Auswirkungen des Ukraine-Kriegs hier: Rau gegen Russlanddeutsche
Die Hilfsbereitschaft gegenüber Ukrainer_innen geht hier mit Ignoranz und Gewalt gegen andere Minderheiten einher. Das sagt viel über Deutschland aus.
G egen Ende der 90er-Jahre bin ich immer die einzige Ausländerin in meiner Schulklasse gewesen. Bis plötzlich „die Russen“ kamen. Sie waren natürlich nicht alle „Russen“, sondern vor allem Russlanddeutsche. Viele waren erst kürzlich mit ihren Familien aus verschiedenen Nachfolgestaaten der Sowjetunion eingewandert, hatten in Nullkommanichts Deutsch gelernt, wurden aufs Gymnasium hochgestuft und erhöhten den Migrant_innenanteil der Schülerschaft gefühlt um ein Vierfaches.
In meinen Augen waren sie die besseren Ausländer: Sie waren klug, ehrgeizig, sie hatten einen deutschen Pass und immer einen coolen Spruch parat. In den Augen unserer Lehrer_innen dagegen waren sie vor allem Ballast. Ihre Schrift war zu schnörkelig, ihr Akzent zu unverständlich, die Jungs schwer zu bändigen und die Mädchen zu selbstbewusst in ihren Körpern. „Wir sind hier nicht im Bordell,“ kommentierte unsere Französischlehrerin etwa rücken- und bauchfreie Tops an Mitschülerinnen. Russisch sprechen wurde im Klassenzimmer verboten, selbst während der Pausen.
Gerade fühlt es sich ein bisschen an wie ein Flashback, wenn ich mitbekomme, wie sich die Berichterstattung über Putins Angriffskrieg auf die Ukraine in antirussische Hetze innerhalb der hiesigen Bevölkerung niederschlägt. Restaurants wollen keine russischen Gäste mehr bedienen, eine Direktorin wollte keine russischen Patient_innen mehr im Krankenhaus behandeln, Scheiben von russischen Läden werden eingeschlagen. 2,5 Millionen Bürger_innen werden hierzulande quasi mitverantwortlich gemacht für den Krieg eines Autokraten, der seine Kritiker_innen systematisch verschwinden lässt. Natürlich gibt es Putin-nahe Russlanddeutsche, genauso wie es Erdoğan-Anhänger in der deutschtürkischen Community gibt. Es gibt aber auch genügend Herkunftsdeutsche, manche von ihnen hochrangige Politiker, die mit Autokraten Geschäfte machen. Warum bekommen die eigentlich noch ihr Schnitzel serviert?
Antislawische Ressentiments
Die raue Stimmung gegen Russ_innen und Russlanddeutsche ist nicht allein Folge des aktuellen Kriegs. Sie basiert auf antislawischen Ressentiments, die älter sind als meine Erinnerungen aus der Schulzeit, älter als Putin und definitiv älter als die Vorstellung von der Ukraine als Teil Europas. Insofern ist es ein großer Segen, dass die ukrainischen Geflüchteten gerade mit offenen Armen empfangen werden und ohne Zögern den Schutz bekommen, der ihnen zusteht – keine Selbstverständlichkeit, wie wir aus anderen Fällen wissen. Aber dass mit dieser Hilfsbereitschaft gegenüber Ukrainer_innen Ignoranz und Gewalt gegen andere Minderheiten einhergehen muss, sagt viel über dieses Land aus.
In Berlin-Reinickendorf sowie im bayrischen Fürstenfeldbruck mussten Asylsuchende aus anderen Ländern ihre Unterkünfte teilweise binnen Stunden räumen, um den Neuankommenden aus der Ukraine Platz zu machen. In Frankfurt an der Oder wurden gezielt afrikanische Studierende auf der Flucht aus ihren ukrainischen Studienorten von der Bundespolizei aus vollen Zügen gezogen und auf Wachen geschleppt, während alle anderen weiterfahren durften. Man habe „Trittbrettfahrer“ ausfindig machen wollen, hieß es zur Begründung. Ich las fast ein Schulterzucken mit.
Die Stimmung zwischen den verschiedenen Communities habe ich selten so angespannt erlebt, wie in diesen Tagen. Doch wie bei jedem Krieg sollten wir uns auch in diesem bewusst sein: Je länger er dauert, desto gleichgültiger wird auf die Leidtragenden geblickt werden. Die Willkommenskultur von 2015 etwa hielt kein halbes Jahr. Wir sollten die Ungleichbehandlung verschiedener schutzbedürftiger Gruppen kritisieren können, ohne sie gegeneinander auszuspielen.
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