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Ausstellung im HKW BerlinVulven in Großaufnahme

Antineoliberal, intersektional und feministisch ist die Ausstellung „No Master Territories“ im HKW in Berlin. Mit Filmen von und über Frauen.

Filmstill aus „We Aim to Please“ von Robin Laurie & Margot Nash (1976), Copyright R. Laurie&M. Nash Foto: Haus der Kulturen der Welt

Betritt man den Ausstellungsraum im Haus der Kulturen der Welt, ist man für ein paar Sekunden etwas verloren. Der Blick fällt auf einen Bildschirm, der in Dauerschleife Vulven in Großaufnahme zeigt. Kein Ton. „Near the Big Chakra, Anne Severson (1971), 16 mm, 14 Min., USA“ steht auf einem kleinen Schild als Erklärung. Vor dem Bildschirm: ein bequemer Stuhl, um sich zu setzen und zu betrachten.

Eigentlich ist das der perfekte Einstieg in „No Master Territories – Feminist Worldmaking and the Moving Image“, wie die Ausstellung in voller Länge heißt, die bis zum 28. August im Haus der Kulturen der Welt gezeigt wird. Kuratorinnen sind Erika Balsom, Filmtheoretikerin, und Hila Peleg, Filmemacherin.

Der Fokus des Projekts liegt auf der Zeit zwischen den 1970er und 1990er Jahren, in der „Frauenrechts- und Befreiungsbewegungen international an Boden gewannen“, so heißt es in der Broschüre zur Ausstellung, die beim Reingehen je­de:r bekommt. Zusammen mit einem Paar Kopfhörer für die Filme mit Ton. Sie werden automatisch aktiviert, sobald man in die Nähe des jeweiligen Films kommt.

Im Ausstellungsraum bleibt es somit sehr still. Die Be­su­che­r:in­nen versinken in die audiovisuellen Werke, die sie interessieren. Keine Tonüberschneidungen also in dem einen großen Ausstellungraum, in dem Leinwände und Bildschirme in verschiedenen Größen stehen. Beieinander, hintereinander, nebeneinander. Das einzige Problem dabei ist, dass man Pech haben kann und das 10-minütige Video, das man sich anschauen möchte, schon seit einigen Minuten läuft und man auf den Anfang warten muss. Vor- oder Zurückspulen geht nicht.

Film als Mittel zur Veränderung der Welt

„Film und Video nicht nur als Beziehung zur Welt, sondern auch als Mittel zu deren Veränderung.“ Das ist die Prämisse der Ausstellung, so steht es jedenfalls in der Begleitbroschüre. Das Ziel: „festgefahrene Debatten der derzeitigen neoliberalen Feminismen“ zu umgehen. Gezeigt wird dafür alles filmisch Mögliche: „von aktivistischen Videos bis hin zu Avantgarde-Experimenten und Essayfilmen, von Doku-Fiktionen bis hin zu persönlichen Zeugnissen und beobachtenden Dokus“. Arbeiten, die selbst zu ihrer Zeit oft nur in nichtkommerziellen Kontexten veröffentlicht wurden.

Es sind aber nicht nur die Exponate an sich, es ist die ganze Konzeption der Ausstellung, die den Versuch wagt, gegen jede Art von Herrschaft, nicht nur der patriarchalischen zu rebellieren. So wie das Projekt heißt – No master territories –, so ist es auch aufgebaut: Keiner der laufenden Filme steht irgendwie im Mittelpunkt. Sie sind nicht linear angelegt, in einer bestimmten Reihenfolge, sondern dezentral.

Man wird einfach in den Raum geworfen und darf sich den Weg selbst bahnen. Und manchmal gehen die Bilder auch irgendwie ineinander über, es entstehen Verbindungen. Da wird zum Beispiel Robin Lauries und Margot Nashs anarchisch-humoristischer Kunstfilm „We Aim to Please“ von 1976 über die Konventionen an die Darstellung von weiblichen Körpern und deren möglicher Bruch gezeigt. Gleich daneben: Helke Misselwitz’ Video „Aktfotografie – z. B. Gundula Schulze“ über eine Fotografin aus der DDR, die versuchte, nackte Körper authentisch darzustellen und nicht idealisiert.

Man bekommt mitunter viele Vulven, Aktfotografien, weibliche Lustfantasien, Masturbation gezeigt. Aber nicht nur die Entstigmatisierung des weiblichen Körpers, die befreite, unverkrampfte Darstellung weiblicher Lust gehören zur feministischen Weltgestaltung dazu. Auch Themen wie Vergewaltigungen, Abtreibung, Queerness, Klassenkämpfe, Intersektionalität.

Imperialismus, Patriarchat und Objektifizierung

Zum Beispiel sehr gut dargestellt in der Dokumentation „Miss Universo en el Perú“ des „Grupo Chaski“ über den Schönheitswettbewerb „Miss Universe“, der 1982 in Peru stattfand, zeitgleich zum nationalen Kongress der Bauern-Konföderation. Der Film ist eine Anklage des Imperialismus, des Patriarchats und der Objektifizierung des weiblichen Körpers. Alles Dinge, die auch heute noch aktuell sind.

Erklärt wird innerhalb der Ausstellung wenig. Alte Dokumente, Zeitschriften, Fotos, Filmplakate hängen an den Wänden und Säulen zwischen den Videoinstallationen, oft ohne Übersetzung, eher aus ästhetischen Gründen. Die Be­su­che­r:in­nen müssen ihre Interpretation des Ganzen selbst finden, ein gewisses Hintergrundwissen wird schon gefordert, und für mehr Informationen gibt es eine künstlerische Broschüre zum Projekt.

Die Ausstellung

„No Master Territories – Feminist Worldmaking and the Moving Image“. Im Haus der Kulturen der Welt noch bis 28. August, täglich von 12 Uhr bis 20 Uhr (außer dienstags). 7€/5€ inklusive Zweitbesuch Tickets. Eintritt frei: montags und unter 18 Jahren

Für diejenigen, die nach der Runde immer noch Lust auf Film haben: Parallel zur Ausstellung gibt es jeden Tag fast durchgehend etwas längere Filmvorführungen, dokumentarische und künstlerische Filme aus den letzten Jahrzehnten über und von Frauen weltweit.

Wer die Ausstellung besucht, sollte sich auf jeden Fall viel Zeit nehmen. Das wissen übrigens auch die Veranstalter:innen, weswegen die Eintrittskarten gleich für zwei Besuche gelten. Denn erst so kann man die filmischen Arbeiten wirklich auf sich wirken lassen und ihnen erlauben, ei­ne:n zum Nachdenken zu bringen. Vor allem über die erschreckende Tatsache, dass auch heute noch vieles so aktuell geblieben ist.

Zwar ist es wichtig und gut, dass die ausgestellten Videos damals gedreht und produziert wurden. Aber diese linken, feministischen Filmproduktionen dürfen nicht etwas bleiben, das wir nur ab und zu aus der Vergangenheit ausgraben. Denn den vollendeten Abschluss des Kampfs gegen patriarchalische und jegliche andere Herrschaft stellen sie sicherlich nicht dar.

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7 Kommentare

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  • Eine Ausstellung, in der man mich beim Betrachten von Vulven betrachten könnte, würde mich sehr genieren. Egal welches Gesicht ich dabei aufsetzen täte, ich wäre durchschaut als alter weisser Sack mit Vulvenproblematik. Wohl wahr, schon die ersten Sekunden meines irdischen Daseins steckte ich da mittendrin.



    Lasst mich jetzt einfach in Ruhe aussterben.

  • oh cool: gegen Imperialismus, Patriarchat und Objektifizierung Bilder von Geschlechtsteilen ausstellen.



    Gähn.



    Die Bebilderung ist das neoliberale.



    keep it for yourself.



    Zurück zu den Austragungsorten der Konflikte - weg von ihren Abbildungen!

  • Ok, dann bahne ich mir mal einen kleinen Ausschnitt!



    Männlicher Akt-1983



    www.deutschefototh...0050/df_kz_0040012



    Irgendwie zeitlos nich!



    Mein Sohn



    www.deutschefototh...0109/df_kz_0070007



    Immer noch zeitlos!

  • Vulven und masturbierende Frauen filmen und diese Filme dann öffentlich vorführen soll ein aktivistischer Beitrag gegen neoliberale Wirtschaft und das Patriarchat sein. Bewirkt dann das Filmen von Penissen und Männern beim Masturbieren und anschließende öffentliche Vorführen das Gegenteil? Diese Fixierung auf Geschlechtsorgane ist doch sehr bedenklich. Werden solche Werke nicht in einem Kunst- und Kulturkontext sondern einem gewöhnlichen Sexshop gezeigt, spricht man glaube ich von Pornographie.

  • Was hat der Neoliberalismus als wirtschaftswissenschaftliche Theorie mit diesem Thema zu tun? Ich habe manchmal den Eindruck, dass das in manchen Kreisen einfach "böse" bedeutet - ähnlich wie "sozialistisch" bei amerikanischen Rechten - ohne einen Bezug zur Bedeutung.

    • @flipmar:

      "Was hat der Neoliberalismus als wirtschaftswissenschaftliche Theorie mit diesem Thema zu tun?"

      Alles.

      Sex sells.

      Drum.

      • @Encantado:

        Im Neo-/ Ordoliberalismus setzt des Staat primär einen Ordnungsrahmen, während die einzelnen Subjekte eigenverantwortlich handeln. Ja: im Neoliberalismus dürfen Frauen ihren Körper zeigen oder es lassen. In einem paternalistischen Staat würde es so etwas mit Verweis auf Sitten oder Traditionen nicht geben. Ich sehe hier nicht den Grund, nach dem Staat zu rufen, um Frauen zu sagen, was sie mit ihrem Körper tun sollen...