„Bad Bank“ für Atomkraftwerke: Die ehrliche Stromrechnung
Danke, Atomlobby: Der Vorschlag der Stromkonzerne, die Atomindustrie dem Bund zu überlassen, führt endlich zu einer realistischen Kostendebatte.
BERLIN taz | Die Empörung ist einhellig und kommt aus allen Parteien: „Frechheit“, „Aprilscherz“, „skandalös“ oder „kein Ablasshandel“, lauten die Reaktionen auf den Vorschlag der Stromkonzerne, ihr Atomgeschäft in einer öffentlich-rechtlichen Stiftung als „Bad Bank“ auszugliedern. Von den Unternehmen gibt es keine offiziellen Stellungnahmen, aber das Thema ist ein heißes Eisen. In Industrie und Politik wollen viele über diese Fragen auch mit Journalisten reden. Nur zitieren lassen will sich niemand.
Dabei bietet der Vorstoß große Chancen. Er zeigt, dass Atomkraft in Deutschland eine ökonomische Altlast ist; er verweist auf die ungesunde Symbiose von Politik und Atomwirtschaft; er bietet die Gelegenheit, die beiden mehr oder weniger CO2-freien Energieformen ökonomisch gegeneinander abzuwägen und die grotesken Kosten darzustellen, welche die nukleare Option hier und in anderen Ländern bringt.
Und er bringt einen anderen Vorschlag wieder ins Spiel, der die Kosten der Erneuerbaren für die Kunden deutlich reduzieren könnte: eine „Bad Bank“ für die Entwicklungskosten der Energiewende.
Wer bezahlt jetzt?
Denn bislang kreisen Debatten über die Energiewende um die Frage: „Wie wahnsinnig sind wir eigentlich, uns diese teuren erneuerbaren Energien zu leisten?“ Dank den Vorständen der deutschen Stromkonzerne RWE, Eon und EnBW lautet die Frage jetzt endlich: „Wie wahnsinnig waren wir eigentlich, uns diese teure Atomenergie zu leisten? Und wer bezahlt jetzt dafür, den Dreck wegzumachen?“
Rücklagen: Für Stilllegung, Rückbau und Entsorgung ihrer AKWs haben die Betreiber Eon, RWE, EnBW und Vattenfall bis Ende 2013 knapp 36 Milliarden Euro an Rückstellungen gebildet. Ob das langt, ist unklar.
Rückbau: Neben den neun Reaktoren, die noch in Betrieb sind, gehören diesen Betreibern neun stillgelegte und vier im Rückbau befindliche. Die Kosten für den Abriss eines größeren AKWs werden von Experten auf mindestens eine Milliarde Euro geschätzt.
Endlager: Für den Atommüll soll allein die neue Suche nach einem Endlager der Regierung zufolge rund 2 Milliarden Euro kosten. Wie viel der Ausbau und Betrieb sowie die - zeitlich unbefristete - Bewachung des Endlagers kosten werden, weiß niemand. (mkr)
Der Poker um die Zukunft des Endes bei der Atomkraft hat begonnen, und die Einsätze sind hoch. Schon lange fordern Atomgegner bei SPD, Grünen und Umweltverbänden, die Konzerne teilweise zu enteignen. Wie in anderen Staaten wollen sie die Rückstellungen von etwa 30 Milliarden Euro, die die Konzerne von Gesetz wegen für Abriss und Entsorgung der Atomanlagen gebildet haben, sicher in einem Fonds bunkern.
Denn die Angst geht um, dass die Konzerne irgendwann in die Insolvenz rutschen und dieses Kapital mitnehmen könnten. Auch aus dem SPD-geführten Bundesumweltministerium gab es zuletzt solche Überlegungen.
Nun haben die Atomkonzerne ihre Bedingungen genannt: Das Atomgeschäft, von einer Gelddruckmaschine zum Klotz am Bein geworden, wollen sie mitsamt den Rückstellungen an den Staat übergeben, der dann aber auch für Restbetrieb, Abriss und Entsorgung des radioaktiven Mülls zu sorgen hätte. Dazu könnten die Konzerne einige ihrer Klagen wegen der Energiewende zurückzuziehen, die den Staat bis zu 15 Milliarden kosten könnten.
Die nuklearen Zwillinge
Beide Seiten behaupten, dem Gegner stehe das Wasser bis zum Hals. Die Konzerne verbreiten, wegen der teuren Klagen müsse der Staat einlenken. Die Politik verweist darauf, wie sehr die ungeklärten Atomkosten die Kreditwürdigkeit der Unternehmen belasten. Aber diese Gegnerschaft der nuklearen Zwillinge Politik und Wirtschaft ist nur vorgetäuscht.
Die Bundesregierung drängte in den 60er Jahren die damals unwilligen Konzerne in die Nukleartechnik. Die personellen Verflechtungen zwischen Firmen, Behörden und Politik sind legendär, die Finanzminister planen mit den Steuern aus dem Atomgeschäft. Und die Konzerne gehören teilweise der öffentlichen Hand: Vattenfall dem schwedischen Staat, RWE zu einem Viertel den NRW-Kommunen und EnBW fast zur Hälfte dem grün-schwarzen Baden-Württemberg.
Schon immer hat der Staat von den Atombetreibern die Haftung bei möglichen Unfällen übernommen, was nach Expertenrechnung bei einem „Großschaden“ schnell mal 500 Milliarden werden könnten. Die Konzerne sind längst wie die Banken in der Finanzkrise „too big to fail“ und zu systemrelevant, um sie scheitern zu lassen.
Eine „schonungslose ökonomische Gesamtbilanz“ zu Atomsubventionen und Folgekosten hat deshalb der grüne Umweltminister von Niedersachsen, Stefan Wenzel, gefordert. Das werde „vermutlich auch andere Staaten vom Atomausstieg überzeugen“.
Stromkunden entlasten
Aber wenn schon eine ehrliche Rechnung, dann richtig: Der ehemalige CDU-Umweltminister Klaus Töpfer und andere Experten plädieren schon länger für einen „Altlastenfonds“: Ein großer Teil der Entwicklungskosten vor allem der Solarenergie soll über Kredite finanziert werden und nicht wie derzeit über die strompreistreibende EEG-Umlage. Die aktuelle Belastung der Stromkunden von derzeit 20 Milliarden Euro im Jahr würde drastisch sinken, das Geld käme wieder rein durch künftige Gewinne der stets billiger werdenden Wind- und Solarenergie.
Ein ähnlicher Vorschlag der bayerischen CSU-Wirtschaftsministerin Ilse Aigner wurde im Januar mit dem Argument versenkt, eine „Energiewende auf Pump“ dürfe es nicht geben – dabei sind die völlig unabsehbaren Kosten für die nukleare Entsorgung finanziell viel riskanter.
Wie das Pokerspiel zwischen Politik und Konzernen ausgeht, ist offen. Wichtig aber wäre es für Deutschland, in der Debatte um eine globale Energiewende eine umfassende Rechnung präsentieren zu können.
Staaten wie Großbritannien, China oder Indien, die sich jetzt entscheiden müssen, ob sie Atomkraftwerke oder Windräder bauen sollen, könnten sehen: So hoch sind die echten Kosten für das Abenteuer Atom. Und so niedrig liegen sie bei den Erneuerbaren.
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