Ausstellung in Hannover über rechte Gewalt: Anerkennung für die Todesopfer
„Erinnern heißt Kämpfen!“ erinnert an die Opfer rechter Gewalt in Niedersachsen. Zwei von ihnen sind Arkan Hussein Khalaf und Alexander Selchow.
„Schreiben Sie endlich, dass das ein Nazi war!“, fordert Kochar Khidir die Pressevertreter auf. Gemeint ist der Mann, der vor drei Jahren ihren 15-jährigen Sohn Arkan Hussein Khalaf in der Celler Innenstadt erstochen hat. „Wenn mein Sohn blonde Haare gehabt hätte, würde er noch leben. Da waren 15 andere Leute an dieser Fußgängerampel, die er nicht angerührt hat. Da war der Taxifahrer, mit dem er vor der Tat in der Gegend herum gefahren ist. Bei keinem von denen hat er das Messer aus der Tasche gezogen. Nur bei meinem Sohn. Obwohl die sich gar nicht kannten.“
Der Täter ist längst verurteilt und auf unbestimmte Zeit in die Psychiatrie eingewiesen, doch für die Familie ist es damit nicht getan. Von Anfang an hatten sie das Gefühl, dass die Frage nach der Gesinnung des Täters keine Rolle spielen sollte – als die Polizei schon kurz nach der Tat verlauten ließ, es gäbe keine Hinweise auf ein politisches Motiv, als vor Gericht der Drogenkonsum und die psychische Erkrankung des Täters im Zentrum der Verhandlung stand.
Stets waren es zivilgesellschaftliche und journalistische Recherchen, die zu Tage förderten, dass der Täter gern von „Kanaken“ sprach, Beiträge zum Attentat von Halle likete, sich auf rechtsextremistischen und verschwörungstheoretischen Seiten tummelte. Bis heute kämpft die Familie darum, dass die Tat als rassistisch und rechtsextrem anerkannt und eingestuft wird – deshalb sitzt Kochar Khidir nun wieder auf einem Podium und spricht in Mikrofone.
Eingeladen hat sie die Mobile Beratungsstelle gegen Rechtsextremismus, die eine Wanderausstellung zum Thema „Erinnern heißt Kämpfen! Zwischen Anerkennung und Vergessen. Todesopfer rechter Gewalt in Niedersachsen seit 1990“ kuratiert hat und nun in Hannover vorstellen möchte. Es ist nicht so, dass sich durch die Anerkennung für die Familie materiell irgendetwas ändert. Der Schmerz wird nicht kleiner, das Kind nicht wieder lebendig. Und doch: „Es ist die Wahrheit. Man muss doch die Wahrheit sagen. Sonst passiert es wieder“, sagt Kochar Khidir mit der Hilfe von Behiye Uca, die für sie übersetzt. Die Kommunalpolitikerin von der Linken hat die Familie schon 2016 unterstützt, als sie in Deutschland ankam.
Die Ausstellung ist noch bis zum 10. 3. im Foyer des Kulturzentrums Pavillon zu sehen, danach geht sie auf Wanderschaft und kann auch ausgeliehen werden. Näheres auf erinnern-heisst-kaempfen-nds.de
Auch das gehört zu den Dingen, die den Fall so bitter machen: Für diese jesidische Familie reiht sich der Tod des jüngsten Kindes ein in eine lange, traumatische Geschichte aus Folter, Flucht und Vertreibung. Nur dass sie für einen Moment geglaubt hatten, in Deutschland sicher zu sein.
Dass das Beschweigen einer solchen Tat niemandem gut tut, davon ist auch Karsten Knigge überzeugt. Er gehört zu einer Initiative, die sich in Rosdorf bei Göttingen aufgemacht hat, um an einen sehr viel älteren Fall zu erinnern. Alexander Selchow wurde in der Silvesternacht 1990/91 von zwei Neonazis erstochen. Die Verurteilung der Täter nach Jugendstrafrecht fiel milde aus – auch weil das Gericht von gefährlicher Körperverletzung und nicht von Mord ausging.
Die politische Motivlage spielte im Prozess keine Rolle – obwohl die beiden Skinheads erklärtermaßen unterwegs waren, um „herumschwirrende Linke durchzuklopfen“ und Selchow als solcher bekannt und durch sein Gruftie-Outfit auch leicht zu identifizieren war. Trotzdem wurde das Ganze eher wie eine eskalierte Auseinandersetzung unter Jugendlichen behandelt.
Die Bürgerinitiative hat nun einen Erinnerungsweg angelegt. Dazu haben Abiturienten, die erst nach diesen „Baseballschläger-Jahren“ geboren wurden, Zeitzeugen-Interviews geführt, die an den Stationen des Rundganges durch den Ort abrufbar sind.
Bis heute ist der Mord an Selchow nicht als politische Tat anerkannt und das ist nicht der einzige. Zehn Fälle zeichnet die Ausstellung nach. Zehn Fälle, bei denen – nicht zuletzt aufgrund der Aufarbeitung in einer Langzeitrecherche von „Zeit online“ und des Tagesspiegels – davon ausgegangen werden kann, dass rechte Motive eine entscheidende Rolle spielten. Nur zwei von ihnen werden offiziell rechter Gewalt zugeschrieben.
Eine wissenschaftliche Neubewertung alter Fälle, wie sie in Brandenburg und Thüringen auf den Weg gebracht wurde, steht in Niedersachsen aus, obwohl die Grünen dies lange forderten. Im neuen rot-grünen Koalitionsvertrag ist nur die Rede davon, neun strittige Altfälle überprüfen zu lassen, sofern Angehörige dies wünschen.
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