Baerbock will nicht mehr antreten: Jede Zeit hat ihre Aufgabe
Außenministerin Annalena Baerbock verzichtet auf eine erneute Kanzlerinnenkandidatur – wegen aktueller Aufgaben. Grüne Spitze lobt sie als Teamplayerin.
Baerbock legte ihre Zukunftspläne nicht etwa in der Parteizentrale der Grünen in Berlin-Mitte offen, sondern nutzte die Weltbühne und ein Interview mit CNN-Chefkorrespondentin Christiane Amanpour am Mittwochvormittag. Im Medienzentrum am Tagungsort fragte Amanpour die deutsche Außenministerin unter anderem nach der Schwäche der Grünen, den Wahlerfolgen der AfD bei jungen Leuten und wie sie, Frau Baerbock, diese für die Demokratie begeistern wolle. Und ob sie selbst darüber nachdenke, als Kanzlerkandidatin anzutreten?
„Um zum zweiten Teil ihrer Frage zu kommen“, antwortete Baerbock. „Die Welt ist offensichtlich eine ganz andere als bei der letzten Bundestagswahl. Angesichts der russischen Aggression und der dramatischen Situation im Nahen Osten braucht es mehr und nicht weniger Diplomatie. In diesen Zeiten der Krise glaube ich, dass es die staatspolitische Verantwortung gebietet, nicht als Kanzlerkandidatin gebunden zu sein, sondern all meine Energie als Außenministerin darauf zu verwenden, Vertrauen, Kooperation und verlässliche Strukturen zu schaffen.“ Viele Partner in der Welt und in Europa vertrauten darauf.
Welt braucht Baerbock dringender als die Grünen
Die Welt braucht Annalena Baerbock also derzeit dringender als die Grünen. Wobei Baerbock betonte: „Im Wahlkampf werde ich natürlich alles tun, um meine Partei zu unterstützen, wie schon in der Vergangenheit.“ – „Verstehe. Sie sagen ja, aber nicht jetzt“, fasste Amanpour zusammen. „Jede Zeit hat ihre Aufgaben“, parierte Baerbock lachend.
Baerbock war 2021 Kanzlerkandidatin der Grünen, setzte sich damals innerparteilich gegen Robert Habeck durch. Die Sympathie für die Grünen im Vorfeld, die in Umfragen bei über 20 Prozent lagen, trug allerdings nicht bis zum Wahltag, was auch an Fehlern Baerbocks im Wahlkampf lag. Die Grünen erreichten bei der Bundestagswahl 14,8 Prozent, mittlerweile sind sie in Umfragen auf 11 Prozent abgerutscht. Es stellt sich also die Frage, ob die Partei überhaupt einen Kanzlerkandidaten aufstellen sollte oder sich mit einem Spitzenkandidaten begnügen sollte. Eigentlich sollte die Basis diesen per Urwahl im Herbst bestimmen.
Statement vor der Urwahl
Am Donnerstagmittag Washingtoner Zeit äußerte sich Baerbock gegenüber deutschen Medien. Sie habe den Ort und den Zeitpunkt des Natogipfels gewählt, „weil ich hier von vielen immer wieder gefragt werde, welche Priorität hat die Außenpolitik in dieser Vorwahlkampfzeit.“ Deshalb habe sie deutlich gemacht, „dass für die Außenministerin Kooperation mit unseren engsten Partnern absolute Priorität hat.“
Das Wichtigste in diesen stürmischen Zeiten seien Vertrauen, Sicherheit und Verlässlichkeit. Zudem verwies sie auf die vielen Reisen, die sie als Außenministerin unternehmen müsse. „Das ist als Außenministerin noch mal eine andere Rolle, wenn man ständig in der Welt unterwegs ist“, sagte Baerbock. Den Zeitpunkt begründete sie mit Verweis auf die Planung der Grünen, die vorsah, den oder die Kanzlerkandidatin im Herbst per Urwahl zu küren.
Habeck steht nun vorne
Doch alles läuft nun auf Robert Habeck zu. Den Wirtschaftsminister, der derzeit auf Sommerreise ist, schien die Ankündigung Baerbock kalt erwischt zu haben. „Dass sie in den USA Statements gibt, zeigt, wie tief sie in der Außenpolitik verankert ist“, antwortete Habeck auf die Frage eines Journalisten, wie er die Erklärung bewerte. Alles andere werde man in den Gremien besprechen.
Auf die Frage, ob sie nun Robert Habeck als Kanzlerkandidaten unterstützen werde, wich Baerbock gegenüber deutschen Medien aus. „Teamplay ist in diesen Zeiten wichtig“. Das habe Habeck ebenfalls deutlich gemacht. „Im Sinne dieses Teamplays werden wir jetzt alle Schritte in den Gremien klären“, sagte Baerbock.
Das Führungsquartett der Grünen bemühte sich den äußeren Eindruck zu glätten. Die beiden Fraktionsvorsitzenden, Katharina Dröge und Britta Haßelmann, erklärten jeweils auf X, es sei verantwortungsvoll, dass Baerbock sich in dieser Zeit auf die Außenpolitik konzentriere. Sie lobten Baerbock zudem für ihr „Teamplay“. „Gut so, für unser Land und für uns Grüne“, schrieb Haßelmann.
Ähnlich äußerten sich die Parteivorsitzenden Omid Nouripour und Ricarda Lang: „So ist Annalena Baerbock, und so schätzen wir sie: mit Verantwortung für das Ganze und als Teamspielerin.“ Dank Baerbock sei Deutschland ein verlässlicher Partner in der Welt. „Gerade jetzt braucht Deutschland eine engagierte Außenministerin wie Annalena Baerbock.“ Und auch von ihnen hieß es: „Alles Weitere entscheiden wir zum gegebenen Zeitpunkt.“
„Mit Verve in den Wahlkampf reinhängen“
Nach Informationen der dpa verschickte Baerbock noch eine Mail an ihre Fraktion, in der sie versprach: „Robert und ich gehen jetzt schon fast ewig gemeinsam durch dick und dünn und werden in den kommenden Wochen eng zusammenarbeiten. Ohne Frage werde ich mich natürlich mit Verve in den grünen Wahlkampf reinhängen als Teil eines starken grünen Teams.“
Um sich dann wieder ihren Aufgaben als Außenministerin zu widmen. In Washington stand am Mittwochnachmittag ein Gespräch mit US-Außenminister Antony Blinken auf dem Programm. Der lobte zum Auftakt die gute Partnerschaft. Baerbock gab das Kompliment zurück, bezeichnete Blinken als Freund und versprach: „Wir freuen uns auf eine gemeinsame Zukunft.“
Über die Zukunft beider Außenminister:innen werden die Wähler:innen entscheiden, in den USA bereits im November. Das alles überwölbende Thema des Gipfels ist, ob der alternde US-Präsident Joe Biden weitermacht oder den Verzicht auf seine Kandidatur erklärt. Während des Nato-Gipfels äußerte sich Biden bislang nicht dazu.
Abschreckung in Grün
Bei der Stationierung von Langstreckenraketen erwartet Baerbock keinen Aufstand in den Reihen der Grünen. Vor zwei Jahren habe man noch gemeinsam mit Russland darüber gesprochen, wie man durch Abrüstung mehr Sicherheit für alle schafft. Dann habe Russland die Ukraine überfallen.
„Man darf in solchen Zeiten nicht an der Vergangenheit festhalten, denn das wäre verantwortungslos. Wir müssen uns in Zukunft wieder anders schützen“, sagte Baerbock gegenüber deutschen Medienschaffenden. Sie hätte sich nie vorstellen können als Grüne Außenministerin so oft das Wort „Abschreckung“ in den Mund zu nehmen. „Aber wenn die Weltlage so ist, dann ist das unsere Aufgabe.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind