Debatte um Sammlung Beier in Bayreuth: Die Schätze afrikanischer Patienten
Die Bayreuther Uni verfügt über Kunstwerke, die unter Anleitung des Reformers Ulli Beier in einer Psychiatrie in Nigeria entstanden. Wem gehören sie?
Sie zeigen Eidechsen und Ziegen, Menschen in alltäglichen Situationen oder Selbstporträts. Die Zeichnungen entstanden in den 1950er Jahren im nigerianischen Abeokuta. Sie werden der sogenannten Oshogbo-Schule zugerechnet. Vor dem Hintergrund der Restitutionsdebatte und den ebenfalls aus Nigeria stammenden Benin-Bronzen in deutschen Museen wird auch ihr Erwerb nun einer kritischen Betrachtung unterzogen.
Viele der Artefakte befinden sich heute im Iwalewahaus, einem Kunstzentrum, das zu Institut für Afrikastudien und Exzellenzcluster der Universität Bayreuth gehört. Vor rund 40 Jahren wurden die Zeichnungen hier erstmals ausgestellt.
Doch die Selbstverständlichkeit, mit der noch in den 1980ern außereuropäische Kunst gesammelt und gezeigt wurde, ist heute einer neuen Aufmerksamkeit für Herkunft, Entstehungszusammenhang und Erwerb solcher Objekte gewichen.
So steht heute die Frage im Raum, unter welchen Umständen die von Patienten einer psychiatrischen Einrichtung in Nigeria angefertigten Bilder in die oberfränkische Provinz gelangt sind. Und, wie es um die Eigentumsrechte dieser Kunstobjekten steht.
Das Iwalewahaus in Bayreuth
Beim Iwalewahaus in Oberfranken handelt es sich um eine universitäre Vorzeigeeinrichtung in Deutschland. Sie verfügt über eine hierzulande einzigartige Sammlung moderner und zeitgenössischer bildender Kunst aus Afrika, Asien und dem pazifischen Raum. Den Grundstock dafür legte der erste Leiter, Ulli Beier, der das Haus 1981 gründete und die Ausrichtung bis heute prägt.
In der Mehrzahl handelt es sich bei der Sammlung um Erwerbungen aus den letzten fünf bis sechs Jahrzehnten, die meisten früheren europäischen Kolonien waren da bereits souveräne Staaten geworden. Nigeria wurde 1960 unabhängig, einige Zeichnungen entstammen noch aus der Zeit der britischen Kolonie.
Sarah Böllinger ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Iwalewahaus und forscht zu verschiedenen Dimensionen von Behinderung. Bei ihrer Recherche wurde die 39-Jährige auf die 147 zumeist kleinformatigen Zeichnungen aufmerksam und kuratierte auch die jüngst eine Ausstellung der Arbeiten am Haus.
Sie sieht in dem Entstehungszusammenhang und dem Umgang mit den Zeichnungen ein Symbol für koloniale Machtstrukturen. Wie die Zeichnungen vor rund 70 Jahren entstanden, beschreibt Katharina Greven, ebenfalls wissenschaftliche Mitarbeiterin. Sie hat zu Ulli Beiers Biografie geforscht.
Ein Reformpädagoge in Afrika
30 Jahre bevor er das Iwalewahaus in Bayreuth gründen wird, geht Ulli Beier 1950 gemeinsam mit seiner Frau, der österreichischen Künstlerin Susanne Wenger, nach Nigeria. An der Universität von Ibadan wird Beier angestellt, um Phonetik zu unterrichten. Schon zuvor hatte der 1922 geborene Sohn eines Arztes Europa verlassen. Der Vater, ein nicht praktizierender Jude, war infolge der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 mit der Familie nach Palästina emigriert.
1948 ging Ulli Beier für ein Studium der Phonetik nach London. Neben dem Studium unterrichtet er Kinder mit Behinderungen – eine Erfahrung, die seine Einstellung zur universitären Lehre prägen sollte, so Greven über den späteren kunstinteressierten Sprachwissenschaftler.
Zwei Jahre später in Nigeria entwickelt Beier eine rasche Abneigung gegen das Curriculum und die Vermittlung der englischen Sprache in einem Land, das mit Akteuren wie dem späteren Literaturnobelpreisträger Wole Soyinka oder dem Schriftsteller Chinua Achebe und dessen weltweit gefeiertem Debütroman „Things Fall Apart“ (1958) gerade mitten im Aufbruch einer künstlerischen Moderne steht. „Beier hat jede Chance genutzt, vom Campus runterzukommen“, sagt Forscherin Böllinger.
Beier tritt eine Stelle im 80 Kilometer entfernen Ede an und beginnt dort, Yoruba-Lyrik zu unterrichten. Ein Zufall führt ihn an das Lantoro Mental Hospital in Abeokuta.
Arbeit mit traumatisierten Soldaten
In der psychiatrischen Einrichtung werden nach dem Zweiten Weltkrieg traumatisierte nigerianische Soldaten behandelt, die in Burma, dem heutigen Myanmar, gekämpft hatten. Die Einrichtung ist damals kaum mehr als eine Anordnung von Wellblechhütten, in deren Mitte ein Baum steht.
Ein in Beiers Aufzeichnungen als Titus benannter Patient führt Beier und Susanne Wenger über das Gelände. Titus wird eine wichtige Bezugsperson für beide werden und einer von zwölf (männlichen) Künstlern sein, die das europäische Auswandererpaar in der Einrichtung fördert. „Beier und Wenger waren fasziniert. Positiv von den Patienten und negativ von den Zuständen in der Einrichtung“, so entnimmt es Sarah Böllinger den Aufzeichnungen Beiers.
Beier und Wenger beschließen, bei ihrem nächsten Besuch Farben und Pinsel mitzunehmen. In den folgenden 18 Monaten bieten sie jeden Donnerstagvormittag einen Kunstkurs an. In Europa wuchs nach dem Zweiten Weltkrieg und überwundenen Nationalsozialismus wieder das Interesse an Kunst gesellschaftlicher Außenseiter.
Art Brut und afrikanische Moderne
„Wenger und Beier sind sich in Paris begegnet, also einem Ort, wo in den 1950er Jahren die Art Brut sehr prägend in der Kunstszene war“, so Ulf Vierke, der das Iwalewahaus heute leitet und als Jurastudent Ulli Beier am Iwalewahaus kennenlernte.
„Damals gab es die Idee, dass neurodiverse Menschen Kunst schaffen können, die unverbaut ist von einer akademischen Bildung.“ Das künstlerische Umfeld in Paris, Beiers Unterricht mit behinderten Kindern in London und das Interesse für moderne nigerianische Kunst, all das sei schließlich am Lantoro Mental Hospital in Abeokuta zusammengekommen, so Vierke.
Für Beier, der sich bislang vor allem mit Sprachen beschäftigte, war es der Beginn eines größeren Kunstmäzenatentums. Nach der Trennung von Wenger heiratete Beier 1965 die Londoner Künstlerin Georgina Betts. Das Paar betrieb in Oshogbo auch eine Galerie, das heute als Museum fungiert.
Hunderte von Zeichnungen sind in der psychiatrischen Einrichtung in Nigeria entstanden. Mit der Gründung des Iwalewahaus 1981 wird Beier sie als Teil seiner Privatsammlung mit nach Bayreuth bringen. Wie die Arbeiten in seinen Besitz gelangt sind, ob er sie den Künstlern abgekauft hat, ob es sich um Schenkungen handelt, darüber gibt es keine Aufzeichnungen.
Koloniale Machtverhältnisse
Für Ulf Vierke bleibt die Sammlung deshalb problematisch. Auch würden durch den Kontext der psychiatrischen Einrichtung die Machtverhältnisse im kolonialen Nigeria noch verstärkt. Es sei „alles andere als neutral, wenn da dieser weiße, im Dienst des Kolonialsystems stehende Ulli Beier die Patienten auffordert, Zeichnungen anzufertigen“. Vierke sieht aber auch den positiven Einfluss Beiers und Wengers, die den Patienten die Möglichkeit gaben, künstlerisch tätig zu werden.
1957 hatte Beier erstmals gemeinsam mit dem Schriftsteller Janheinz Jahn das Magazin Black Orpheus herausgegeben und dort Texte zeitgenössischer afrikanischer Autoren veröffentlicht. Auch einige von ihm und Wenger initiierte Zeichnungen aus dem Lantoro Mental Hospital habe er darin abgedruckt, so Katharina Greven. Dort erschienen sie gleichwertig neben anderen künstlerischen Arbeiten.
Mittlerweile befinden sich die meisten der Zeichnungen aus Abeokuta wieder in Nigeria. Als Ulli Beier 2011 in Australien starb, ging sein Nachlass zunächst nach Bayreuth. Er wurde digitalisiert und schließlich dem Centre for Black Culture and International Understanding (CBCIU) im nigerianischen Oshogbo übertragen.
Das CBCIU als Ort für seinen Nachlass hatte Beier selbst verfügt.
Drei-Wege-Strategie der Bundesregierung
Die knapp 150 Originalzeichnungen, die jetzt noch am Iwalewahaus verblieben sind, wurden nun Teil der Pilotphase der bundesweiten 3-Wege-Strategie, der 25 Einrichtungen in Deutschland angehören, etwa die Staatlichen Museen zu Berlin oder das Museum Fünf Kontinente in München. 2020 ist die Strategie von der damaligen Kulturstaatsministerin Monika Grütters initiiert worden.
Auf drei parallel verlaufenden Wegen, unter Einbeziehung von Expert*innen aus den jeweiligen Herkunftsstaaten, soll so Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten erfasst, digital und per öffentlicher Einrichtungen zugänglich gemacht werden. Noch arbeite man an gemeinsamen Standards und Strukturen der digitalen Zugänglichkeit, aber die Zusammenarbeit unter den Einrichtungen des Verbunds sei gut, heißt es aus dem Iwalewahaus.
Sarah Böllinger, die sich in ihrer Forschung intensiv mit den Zeichnungen beschäftigt, leitet auch das Büro des Beauftragten für behinderte und chronisch kranke Studierende der Universität Bayreuth. Sie arbeitet nun daran, die Zeichnungen den jeweiligen Künstlern individuell zuzuordnen, denn die Angaben zur Urheberschaft sind zumeist unvollständig.
Stattdessen haften an manchen Zeichnungen Notizen über den Gesundheitszustand des Künstlers. Ulli Beier selbst hatte solche Angaben beigefügt. Zuletzt entschied sich Böllinger, diese nicht in Ausstellungen zu zeigen. Die erhaltenen Krankenakten will sie in ihre Forschung nicht einbeziehen. Die Urheber der Zeichnungen sind Künstler, so Böllinger. Ihr Status als Patient sei da unerheblich.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Fall Mouhamed Dramé
Psychische Krisen lassen sich nicht mit der Waffe lösen
Ex-Mitglied über Strukturen des BSW
„Man hat zu gehorchen“