Auswärtiges Amt zum Frauen*kampftag: Mit Größenwahn nach oben
Das Auswärtige Amt ließ zum Frauentag Expertinnen über Gleichstellung diskutieren. Um sexuelle Gewalt oder Altersarmut bei Frauen ging es nicht.
Frauen sollten sich mehr zutrauen, auch mal vordrängeln und sich gegenseitig helfen, um ihre Gleichstellung voranzutreiben. „Sie brauchen mehr Größenwahn“, brachte es Claudia Böhm, Gleichstellungsbeauftragte des Auswärtigen Amts (AA), am Donnerstag im Verlauf einer Podiumsdiskussion auf den Punkt. Das AA hatte Expertinnen geladen, um darüber zu sprechen, ob der Weltfrauentag ein Grund zum Feiern sei. Einer der zentralen Schlüsse: Der unconscious bias, die „unbewusste Neigung“ von Männern wie Frauen, stehe der Gleichstellung zentral im Wege.
„Wenn eine Frau einen Posten angeboten bekommt, fragt sie immer erst, ob sie das auch wirklich kann, während der Mann sich freut, dass man endlich sein Potenzial erkannt hat“, resümierte Maria Gosse, Leiterin der Zentralabteilung des AA. Der Weltfrauentag, so sagten Diskussionsteilnehmerinnen, sei ein Feiertag – aber auch ein Kampftag. „Wir müssen am Ball bleiben“, mahnte Böhm. „Das Problem löst sich nicht von allein.“
Immerhin stellenweise geht es voran. So notiert das Auswärtige Amt die stolze Zahl von 54 Prozent Frauen auf Attaché-Ebene. Außerdem soll in Kürze die zweite Staatssekretärin ihre Arbeit aufnehmen. Ein Selbstläufer ist das nicht. „Wir Frauen sind in der Fraktion weniger geworden, nicht mehr“, berichtete etwa die CDU-Bundestagsabgeordnete Elisabeth Motschmann. Seit 30 Jahren beschäftige sich die Frauenbewegung mit immer denselben Themen, wie der Unvereinbarkeit von Familie und Beruf und der ungleichen Bezahlung. Motschmann ärgert sich über den häufigen Hinweis ihrer Kollegen: „Aber ihr habt doch die Merkel.“
Am 8. März veröffentlichen wir auf taz.de nur Beiträge von Frauen* und nicht-binären Menschen, und auch nur diese kommen darin vor: als Expert*innen, als Protagonist*innen, auf den Fotos. Trotzdem beschäftigen wir uns nicht primär mit dem, was im allgemeinen Sprachgebrauch gern als „Frauenthemen“ bezeichnet wird – sondern mit dem Tagesgeschehen.
Die Debatte der Benachteiligten am Donnerstag blieb dennoch eine von Privilegierten: Hier diskutierten Frauen in mittleren und gehobenen Laufbahnen über Frauen, die Karriere machen. Um sexuelle Gewalt oder Altersarmut bei Frauen ging es nicht.
Maria Wersig, Präsidentin des Deutschen Juristinnenbundes, warnte vor einer Illusion der Gleichberechtigung. „Wer denkt, sie sei gleichberechtigt, sollte durch eine Fußgängerzone gehen, ohne den Männern auszuweichen“, sagte sie. Wersig setzt auf Gesetze und lobte das neue Brandenburger Parité-Gesetz: Ab 2020 soll es paritätische Landeslisten geben. Nach Meinung der Juristin dürfe man dem Argument der Verfassungswidrigkeit „auf keinen Fall“ nachgeben.
Leser*innenkommentare
93649 (Profil gelöscht)
Gast
"Wer denkt, sie sei gleichberechtigt, sollte durch eine Fußgängerzone gehen, ohne den Männern auszuweichen"
Immer und immer wieder... so sind Männer! Nicht nur zu Frauen, sondern zu Menschen. Der Mann wird darauf getrimmt, sich gegenüber Schwächeren durchzusetzen und sich gegenüber Stärkeren zu unterwerfen. Also Frauen seid stark und erwartet keine Rücksichtnahme.
sart
Naja, es handelt sich um eine Veranstaltung des AA. Sexuelle Gewalt und Altersarmut bei Frauen ist definitiv anzusprechen, aber die Frage ist, ob es von jedem im gleichen Maße angesprochen werden muss.
Vom AA aus kann kann da halt aber dazu wenig kommen. Man geht ja auch nicht zu Sea Shepards und bemängelt, dass sich dort nicht um Orangutans gekümmert wird.
Thomas Friedrich
"Wer denkt, sie sei gleichberechtigt, sollte durch eine Fußgängerzone gehen, ohne den Männern auszuweichen"
Also "Gleichberechtigung" ist erreicht , wenn Männer den Frauen ausweichen, sodass diese sich ohne Rücksicht bewegen können?
Lydia Stanke
Kann mich mal bitte jemand aufklären, was der Genderstern in "Frauen*kampftag" zu bedeuten hat?
Denke, ich stehe da nicht allein ratlos da.
pitpit pat
@Lydia Stanke Ich glaube, dass soll auch die Frauen meinen, "die nicht in das klassische gesellschaftliche Rollenbild passen (wollen)." (www.taz.de/Archiv-Suche/!5505179/ erster Absatz, letzter Satz)
Der Stern zeigt an, dass es Menschen gibt, die einem Gattungsbegriff zugeordnet weden, obwohl sie nicht in das Klischee des Bezeichneten passen (wollen).
Man könnte sagen, dass der Stern die Bandbreite der Bezeichneten abbilden soll - und zwar gerade die, die einem nicht als erstes zum Begriff einfallen.
Ist so ein bisschen betreutes Verstehen. Quasi Semantik mit special effects ;)
Anna Blume
@Lydia Stanke Er weist darauf hin, dass "Frau" keine homogene Kategorie ist, sondern dass sich in ihr eine Vielheit von Positionierungen befinden können, die damit einen Platz bekommen können. Z.B. lesbisch, trans* (Mann* zu Frau*), körperlich beeinträchtigt, von Rassismus betroffen, arm, reich, weiß* jüdisch etc.etc.
Damit wird Idee Ausdruck verliehen, dass es nicht möglich ist, über Frauen* zu sprechen, ohne auch andere Ungleichheitsverhältnisse (neben Gender) zu berücksichtigen!
Lydia Stanke
@Anna Blume "Er weist darauf hin, dass "Frau" keine homogene Kategorie ist..."
Ich hatte naiv angenommen, dass das allgemein bekannt ist.
:-/
pitpit pat
@Lydia Stanke Ich auch ;)
mowgli
Welches Problem der Weltgeschichte war das gleich noch mal, das mit (noch mehr) Größenwahn gelöstwurde? Ich komm‘ grade nicht drauf.
pitpit pat
@mowgli Das Problem der Überbevölkerung