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BVerfG zu VerfassungsschutzgesetzViel zu viel Überwachung

Bayerns Verfassungsschutz hat bisher weitreichende Ermittlungsmöglichkeiten. Doch die verstoßen teils gegen das Grundgesetz, entschied nun das BVerfG.

Bayerisches Wappen vor dem Landesamt für Verfassungsschutz in München Foto: Peter Kneffel/dpa

Karlsruhe taz | Weite Teile des 2016 novellierten Gesetzes über den bayerischen Verfassungsschutz verstoßen gegen das Grundgesetz. Dies hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt. Allerdings bleiben fast alle beanstandeten Paragrafen bis Juli 2023 in Kraft und können bis dahin vom Münchener Landtag nachgebessert werden. Insgesamt beanstandeten die Ver­fas­sungs­rich­te­r:in­nen 16 Normen des bayerischen Gesetzes.

Der Verfassungsschutz hat als Inlands-Geheimdienst die Aufgabe, Bestrebungen gegen die freiheitliche Demokratie frühzeitig zu entdecken und öffentlich anzuprangern. Es gibt eigene Verfassungsschutzbehörden auf Bundesebene und in jedem Bundesland. Der Bayerische Verfassungsschutz hatte seit einer Reform 2016 besonders weitgehende Befugnisse, etwa das Recht, Wohnungen mithilfe von Wanzen zu überwachen.

Mit Unterstützung der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) klagten drei bayerische Linke gegen alle Bestimmungen der Reform von 2016. Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts nahm die Klage dankbar zum Anlass, um ein 132-seitiges Grundsatzurteil über heimliche Ermittlungsmaßnahmen der Verfassungsschutzbehörden zu verfassen. Ein ähnliches Urteil für die Polizeibehörden gab es bereits 2016 mit der Karlsruher Entscheidung zum BKA-Gesetz.

Die Rich­te­r:in­nen stellten nun klar, dass für den Verfassungsschutz andere Anforderungen gelten als für die Polizei. Während die Polizei in der Regel erst bei einer konkreten Gefahr in Grundrechte eingreifen darf, ist die Schwelle beim Verfassungsschutz niedriger, da dieser weniger handfeste Befugnisse hat. So darf der Verfassungsschutz weder Wohnungen durchsuchen, noch Personen festnehmen.

Künftig strengere Voraussetzungen

Für heimliche Ermittlungsmaßnahmen ist nun statt einer Gefahr nur ein „hinreichender verfassungsschutzspezifischer Aufklärungsbedarf“ erforderlich, so die Richter:innen. Was das konkret ist, wird in den kommenden Jahrzehnten Gegenstand zahlreicher Doktorarbeiten sein.

Nur Maßnahmen, „die zu einer weitestgehenden Erfassung der Persönlichkeit führen können“, sollen auf die Abwehr konkreter Gefahren beschränkt sein. Konkret beanstandeten die Richter deshalb die Befugnisse des bayerischen Verfassungsschutzes zum Großen Lauschangriff (also zur Überwachung von Wohnraum mittels versteckten Mikrofonen) und zur Online-Durchsuchung (das heißt zur heimlichen Ausspähung von Computerfestplatten mittels Trojaner-Software). Der Verfassungsschutz darf solche Maßnahmen auch nur nutzen, wenn die Polizei mit eigenen Maßnahmen zu spät käme.

Bei mehreren anderen Befugnissen verlangten die Rich­te­r:in­nen ebenfalls strengere Eingriffs-Voraussetzungen als bisher im bayerischen Gesetz vorgesehen sind. Konkret ging es um die Ortung von Mobiltelefonen, die längerfristige Observation außerhalb der Wohnung sowie den Einsatz von verdeckten Er­mitt­le­r:in­nen und V-Leuten. Bei all diesen Maßnahmen verlangten die Rich­te­r:in­nen zudem eine „Vorabkontrolle“ durch eine unabhängige Einrichtung. Dies kann ein Gericht, eine unabhängige Behörde oder ein parlamentarisches Gremium sein.

Deutlich strengere Anforderungen sollen künftig auch für die Übermittlung von Daten durch den Verfassungsschutz gelten. Dieser darf heimlich beschaffte Daten nur dann an andere Behörden wie die Polizei weitergeben, wenn diese sich die Daten auf gleichem Wege auch selbst hätten beschaffen dürfen.

Die In­nen­mi­nis­te­r:in­nen von Bund und Ländern müssen nun genau prüfen, welche Auswirkungen das Urteil auf ihre jeweiligen Verfassungsschutzgesetze hat.

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