ob teuer oder günstig. Aber das stimmt nicht“, sagt Schwarz. Zumal bei einer Abweichung von einem Bebauungsplan auch nicht mehr die Bestimmung gelten würde, dass mindestens 30 Prozent für bezahlbare Wohnungen vorgesehen sein müssten. Das gelte bisher für Neubauten. Er befürchtet zudem, dass der Senat ab jetzt noch häufiger Bezirken das Planungsrecht entziehen wird.
In den Bezirken selbst muss man sich erst noch mit den genauen Implikationen des „Bau-Turbos“ auseinandersetzen. „Wir schauen dem Gesetz mit einem lachenden und einem weinenden Auge entgegen“, sagt Florian Schmidt, Baustadtrat in Friedrichshain-Kreuzberg. Es könne durchaus eine Chance sein. Bisher plane der Bezirk den „Bau-Turbo“ insbesondere dann einzusetzen, wenn damit bezahlbare Wohnungen im Innenstadtbezirk geschaffen werden könnten, erklärt Schmidt. Gleichzeitig sieht auch er mehrere Punkte kritisch: sowohl, dass Bürger:inneninteressen übergangen werden können als auch die knappen Fristen der Genehmigungsfiktion. Der hier aufgebaute Druck bedrohe rechtssichere Prozesse, sagt Schmidt der taz.
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