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Ausstellung in OsnabrückBesser vorsichtig bewegen

Mit der Installation „Inmitten imperialer Gitter“ hält der israelische Künstler Dor Guez im Felix-Nussbaum-Haus ein tolles Plädoyer für die Offenheit.

Auf dem Boden gleißen kupfergoldene Verfrem­dungen topografischer Karten Foto: Kerstin Hehmann / MQ4

Osnabrück taz | Es gibt Räume, die verursachen Schmerzen. Der „Raum der Gegenwart“ des Museumsquartiers Osnabrück (MQ4) ist einer dieser Räume. Wer ihn betritt, fühlt sich gefangen, orientierungslos, beklommen. Ein gewaltiger Wandkeil bohrt sich in ihn hinein. Ein schlitzhaft enges Fensterband wehrt das Licht ab. Der Fußboden scheint zu kippen. Düsternis herrscht, der Beton atmet Kälte.

Der „Raum der Gegenwart“ ist Teil des Felix-Nussbaum-Hauses des MQ4, eines gedenk­stättenhaften Skulpturalbaus, geschaffen Ende der 1990er vom damals noch weitgehend unbekannten Architekten Daniel Libeskind. Das Museum erinnert an seinen Namensgeber, einen jüdischen Maler der Neuen Sachlichkeit, 1944 im KZ Auschwitz ermordet.

Wie zerfetzt wirkt der Raum, wie zerquetscht. Ihn künstlerisch zu füllen, auf ihn zu reagieren, bedarf außergewöhnlicher konzeptioneller Kraft. Das macht die Ausstellungsreihe „Gegenwärtig – Zeitgenössische Künst­le­r:in­nen begegnen Felix Nussbaum“, deren Schauplatz er ist, zu einer Herausforderung.

Dor Guez hat sich dieser Herausforderung gestellt. Mit seiner begehbaren Installation „Inmitten imperialer Gitter“, eigens entworfen für diesen Raum des Besonderen, bestreitet der israelische Künstler die fünfte Ausgabe von „Gegenwärtig“. Es war, betont Museumsdirektor Nils Arne Kässens, eine „Carte blanche“.

Diese Handlungsfreiheit nutzt Guez für ein symbolhaftes Ensemble, das, einer Versuchsanordnung gleich, Grenzziehungen hinterfragt, Grenzüberschreitungen fordert. Seine Formensprache und Werkstoffwahl wirkt sehr abstrakt, sehr kodiert, sehr distanziert. Aber das Enträtseln reizt, gelingt, lohnt und offenbart große Lebensnähe.

Guez geht ein immenses Wagnis ein, denn nicht nur der erste Blick suggeriert: Hier werden physische Räume verhandelt. Senklote, klassische Messinstrumente, hängen an hauchdünnen Schnüren von der Decke. In schwarzen Vinylstreifen zieht sich der Grundriss eines Gebäudes über Boden, Wände und Fenster, das Kirche und zugleich Moschee ist – es steht in Lod, südöstlich von Tel Aviv.

Die Ausstellung

Dor Guez: „Inmitten imperialer Gitter“, Ausstellung im Felix- Nussbaum-Haus, Museumsquartier Osnabrück, Mo bis Fr, 11 bis 18 Uhr, Sa und So, 10 bis 18 Uhr. Bis 6. 8.; museumsquartier-osnabrueck.de

Auf dem Boden, rund wie Weltkugeln, gleißen kupfergoldene Verfrem­dungen topografischer Karten. Sie spiegeln Nussbaums Flucht- und Exilgeschichte. Jede menschliche Spur aber ist aus ihnen getilgt, Namen, Städte und Grenzen. Dazu, gleich am Eingang, Nussbaums Gemälde „Der Flüchtling“ von 1939:Es zeigt, auf einem Globus, Europa, und dazu einen Hoffnungslosen, einen ausweglos Vertriebenen, dem jede Freiheit verwehrt ist.

Aber wer tiefer gräbt, spürt schnell: Es geht Guez nicht allein um Territoriales, um Geografisches und Geometrisches, um die Willkür staatlicher Grenzen, militärisch gezogen, ideologisch. Guez geht es zugleich um seelische Grenzen, ethische. Es geht ihm um soziale, um kulturelle Pluralität, die sich nicht einengen lässt. Es geht ihm um die Identität des Einzelmenschen wie der Weltgemein­schaft. Sensibel verwebt er dabei die Biografie Nussbaums mit seiner eigenen: Vorfahren von ihm haben das multireligiöse Gebäude in Lod mit erbaut.

Wer sich der Ausstellungs-Installation „Inmitten imperialer Gitter“ aussetzt, kann, sehr konkret, selbst Grenzen durchbrechen – ein Schritt übers schwarze Vinyl hinüber, oder mitten auf es, und die Freiheit beginnt. Guez, der einer multinationalen Familie entstammt, mit tunesisch-palästinensischen und jüdisch-christlichen Wurzeln, zeigt dadurch: Das Wichtigste ist Offenheit. Ein sehr philosophischer Blick.

Guez hätte politische Statements setzen können – gegen die Grenzverschiebungen Russlands, oder gegen die Abschottung Europas. Aber er zielt nicht aufs Plakative

Guez hätte politische Statements setzen können. Gegen die Grenzverschiebungen, die Russland derzeit in der Ukraine versucht. Gegen die Grenzsperren der spanischen Exklaven an der Küste Nordafrikas, zwischen Mexiko und den USA, zwischen Israel und dem Westjordanland. Gegen die Abschottung Europas gegen die Flüchtlinge auf der Balkanroute, im Mittelmeer. Das hätte nahe gelegen. Aber Guez zielt nicht auf Plakativität.

Was seine schwarzen Vinylstreifen genau umreißen, bleibt ungewiss. Sind es Säulen, Tore, Zwischenwände? Wir wissen auch nicht, warum seine Lote so im Raum verteilt sind, mitten im Weg, dass wir uns im „Raum der Gegenwart“ besser mit großer Vorsicht bewegen. Wir wissen nicht, warum die topografischen Verfremdungen Landschaften zeigen, die, wären sie real, jede Durchquerung zur Qual machen würden. Aber indem wir uns das fragen, wird die Verrätselung produktiv.

„Inmitten imperialer Gitter“ wirkt wie ein Sakralraum. Diese Wirkung verstärkt sich, wenn es draußen dunkel ist. Dann intensiviert sich das Schattenspiel der Lote. Dann schimmert das Kupfergold der schwer zugänglichen, von uns Menschen befreiten Landschaften umso magischer.

Eine Schau, wie sie passgenauer, notwendiger kaum sein könnte in unseren Tagen gegenseitigen Argwohns, allseitiger Abschottung. Aber Vorsicht: Der Text des Begleit-Flyers ist harte Kost. Da erfahren wir, dass die Vinylstreifen eine „komplexe semiotische Situation“ erzeugen. Zur NS-Zeit sei Europa, lesen wir, „zur singulären Negation des universalistischen Zivilisationsgedankens“ geworden, „den seine Kultur einst propagierte“. Und die Lote sagen uns angeblich was über das Gesetz der Schwerkraft, das „jede historische, kulturelle und geopolitische Determinierung transzendiert“. Aha. Dass Guez in seiner Kunst einen „forschenden Ansatz“ verfolgt, lesen wir da auch, was immer das heißt.

Und dann folgen seine Ausstellungen, von Bogota bis Prag, von Dublin bis Paris, von Buenos Aires bis Mailand. Merken wir uns einfach: Osnabrück ist jetzt auch dabei.

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