Ballett in der Deutschen Oper Berlin: Zart getanzte Illusionen
„Bovary“ ist die erste Choreografie von Christian Spuck für das Berliner Staatsballett. Das Unglück der Protagonistin geht einem zunehmend nahe.
Oh, diese vielen Paare: Mit Händen und Arabesken zeichnen sie sich verschlingende Linien in die Luft, mit sanften Wellen, die durch den ganzen Körper laufen, durchdringen sie den Raum gemeinsam; oh, diese Paare, die sich suchen in Drehungen und finden in Hebungen und in zarten Figuren immer aufs Neue zusammenkommen: Sie feiern den Pas de deux, und damit ein Herzstück der Kunst des Balletts selbst, den ganzen Abend lang.
In „Bovary“, dem ersten Ballettstück, das Christian Spuck für das Staatsballett Berlin entwickelt hat, sind sie in schattigen Kostümen aus dünnen Stoffen immer präsent, wenn Emma Bovary, in steifen Roben aus glänzenden Stoffen, beinahe unbeweglich an einem Fleck festgefroren, unzufrieden mit ihrem ereignislosen Leben als Ehefrau eines Landarztes, sich ihrer Sehnsucht und ihren Fantasien hingibt. Käme doch endlich eine solche Bewegung in ihr Leben und Leidenschaften, die sie aus dem Alltag reißen.
Romandramatisierungen auf der Theaterbühne gibt es schon lange zuhauf. Im Ballett dagegen geschieht es seltener, dass ein Stück einen Roman erzählt. Christian Spuck ist der neue Intendant des Staatsballetts Berlin. Über zehn Jahre lang war er zuvor Direktor des Balletts in Zürich und auch da schon mit einer der großen tragischen Frauenfiguren der Literatur, „Anna Karenina“ nach Tolstoi, erfolgreich.
Nun hat er Flauberts Roman in einer Inszenierung adaptiert, die der so schön und zart getanzten Illusion der romantischen Liebe ihr ständiges Scheitern entgegenhält. Weronika Frodyma, Solotänzerin beim Staatsballett, das an diesem Abend fast mit allen 79 Tänzer*innen seines Ensembles dabei ist, hat als Emma Bovary keine einfache Rolle. Oft gehört die Bühne den Bildern ihrer Fantasie. Ihre Unzufriedenheit und ihre Langeweile, die zu verstehen einige wenige Zitate aus dem Roman helfen, sind zunächst passive Zustände, die sie erleidet. Erst in der Begegnung mit Liebhabern, seien sie auch noch so unzuverlässig, gerät auch sie in Bewegung und darf die großen, weichen und weiten Bögen tanzen, die Spucks Choreografie so anziehend machen.
Klavierkonzerte von Camille Saint-Saëns
Als ein weiteres erzählerisches Mittel kommt die Musik hinzu, gespielt vom Orchester der Deutschen Oper Berlin. Klavierkonzerte von Camille Saint-Saëns tragen durch die Szenen von Bovarys Hochzeit, von einem Ball, von einem Fest in der Provinz und einem Besuch in der Stadt. Dieses äußere Leben ist stets wie ein Fest inszeniert, verschiedene Gruppen füllen den Raum mit Reihen und Reigen aus quirligem Leben, das Emma zunächst wie ein Zaungast bestaunt.
Kompositionen von Györgi Ligeti, Charles Ives und Arvo Pärt dagegen zeichnen ihr Inneres, ihr rastloses Suchen nach mehr, ihren unbefriedigten Lebenshunger, ihre zitternden Nerven. Das Libretto der Szenen und die Musik erzeugt dabei eine immer größere Nähe zu der Verzweiflung dieser einsamen Frau, die außer die Liebe zu suchen leider keinen anderen Plan im Leben hat.
Am Ende wird sie gejagt von einer Schar schwarzgekleideter, skurril geschminkter Männer, die dem Cabinet des Doktor Caligari entlaufen zu sein scheinen, expressionistische Gespenster, die sie mit grotesken und verzerrten Bewegungen in die Enge treiben. Es sind die Karikaturen der Bürger, die mit Verachtung auf Bovary blicken und sie in den Selbstmord treiben.
Gegen Ende wird das Spiel von Weronika Frodyma zunehmend differenzierter und ergreifender. Ihr letzter langer Tanz ist der einer Frau, die sich selbst verloren hat und durch eine Wüste bewegt, in der ihr nichts mehr vertraut ist.
Eng geschnürte Spielräume
Die Romanfigur Emma Bovary ist nicht zuletzt deshalb berühmt geworden, weil ihr individuelles Scheitern und Versagen die Konturen der eng geschnürten Spielräume aufscheinen ließ, die das Leben von (verheirateten) Frauen so mitleidslos einschränkte. Emmas Begehren gilt nicht der Freiheit und doch ist deren Fehlen mitverantwortlich für die Beschränktheit ihrer Fantasien. Von Emma Bovarys Leiden in der Inszenierung einen Bogen zu ziehen zu den gegenwärtigen Kämpfen von Frauen gegen Unterdrückung ist allerdings ein weiter Weg, den das Stück nicht unbedingt nahelegt. Seine Stärke ist doch mehr ein historisches Bild.
Flauberts Roman zu lesen, ersetzt der Besuch des Tanzstücks natürlich nicht. Auch wenn die kühle Beobachtung und der Witz seiner Sprache in den Zitaten aufscheinen, kommt die choreografische Illustration der gesellschaftlichen Milieus doch nicht an die im Roman heran. Aber Spucks Choreografie hat dafür ihren eigenen Witz, die klassische Ballettsprache ist mit ungewohnten Phrasierungen und Entgleisungen aufgemischt, ein ironischer Gestus spielt immer mit. So unterhält man sich gut an diesem Abend.