Autobiografie von US-Sängerin Dane: Sozialismus der Herzen
Ein weitgehend unabhängiges Künstlerinnenleben: Barbara Dane, die große linke US-Folksängerin, hat ihre Autobiografie veröffentlicht.
Manche Welten passen einfach nicht zusammen. In einem Youtube-Clip kann man die Kluft zwischen der US-Sängerin und Gitarristin Barbara Dane und dem bewundern, was sie das Establishment nennen würde. 1987, kurz vor Ende des Kalten Krieges, führte David Letterman in seiner Late Night Show unter Publikumsgelächter Musik vor, die er für besonders abstrus hält.
Es trifft unter anderem Danes Album „I Hate the Capitalist System“. Ihr Titelsong erklärt die Häme: „Brought on by hard work and low wages / And never enough to eat / From going cold and hungry / With no shoes upon his feet“. Ein Bericht aus einer Welt, die der Talkshowmoderator und sein frohsinniges Publikum nicht mehr kennen und von der beide damals auch nichts wissen wollten.
Das Lied steht exemplarisch für die Musik der heute kaum noch bekannten Künstlerin: politisch dem working class movement verpflichtet, am Zeitgeist desinteressiert und zugleich puristisch wie frei im Zugang zur Musik. Die heute 95-Jährige machte aus dem ursprünglich von Sarah Ogan Cunning geschriebenen A-cappella-Stück einen Folksong, der klingt wie ein Traditional.
Barbara Danes kürzlich erschienene Autobiografie „This Bell Still Rings“ ist ein Dokument der Beharrlichkeit. Sie entfaltet das Bild eines weitgehend unabhängigen Künstlerinnenlebens. Als Dane mit ihrer Musik durch die Decke hätte gehen können, Ende der 1950er, entschied sie sich gegen einen Manager. Und organisierte sich ihre Gigs und Studioaufnahmen selbst, während sie quasi als Alleinverdienerin drei Kinder versorgen musste.
Dane stand unter FBI-Beobachtung
Barbara Dane: „This Bell Still Rings: My Life of Defiance and Song“. Heyday, Berkeley 2022, 488 Seiten. Ca 30 Euro
Ausdauerndes Touren war unmöglich. „Künstlerisch unabhängig“ heißt bei Dane über weite Strecken Armut, aber in routinierter Abwehr von allem, was die eigenen Ideale beschädigen würde. An musikalischen Kompromissen war sie nicht interessiert. An politischen ebenfalls nicht: Jahrelang stand Dane unter FBI-Beobachtung und war bis zu ihrem Ausschluss in den frühen 1950ern Mitglied der Kommunistischen Partei, was in den USA auch vor McCarthy noch einmal abwegiger erschien als in Europa und in Westdeutschland.
1966 tourte sie als erste US-Musikerin durch Kuba, vier Jahre nach der Kubakrise, auch um „Die Internationale“ zu singen: „Am Ende sangen wir gemeinsam, unsere Fäuste in der Luft, in der Verschmelzung beider Sprachen und mit vollem Herzen, meins voller Liebe und Hoffnung.“ Diese Feier der Unmittelbarkeit lässt allerdings wenig Platz für politische Zweifel.
An der Geschichte der UdSSR interessiert Dane vor allem das Versprechen auf eine bessere Welt: „den Aufbau einer Gesellschaft, die sich an den Bedürfnissen der Menschen orientiert und nicht an den Forderungen des Kapitals“. Die historische Wirklichkeit nimmt sie zur Kenntnis, aber eher abstrakt.
„Am Ende ist dieses erste Experiment angesichts unüberwindbarer innerer und äußerer Herausforderungen gescheitert.“ Wenn man etwas über die Repression in den sozialistischen Staaten, die Dane als Musikerin bereist hat, lesen will, sollte man zu einem anderen Buch greifen.
Auftritt bei Gewerkschaftsveranstaltungen
Musikalisch wie politisch schreibt Barbara Dane als eine durch und durch Unbeirrte. Ihre Art zu singen war mit Ende des Folk-Revivals in den 1970ern anachronistisch geworden, trotzdem machte sie weiter, um das Blues-, Jazz- und Folk-Erbe in den USA am Leben zu erhalten und für Gewerkschaftsveranstaltungen zu spielen.
„Well now what can we do about it / To these men of power and might / Well I’ll tell you mister capitalist / We are going to fight! fight! fight!“ So kann man auch in der Letterman-Show landen. Letterman allerdings, das sollte nicht vergessen werden, hatte in den letzten Jahren seiner Show die dezidiert linken The Roots als Hausband.
Man lernt in „The Bell Still Rings“ viel über die Jazz-, Blues- und Musikszene, speziell in Detroit und San Francisco, wo Dane 1961 ihren eigenen Club „Sugar Hill: Home of the Blues“ eröffnete. Das Namedropping liest sich in einigen Kapiteln dieser streng chronologisch verfahrenen Autobiografie manchmal etwas ermüdend. Neben üblichen Verdächtigen – Pete Seeger – sind das vor allem schwarze Musiker:innen: Louis Armstrong, Memphis Slim und Earl „Fatha“ Hines.
Barbara Dane zierte 1959 als erste Weiße das Cover der Illustrierten Ebony, des afroamerikanischen Pendants zum Time-Magazine. Die Schlagzeile „Blonde Keeps Blues Alive“ hätte sie kurz zusammenzucken lassen: „Schöne Formulierung, aber ich hatte das Gefühl, dass der Mangel an Kontext mich … schlimmstenfalls wie einen Vampir aussehen ließ.“ Diese Vermischungen machen „This Bell Still Rings“ auch jenseits der musikhistorischen Perspektive interessant. Sie lässt sich beziehen auf aktuelle identitätspolitische Debatten. Die Sensibilität war bereits in den 1960ern da, auch ohne Diskursaufheizung.
Kulturelle Aneignung war kein Thema
Man liest in Danes Lebenserzählung von einem selbstverständlichen Mix aus Folk-Musik und schwarzen Musiktraditionen, die vom Rassismus erschwert wird, aber nicht von Diskursen um kulturelle Aneignung begleitet ist. Was zum einen daran gelegen haben wird, dass der Antirassismus der US-KP wie auch später die Bürgerrechtsbewegung einen universellen Ansatz hatte, in dem Vermischung als progressiv codiert war.
Und zum anderen, dass Dane nie großen kommerziellen Erfolg hatte. Oder: Wann immer Erfolg drohte, vollführte die Künstlerin routinierte Ausweichbewegungen. Um dann beim nächsten Streik der Minenarbeiter aufzutreten. Und so also auch gar nicht in Position kam, exploitativ zu agieren.
Danes heartfelt socialism ist eng verbunden mit Techniken zur Herstellung von Gefühlen der Solidarität und Kollektivität. Der musikpolitische Universalismus, den sie propagiert, will die historisch eingefleischten Hierarchien zwischen verschiedenen Gruppen oder, wie man heute sagen würde, Identitäten im gemeinsamen Gesang auflösen.
In Protestsongs, die nicht über den Text, sondern vor allem über die Tonalität des Gesangs und vor allem des gemeinsamen Gesangs wirken. Realisiert von einer Stimme, die der Idee gerecht wird: Dane singt äußerst variantenreich, kämpferisch und treibend; immer ausgehend von dem, was der Song und ihrem Verständnis nach die Menschen vor der Bühne in diesem Moment brauchen.
Auch nach Ende der Sowjetunion 1991 sei der Traum eines echten Sozialismus nicht vorbei: „Nennt mich verrückt, aber das ist die Quelle, aus der ich immer noch Hoffnung schöpfe.“ Um dann einen Song von B. B. King zu zitieren: „I may win some battles / But I always lose the war.“
Bleibt zu hoffen, dass „The Bell Still Rings“ zur späten Würdigung dieser großen unbesungenen US-Sängerin beiträgt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg