Auswirkungen auf Wälder: Stickstoffproblem wird verstärkt
Massive Stickstoffeinträge gefährden die Wälder. Trockenzeiten und Dürreperioden vergrößern die schädliche Wirkung des Stickstoffs.
Ungesehen rieselt der Stickstoff in den Wald, düngt Bäume, Sträucher, Kräuter und verändert die Artenvielfalt im Wald. Flechten und Moose leiden besonders, da sie Wasser und den im Regen gebundenen Stickstoff über die Blätter aufnehmen. Wo Moose absterben, machen sich stickstoffliebende Brombeeren und Brennnesseln breit. Haben die beiden Pflanzenarten den Waldboden erst einmal durchdrungen, haben andere krautige Arten keine Chance.
Moose sind jedoch für das Waldinnenklima entscheidend. Sie speichern wie ein Schwamm große Mengen Wasser, das sie nach und nach in das Ökosystem abgeben. Ohne Moos ist also im Wald nicht viel los in trockenen Zeiten.
Zuviel Stickstoff schädigt auch die Bäume und damit den wirtschaftlich genutzten Forst. Bäume wachsen schnell, wenn die Wurzeln an viel Stickstoff im Boden gelangen. Sie schießen in die Höhe, was sich forstwirtschaftlich zunächst gut anhört.
Zum Verständnis: Stickstoff ist einer der entscheidenden Nährstoffe, mit dem Pflanzen und Tiere Zellen aufbauen. Bäume, Gräser, Sträucher ziehen den Stickstoff mit den Wurzeln aus dem Boden, in den Regenwürmer, Asseln und andere wirbellose Tierchen und Mikroben den Stickstoff eingearbeitet haben. Da Bäume den lebensnotwendigen Stickstoff nicht selbst aus dem Boden lösen können, helfen ihnen Mykorrhizapilze und Bakterien. Die Mykorrhiza leiten durch haarfeine Fäden den Stickstoff zu den Wurzelfäden und erhalten dafür Zucker von den Bäumen.
Doch entwickeln insbesondere Fichten starke Kronen und wenige Wurzeln, wenn sie viel Stickstoff im Boden finden. Mit starken Kronen und schwachen Wurzeln knicken sie schneller ein. Auch verholzen die Bäume mit schnell verfügbarem Stickstoff im Boden nicht. Sie wachsen eher fluffig – und brechen dann schnell, wenn der Wind rüttelt oder Schnee auf ihnen lastet. Und die Bäume ziehen durch ihr schnelles Wachstum viele andere Nährstoffe wie Phosphor oder Calcium mit aus dem Boden, wenn sie dank Stickstoff wuchern. Stickstoffhaltige Böden laugen aus und versauern, was ebenfalls viele Pflanzen und Bodenlebewesen nicht vertragen.
Wurzelwerk nicht voll ausgebildet
In trockenen Zeiten stehen die hochgewachsenen Bäume dann ohne weitverzweigte und tiefreichende Wurzeln, die noch in unteren Bodenschichten Wasser aufspüren könnten.
Die trockenen Zeiten verstärken das Stickstoffproblem in Deutschland, das landestypische Nichtstun im Klimawandel verschärft die Krise. Das betrifft alle Ökosysteme, doch bleiben wir im Wald. In der Trockenheit werfen Laubbäume die Blätter frühzeitig schon im Juli oder August ab, um sich vor dem Austrocknen zu schützen. Die Bäume haben keine Zeit, Nährstoffe wie Stickstoff und das Chlorophyll zurückzuziehen, also fallen die Blätter grün. Ebenso wie Halme und Äste bleiben die Blätter auf dem Boden liegen, da Regenwürmer und andere wirbellose Zersetzer in Trockenstarre auf den Regen warten.
„Bei einer Wiederbefeuchtung fangen die Mikroorganismen wieder an aktiv zu werden, setzen schnell Stickstoff frei, den die Bäume im späten Herbst und Winter nicht aufnehmen können“, sagt Alexander Tischer, Forstwissenschaftler und Bodenkundler an der Universität Jena. In Buchenmischwäldern und einem Fichtenbestand des Hainich (Thüringen) untersuchen er und das Bodenkundeteam der Uni Jena seit 2014 den Waldboden. Die Geräte der Bodenkundler:innen messen Feuchtigkeit, Stoffflüsse, Nährstoffeinträge unter Buchen, Ahorn und Fichten. In der extremen Dürre 2018 las Alexander Tischer von den Messstellen im August 14 Prozent Feuchtigkeit im Boden. Wüste, in der das Bodenpersonal unter den Regenwürmern und Springschwänzen erstarrt.
Im Winter 2018, als alles wieder nass war, maß Tischer 140 Kilogramm Stickstoffaustrag pro Hektar im Buchenwald. Das ist fünf Mal mehr als üblich. Auch unter Fichten und Ahorn waren die Stickstoffmengen im Bodenwasser mehrfach höher als in gemäßigten Jahren und lagen bei 125 Kilogramm Stickstoff pro Hektar unter Ahornen und 119 kg/ha unter Fichten. „Solche Stickstoffmengen pro Hektar sind eher in landwirtschaftlichen Systemen typisch“, sagt Tischer. „Für Wälder ist das sehr viel.“
Im trockenen Sommer stehen die Nährstoffe den Bäumen also nicht zur Verfügung. Und im Herbst und Winter können die Bäume den Stickstoff nicht aufnehmen, da sie in der Zeit nicht wachsen. Und wie in den landwirtschaftlichen Böden schädigen die enormen Stickstoffmengen den Boden, versauern die Erde oder rauschen mit dem Regen davon. Der Stickstoff gelangt mit dem Wasser in tiefere Schichten, im schlimmsten Fall ins Grundwasser und über Bäche und Gräben in die Flüsse und Seen. Und beschleunigt dort das Wachstum von Algen und stickstoffliebenden Wasserpflanzen.
Stickstoff ist für das Wachstum der Bäume und Wälder ebenso entscheidend wie das Klima, hat Waldökosystemforscherin Sophia Etzold von der Eidgenössischen Forschungsanstalt Wald, Schnee und Landschaft der Schweiz herausgefunden. Etzold nennt 30 Kilogramm Stickstoff pro Hektar jedoch einen „tipping point“. Ab dann werden die Auswirkungen auf das Baumwachstum und den Wald negativ, schreiben Etzold und ihre Kolleg:innen. Die deutsche Bundesregierung hat sich schon vor Jahren vorgenommen, den Stickstoffgehalt im Boden auf 70 Kilogramm pro Hektar zu begrenzen. Und schafft es nicht. Im Mittel liegen 90 Kilogramm Stickstoff im Hektar.
Die schlafenden Regenwürmer und erstarrten Springschwänze im Waldboden sind jedoch nicht daran schuld, dass Stickstoff in verschiedenen chemischen Verbindungen eine Bedrohung für das Leben geworden ist. 90 Prozent des Stickstoffs weht aus den Ställen der Massentierhaltung in Wälder, Seen und andere Ökosysteme, der Rest stammt aus den Schloten von Kohlekraftwerken, Industrieanlagen und aus dem Straßenverkehr. Schon in regnerischen Zeiten, also vor den vermehrten Dürren der Klimakrise, hatte Deutschland ein Stickstoffproblem im Wasser, an Land und in der Luft.
Der Europäische Gerichtshof verurteilte Deutschland im Juni 2021 wegen jahrelanger Überschreitung der Stickoxid-Grenzwerte in mehreren Städten und Ballungsgebieten. Verantwortlich dafür waren Dieselmotoren. Das Element Stickstoff geht mit Sauerstoff, Wasserstoff und anderen viele Verbindungen ein. Als Nitrat, Feinstaub, Lachgas, Ammoniak und in anderen Erscheinungsformen tritt Stickstoff als Gas, Säure und in fester Form auf. Stickstoffverbindungen schädigen das Herz-Kreislaufsystem, versauern Böden und Seen, töten Fische und Moose und heizen den Klimawandel an.
Laut Europäischer Umweltagentur sterben jedes Jahr hunderttausende Menschen vorzeitig in der EU an den Folgen von Feinstaub. In Deutschland starben demnach 53.800 Menschen im Jahr 2019 an den Auswirkungen von Feinstaub auf das Herz-Kreislauf-System und die Atemwegsorgane.
In Euro ausgedrückt kostet das Stickstoffproblem Deutschland 30 Euro pro Kilogramm Ammoniak, eine der häufigsten Stickstoffverbindungen. Ammoniak stammt zu 94 Prozent aus den Tierställen der deutschen Landwirtschaft, die insgesamt für 90 Prozent des Stickstoffs hierzulande verantwortlich ist. Zum Megatonnenüberschuss Stickstoff tragen auch Düngung mit Mineraldünger und Gülle bei, Grünlandumbruch und der Ausbau der Biogasanlagen als erneuerbare Energien.
Die externen Kosten der landwirtschaftlichen Stickstoffüberproduktion tragen zum Beispiel die Trinkwasserbrunnen. Knapp ein Drittel der Grundwasserkörper in Deutschland sind laut Umweltbundesamt wegen Nitrat aus der Landwirtschaft in einem „schlechten chemischen Zustand“.
Die drei Ampel-Parteien haben sich im Koalitionsvertrag 2021 vorgenommen, das Stickstoffproblem aus der Landwirtschaft anzugehen. Doch die FDP blockiert die Arbeit im „Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung“, der sogenannten Borchert-Kommission, und verschleppt eine Lösung des Stickstoffproblems. Vorrangig geht es um Abgaben auf Fleisch und eine Verringerung der Tierbestände. Mit dem Geld will Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) den Umbau von Ställen finanzieren und die Stickstoffemissionen der Zucht- und Mastbetriebe verringern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
Künstler Mike Spike Froidl über Punk
„Das Ziellose, das ist doch Punk“
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Negativity Bias im Journalismus
Ist es wirklich so schlimm?