Automatisierung verdrängt Schaltgetriebe: Knüppel in den Sack
Immer mehr Elektroautos kommen auf die Straßen – und verdrängen damit die Handschaltung. Vier Texte zum Abschied.
Der Dialysepatient flog fast aus dem Fenster
Mit Anfang 20 bin ich für ein paar Jahre im Rhein-Main-Gebiet Taxi gefahren. Die kleine Taxiklitsche bestritt ihre Haupteinkünfte mit Krankenfahrten. Was bedeutete, Dialyse- und Rehapatienten hin- und herzukutschieren – alles auf Krankenschein und meist auch ohne Trinkgeld. Für jeweils eine monetär eher kärgliche Tagesschicht bekam man eine deutliche attraktivere Nachtschicht; das war der Köder, den Cheffe ausgeworfen hatte, damit sich überhaupt irgendwer dieser ungeliebten Fahrten erbarmte.
Der Anteil der Fahrzeuge mit Automatikgetriebe ist von 20 Prozent im Jahr 2000 auf 66 Prozent im laufenden Jahr gestiegen. Im Pkw-Bestand hat sich die Zahl der Automatikautos von 1983 bis 2018 knapp verdreifacht und macht heute etwa ein Drittel aus. Je stärker ein Auto motorisiert ist, desto höher ist der Ausstattungsgrad mit Automatikgetrieben. Die Oberklasse ist heute zu nahezu 100 Prozent mit Automatik ausgestattet, auch die Klasse der SUV und Geländewagen verfügt weitgehend über Automatikgetriebe.
Elektroautos brauchen keine Schaltung
Bei Elektrofahrzeugen ist ein mehrstufiges Schalt- oder Automatikgetriebe nicht erforderlich. Die verbauten Ein-Gang-Getriebe sind zudem oftmals leichter als ein Getriebe bei einem Verbrennungsmotor. Fahrschüler:innen mit einem sogenannten Automatikführerschein müssen mindestens zehn zusätzliche Fahrstunden à 45 Minuten mit einem Schaltfahrzeug absolvieren und die Fahrtauglichkeit in einer 15-minütigen Testfahrt in der Fahrschule nachweisen.
(Deutsche Automobil Treuhand (DAT), taz)
Mir als einziger Frau hatte man bisher immer den schrottigsten Benz des Betriebes zugewiesen, dessen Kilometerzähler bereits eine komplette Äquatorumrundung hinter sich hatte, und bei dem selbst mit Mutwillen nicht mehr viel zu ruinieren war. Aber immerhin: Schaltgetriebe. Das war ich gewohnt, auch wenn ich als Entenfahrerin mindestens zehnmal täglich aus Gewohnheit auf Höhe des Autoradios ins Leere griff. Links lenken, rechts schalten – das ging mir so in die Motorik über wie dem Musiker sein Instrument. Nach meinem ersten, kratzer- und dellenfreien Dienstjahr bekam ich zum ersten Mal den Schlüssel für die damals nagelneue Mercedes-E-Klasse in die Hand.
Es sollte eine Belobigung sein, bei der ich es jedoch an der angemessenen Euphorie mangeln ließ, weil: 1. Riesenschlitten und 2. Automatik. Trotz vorherigen fahrgastlosen Übens flog mir der erste Dialysepatient beim Bremsen an der Ampel fast durch die Scheibe. Kleiner Trost: Trinkgeld hätte ich sowieso keins bekommen. Der Zweite fragte mich amüsiert, ob ich überhaupt einen Führerschein besäße.
Meine bisherige Fahrsouveränität war mit dieser ungeübten Neumotorik tatsächlich dahin: Wohin mit dem überflüssig gewordenen, linken Fuß? Und der meist untätigen, rechten Hand? Die erste Delle beim versehentlich eingelegten Rückwärtsgang ließ nicht lange auf sich warten – und ich war beglückt, als mir die E-Klasse wieder entzogen wurde und ich endlich wieder mit meinem alten Äquatorveteranen nach Belieben schalten und walten konnte.
Tania Kibermanis
Beim Autofahren ist nichts intuitiv – außer das Schalten
Statt des Gefühls grenzenloser Freiheit, das mir vor meinem Führerschein versprochen wurde, bekam ich vor allem eins: den Wunsch, nie wieder ein Auto fahren zu müssen. Doch dann und wann geht dieser Wunsch selbst in einer Stadt wie Berlin nicht in Erfüllung. Dann und wann muss ich hinters Steuer – leider.
Beim Autofahren finde ich nichts intuitiv. Weder die anderen Verkehrsteilnehmerinnen noch das Einparken. Halt gibt mir lediglich: die Kupplung. Der Schaltknüppel gibt den Takt vor. Einkuppeln, Gang einlegen, anfahren, auskuppeln. Gas geben, einkuppeln, hochschalten. Er lässt die Fahrerinnen eine Einheit mit dem Fahrzeug werden. Er erlaubt es mir, auch in brenzligen Situationen ein gutes Gefühl für den Motor zu haben.
Einkuppeln, auskuppeln. Klar, wer Automatik fährt, kann durchdrücken und muss nicht hochschalten. Das erledigt dann das Fahrzeug. Doch genau das will ich nicht. Im unübersichtlichen Straßenverkehr will ich die Kontrolle behalten.
Sie werden sagen: Das klingt nicht intuitiv. Sie könnte sich doch viel besser auf den Verkehr konzentrieren, wenn sie nicht schalten müsste. Ich aber sage: Nein, denn das einzig rationale beim Autofahren ist für mich das Hoch- und Runterschalten. Diese Rationalität gibt mir Sicherheit. Wenn ich dann und wann nicht umhinkomme, hinterm Steuer zu sitzen.
Larena Klöckner
Schaltung nervt nur bei Stop & Go in der Großstadt
Im Fahrschulauto: 17 Jahre, ein klopfendes Herz und der linke Fuß auf der Kupplung. Langsam hebst du ihn an, lässt die Kupplung kommen, und bumms – schon bist du abgesoffen. Doch Mal für Mal grooved ihr euch ein, du und das Auto mit dem Schaltgetriebe, freundet euch vielleicht sogar an – na, verstehen wir uns? Oder blamierst du mich mitten auf der großen Kreuzung, weil ich dein Trio aus Kupplung, Gas und Schaltung nicht mit dem nötigen Feingefühl behandelt habe? Weil ich mit dem Kopf fahren wollte, statt mit dem Körper? Bei Stop & Go in der Großstadt mag es nerven, das Schalten, aber sonst?
Sonst macht Autofahren gerade deshalb so viel Spaß, weil du im ständigen Austausch bist mit diesem Gefährt, das dich befördert. Weil du beim Beschleunigen den dritten Gang einen Tick länger ausreizen kannst, als nötig, weil du dir das Tempo schrittweise verdienst.
Weil subtile Bein-, Fuß- und Handbewegungen fließend in die der Maschine übergehen. Eine Art Erweiterung des eigenen Körpers. Heute wird vielen Fahrschüler:innen Gangschaltung nicht mal mehr beigebracht. Jaja, Automatik ist leichter zu bewerkstelligen, smooth zu fahren und klimaeffizient sowieso. Ja, okay! Dagegen ist nichts einzuwenden. Aber langweilig ist es auch!
Clara Engelien
Zwei Pedale reichen vollkommen aus
Autos mit automatischem Getriebe seien unsportlich, behaupten Manta-Fahrer. Völliger Quatsch. Es gibt nichts Schöneres, als sich in einem Automatikwagen bei geöffnetem Fenster an einem lauen irischen Sommerabend den Wind über die Glatze streichen zu lassen – eine Hand am Lenkrad, in der anderen ein Glas Guinness.
Es war Liebe auf den ersten Blick, als ich vor zwölf Jahren zur Probefahrt in den Wagen stieg. Damals war er zehn Jahre alt, er hatte einem lesbischen Paar aus den USA gehört. Die beiden Frauen kamen einmal im Jahr für drei Wochen nach Irland, den Rest des Jahres stand das Auto in einer Garage. Dann starb eine der beiden, die andere wollte nicht mehr nach Irland reisen und verkaufte mir den Wagen.
Fortan war ich Automatikfan. Das Getriebe wählt das ideale Drehzahlniveau, sodass es keine dummen Sprüche mehr gibt. Früher hat mich mein Vater nämlich bisweilen angeschnauzt, weil er mich für schaltfaul hielt: „Gas und Bremse, mehr kennste nich.“ Inzwischen muss ich auch nicht mehr kennen.
Neulich wurde die Freude ein wenig getrübt, weil das Auto trotz seiner jugendlichen 22 Jahre zum ersten Mal durch den TÜV gefallen ist. Aber am Automatikgetriebe lag es nicht, das funktioniert nach wie vor tadellos. Der Atlantik war schuld: Die salzhaltige Luft an der irischen Westküste hatte eine Bremsleitung und die Beifahrertür zerfressen – nichts, was sich nicht reparieren ließe, sodass wir uns noch lange nicht scheiden lassen müssen.
Manchmal, wenn ich das Auto von Freunden oder einen Mietwagen fahre, würge ich die Kiste an jeder roten Ampel ab, weil ich das dritte Pedal, die Kupplung, vergessen habe. Zwei Pedale reichen völlig aus.
Das werden Menschen wie Bundesminister Christian Lindner von der FdP („Fahrt doch Porsche“) nie begreifen. Schaltknüppelfetischisten sollten dazu verdonnert werden, die Spermaflecken, die beim manuellen Schalten in den geilen fünften Gang – Automatikgetriebe haben bis zu neun Gänge – in die Unterhose geraten, in einem Waschzuber über offenem Feuer auszuwaschen. Waschmaschinen sind nämlich unsportlich.
Ralf Sotscheck
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit