Autoritäre Staaten brauchen viele Babys: Vermehrt euch!
Über Häschen-Videos und islamische Aufklärung. Die polnische PiS-Regierung und Erdoğans AKP machen Sexpolitik.
In den frühen Nullerjahren kannte sie jedes Kind: die Teletubbies. Vier rundliche, bunte, geschlechtslose Plüschfiguren sprangen über grünende Hügel und durch surreal anmutende Gärten. Am pädagogischen Wert der Kinderserie gab es von Beginn an Zweifel. Warum all das? Irgendwie doof. Heute sind in Deutschland Tinky-Winky, Dipsy, Laa-Laa und Po weitgehend vergessen, auch wenn sie gerade neu aufgelegt werden.
In Polen hingegen haben sich die Macher eines Werbeclips zumindest von jener Landschaft inspirieren lassen – und vielleicht auch von der Tubbie-Blödelei. Da sind es Hasen, die aktuell über Hügel, an bunten Blumen und übergroßen Pilzen vorbei und schließlich auch von Kohlköpfen hoppeln.
Fruchtbarkeit? Kinderreichtum? Ein Mümmelmann – die Stimme aus dem Off – verrät sein Geheimnis: „Erstens bewegen wir uns viel, zweitens essen wir gesund.“ Es geht noch weiter: „Drittens stressen wir uns nicht, wenn wir nicht müssen“, verrät ein anderer Hase gähnend, eine Sonnenbrille auf der Nase. „Viertens nehmen wir keine Drogen.“
Albern, ja, natürlich, der Hintergrund des zur Primetime im polnischen Fernsehen platzierten Clips ist jedoch ein ernster: Das Gesundheitsministerium des Landes fordert die Polen auf, mehr Kinder zu bekommen. Neu ist dies freilich nicht; auch die Vorgängerregierungen haben versucht, eine ausgesprochen schwierige demografische Situation auszugleichen.
Aber keine Kampagne war bisher derart offensiv, wie die der im Oktober 2015 gewählten nationalkonservativen Regierung der Partei PiS (Recht und Gerechtigkeit) unter Premierministerin Beata Szydło, die jedoch vergangene Woche von ihrem Amt zurückgetreten ist.
Eine niedrige Geburtenzahl, aber auch Abwanderung haben Polen lange zugesetzt. 1,32 Kinder pro Frau werden im Durchschnitt zwischen Danzig und Krakau geboren, in der EU sind es 1,57. Dagegen soll etwas getan werden – und der Hase muss ran! Die Ästhetik: doof wie bei Tinky-Winky. Was soll’s! Eine PiS-Abgeordnete findet den Clip „großartig“, in einer Verlautbarung des Gesundheitsministeriums heißt es, man wolle der Bevölkerung zu einem „gesünderen Lebensstil“ verhelfen.
Frauen als Gebärmaschinen?
Kritik kommt von Oppositionspolitikern und regierungskritschen Journalisten. In der Gazeta Wyborcza, einer der auflagenstärksten Zeitungen des Landes, klagt Monika Olejnik Gesundheitsminister Konstanty Radziwiłł an: Stelle sich der Minister Polinnen etwa als Karnickel vor? „Das beleidigt die Intelligenz der Polen.“
Drei Millionen Złoty, etwa 730.000 Euro, hat sich die Regierung die Kampagne kosten lassen – und dabei beharre sie immer noch auf einem Verbot der künstlichen Befruchtung, merkt Joanna Schmidt, Mitglied der liberalen Nowoczesna (Die Moderne), dazu an.
Vieles an dem Clip löst beim Betrachter Schmerzen in der Brust aus. Hasen immerhin sind im Tierreich ganz weit vorn, zehn oder sogar zwölf Tiere können sie hintereinander werfen und das mehrere Male im Jahr. Sollen hier Frauen zu Gebärmaschinen degradiert werden? Die Sprache in Verbindung mit Hasen sei negativ, kommentierte der bekannte Sprachwissenschaftler Jerzy Bralczyk. „Eine fatale Idee.“
Mehr unverhohlene Biopolitik geht kaum – der Wille zur Nutzbarmachung der Körper einer Bevölkerung. „Wenn du also auch Kinder haben willst, mach es wie die Kaninchen“, heißt es zum Ende des Clips. „So let’s do it like they do on the Discovery Channel“, sang 1999 schon Jimmy Pop von der Bloodhound Gang in „The Bad Touch“. Die einen zwinkern ironisch mit den Augen, die anderen weniger.
Die Kampagne jedoch zieht. Millionen von Menschen haben die quasselnden Hasen gesehen, landauf, landab wurden sie kritisch besprochen. Schlechte Werbung ist bekanntermaßen die beste Werbung.
Von Philipp Fritz
Staatspräsident Erdoğan ist bekannt dafür sich in das Privatleben der Bevölkerung einzumischen. Nicht saufen und rauchen, keine Zeit mit Bücher lesen verschwenden oder in Devisen investieren. Da überrascht es, dass der Chef noch keine Empfehlung für ein optimales Vögelverhalten zum besten gegeben hat.
In Anbetracht der jungen Bevölkerung müsste das ein Topthema sein. Ist die AKP verklemmt? Wahrscheinlich nicht. Das sexuelle Interesse und die amouröse Aktivitätsrate der Türken dürften dem Weltbevölkerungsdurchschnitt entsprechen. Sicher ist Sex für sie nicht mehr oder weniger Tabu als andernorts. Aber in der Öffentlichkeit gilt die Auffassung: Pimpern ist Sache von miteinander verheirateten, heterosexuellen Paaren.
Wer genau hinschaut, erkennt durchaus eine Sexpolitik: Die AKP Agenda zur Förderung von Familien- und Fortpflanzung. Diese wird, wie es sich in einem Patriarchat schickt, auf dem Rücken der Frau ausgetragen. Sie soll bitte mindestens drei, noch besser fünf Kinder gebären, während der Schwangerschaft kein Aufsehen erregen,in dem sie in der Öffentlichkeit mit ihrem fruchtbaren Körper an ihre sexuelle Aktivität erinnert, und natürlich ihr Leben auf das Dasein als Mutter und Ehefrau ausrichten.
Die Ehe ist also Pflicht für gute Muslim*innen und Geschlechtsverkehr ein Grundpfeiler dieser Verbindung. Laut dem Koran dient aber der Koitus mitnichten nur zur Fortpflanzung. Sex darf und MUSS Spaß machen. So argumentierte 1985 Ali Rıza Demircan in Bezugnahme auf Koransuren in seinem 729 Seiten umfassenden Buch „Sexualität im Islam“. Sexuelle Befriedigung sei eine Form der Gotteshuldigung, die es zu erfüllen gilt und die Existenz der Klitoris hierfür der Beweis.
Der islamische Gelehrte und Theologe hatte für heftige Kontroversen gesorgt. Die türkischen Regierung unter Turgut Özal verklagte ihn wegen Verstoßes gegen den Laizismus, sowie Erniedrigung islamischer Werte und ließ seine Bücher einsammeln. Tatsächlich ist Demircans Werk nicht so liberal, wie es anmutet. Homosexualität und außerehelicher Sex werden als haram deklariert. Dennoch kann der Autor als Pionier bezeichnet werden. Es gibt in der türkischen Geschichte wenige islamische Theologen, die Sex so offensiv thematisierten.
Retabuisierung und Reduktion von Sex
Eine wichtige Aufklärungsarbeit leisteten in den 80er- und 90er-Jahren der Sexologe Haydar Dümen und die Kolumnistin Güzin Sayar, besser bekannt als Güzin Abla. (zu Deutsch: große Schwester). Sie sind quasi das türkische Pendant zu Dr. Sommer – nur eben für Erwachsene.
Mit ihren Fernsehauftritten und Fragekolumnen boten sie ein niedrigschwelliges Angebot für anonyme Fragen. Gleichzeitig erreichten sie eine hohe Akzeptanz, Themen wie Vergewaltigung in der Ehe oder das Recht auf den weiblichen Orgasmus in der Öffentlichkeit zu diskutieren.
Diese Form der sexuellen Aufklärungsarbeit ist verschwunden. Die sich anfänglich liberal gebende AKP, unter der 2011 noch über die Einführung von Sexualkunde diskutiert wurde, lässt einerseits Kuppelshows aus dem Fernsehprogramm entfernen, andererseits schrille Werbung für plastische Vaginalchirurgie zur Primetime senden.
Die Retabuisierung und Reduktion von Sex als Fortpflanzungsmethode stellt einen Rückschritt dar. Allerdings gibt es Organisationen und Einzelpersonen, die sich für sexuelle Aufklärung und Selbstbestimmung einsetzen, die es zu unterstützen gilt. Eine davon ist Sexologin Rayka Kumru, die auf YouTube und Twitter über Sex spricht. Wie es der Sexologe Iv Psalti mal sagte: „Ich ziehe es vor, von Menschen mit einem gesunden Sexleben regiert zu werden.“
Von Canset Içpınar
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?