Autor Dipo Faloyin im Gespräch: „Die meisten denken an Armut“
Mit seinem Buch „Afrika ist kein Land“ will der nigerianische Autor Faloyin mit Vorurteilen aufräumen und zeigen, wie vielfältig der angebliche Krisenkontinent ist.
taz: Herr Faloyin, wenn Menschen das Wort Afrika hören, woran denken sie dann?
Dipo Faloyin: Die meisten Menschen denken an Armut und Safaris und nichts anderes. Ich möchte, dass sie den Kontinent so sehen, wie ich ihn sehe. Aus meiner Sicht ist er sehr vielfältig.
Wann haben Sie sich entschieden, das Buch „Afrika ist kein Land“ zu schreiben?
Ich bin mit den ganzen Vorurteilen über den Kontinent aufgewachsen. Die Idee, darüber ein Buch zu schreiben, gab es schon lange. Im Sommer 2020 entstand allerdings eine internationale Debatte um „Rasse“ und Identität. Die Abrechnung mit der Geschichte und der Kolonialzeit begann. Ich wusste: Afrika muss Teil dieser Debatte sein.
lebt in London und schreibt als Redakteur von „Vice“ über Kultur in Europa, den Nahen Osten und Afrika. Er ist Autor des Buchs „Afrika ist kein Land“ (Suhrkamp Verlag, 2023).
2020 ist das Jahr gewesen, in dem der Afroamerikaner George Floyd von einem Polizisten ermordet wurde. Die Bewegung Black Lives Matter erhielt weltweit Aufmerksamkeit. Beispielsweise in der belgischen Stadt Antwerpen wurde auch mit der Kolonialzeit abgerechnet, in dem die Statue des einstigen Königs Leopold II. angezündet wurde. Hat das zu einer breiteren Debatte geführt?
Meiner Meinung nach hat sich die Debatte ausgeweitet. Die Bewegung Black Lives Matter begann mit der Polizeigewalt in den USA. Das hat bei People of Color weltweit und vor allem in Europa Anklang gefunden. Das hat nicht notwendigerweise mit Polizeigewalt zu tun, sondern mit rassistischen Vorurteilen und Ungerechtigkeit. In vielen Bereichen hat eine Aufarbeitung begonnen. Ob es grundsätzliche Änderungen gibt, werden wir erst sehen. Breiter diskutiert werden diese Themen aber auf jeden Fall.
Allerdings scheinen diesen Debatten vor allem in der Diaspora und gar nicht auf dem Kontinent selbst geführt zu werden. Zu den weltweit bekannten Stimmen gehört beispielsweise die nigerianische Autorin Chimamanda Ngozi Adichie, die in den USA lebt.
Nigeria hat natürlich eine riesige, einflussreiche und talentierte Diaspora. Sie interessiert sich für das, was in Nigeria passiert. In meinem Buch beschreibe ich aber, dass es so viele Gruppen auf dem Kontinent gibt, die ihn von innen heraus ändern wollen. Sie leisten die meiste Arbeit. Letztendlich ist es eine gute Mischung.
Welche Rolle spielen afrikanische Politiker:innen in der Debatte?
Meiner Meinung nach haben sie keine große Rolle gespielt. Ghana hat [Anmerkung: im Jahr 2020] allerdings erfolgreich das „Jahr der Rückkehr“ organisiert. Afroamerikaner wollten wieder Kontakt zum Kontinent aufbauen. Dazu hat Black Lives Matter sicher beigetragen.
Zunehmend bekannt werden in Europa und den USA sind auch Nigerias Filmindustrie Nollywood sowie Musiker wie Burna Boy und Wizkid. Gelingt es über die Kultur, mit Vorurteilen aufzuräumen?
Popkultur ist der Weg, um über andere Kulturen und Traditionen zu lernen. Sie ist der wichtigste Zugang. Die junge Generation lernt den Kontinent vor allem über Afrobeats kennen. Das ist einzigartig. Menschen können über Musik und Filme in Kontakt mit dem Kontinent treten. Beides zeigt, wie wir dort unsere Leben leben, und nicht, wie Hilfsorganisationen das in ihren Wohlfahrtskampagnen dargestellt haben.
Sie leben in London. Wie werden Westafrikaner:innen dort wahrgenommen?
Westafrikaner haben weltweit und vor allem in Großbritannien einen großen Einfluss. Es gibt eine große westafrikanische Community. Im Moment ist es cool, Westafrikaner, Nigerianer zu sein.
In Deutschland wird Nigeria derzeit vor allem mit den Benin-Bronzen in Verbindung gebracht. Hat sich das Image durch die Debatte über den Wert der geraubten Artefakte und die Rückgabe geändert?
Es macht einen großen Unterschied, und man beginnt zu verstehen, warum die Rückgabe der Artefakte so wichtig ist. Sie stammen von Nationen, die eine reiche kulturelle Geschichte haben. Und diese eigene Geschichte können sie jetzt erzählen. Jede Debatte über die Identität des Kontinents und der Fähigkeit von Ländern, ihre eigene Geschichte zu erzählen, wird dazu beitragen, die Stereotype zurückzuweisen.
Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock hat im vergangenen November die ersten 20 Benin-Bronzen dem nigerianischen Staat übergeben. Dieser hat das Eigentum mittlerweile auf den Oba von Benin, den traditionellen Herrscher des Edo-Volks, übertragen, was in Deutschland kritisiert wurde. Was halten Sie von dieser Kritik?
Es ist die Entscheidung der nigerianischen Regierung, der Länder, denen so etwas gehört. Sie müssen entscheiden, ob sie ihr Eigentum gut oder schlecht nutzen wollen. Das kann natürlich frustrierend sein. Ich möchte nicht, dass die Artefakte beschädigt, zerstört oder der Öffentlichkeit vorenthalten werden. Letztendlich haben die Länder aber das Recht zu entscheiden, was mit ihnen geschieht. Die Artefakte gehören ihnen.
Entwicklungen auf dem Kontinent werden häufig als entweder oder dargestellt. Ruanda gilt beispielsweise als Positivbeispiel, wenn es um Frauen in politischen Ämtern und einer effizienten Organisation des Staats gilt. Kritik an Präsident Paul Kagame, der seit 23 Jahren an der Macht ist und Human Rights Watch zufolge Kritiker:innen verhaften und Menschenrechte einschränken lässt, ist dagegen selten zu hören.
Ja, das ist widersprüchlich. Mir geht es um einen vollständigen Kontext in Diskussionen über den Kontinent. Es geht darum zu verstehen, wo wir aus welchen Gründen stehen. Dadurch entstehen Gespräche, die näher an der Realität sind.
Auf dem Kontinent wird zunehmend Kritik an Europa laut; vor allem in den Sahelstaaten gegenüber Frankreich. Warum ist eine ähnliche Kritik nicht aus Nigeria zu hören?
Die Situation ist eine andere. Nach dem Ende der Kolonialzeit hat Frankreich versucht, seinen Einfluss in der Region weiter auszuüben, wogegen sich einstige Kolonien heute auflehnen. Das hat zu einer unterkühlten und seltsamen Beziehung geführt, wofür Frankreich die Verantwortung übernehmen muss. Die Probleme und Herausforderungen in der Region bleiben. Darum müssen sich nun die Verantwortlichen vor Ort und die Bevölkerung kümmern. Sie haben klargemacht, dass Frankreich sich nicht einmischen soll, was ihr gutes Recht ist. Jetzt müssen sie die Nationen so gestalten, wie sie es für richtig halten.
Vor allem junge Afrikaner:innen sprechen wieder vom Panafrikanismus. Dabei gibt es auch auf dem Kontinent Vorurteile und Stereotype. In der Wirtschaft bleiben Handelsbarrieren bestehen. Ist Panafrikanismus bloß eine Idee, die mit der Realität nichts zu tun hat?
Panafrikanismus war die ursprüngliche Idee, die sich nicht länger mit der Realität des Kontinents deckt. Möglich ist eine stärkere Zusammenarbeit zwischen Ländern mit gemeinsamer Geschichte, um sich Herausforderungen zu stellen. Junge Menschen scheinen Ideale und Wertevorstellungen zu teilen. Sie versuchen, dass ihre Länder neue Wege einschlagen. Es gibt eine echte Möglichkeit, dass die Zusammenarbeit zwischen den Ländern zunimmt. Panafrikanismus ist vor allem ein gewisser Geist, weniger jedoch ein politisches Prinzip.
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