Außenpolitik der Ampel: Unsensibel gegenüber Afrika
Die Notwendigkeit von Veränderung im Umgang mit Afrika ist offensichtlich. Aber der Regierungswechsel in Deutschland bringt keinen Politikwechsel.
W elche Afrikapolitik erbt Deutschlands Ampelkoalition von Angela Merkel? Die unzähligen Gipfelreden der vergangenen Jahre finden sich auf Seite 156 des Koalitionsvertrags nahtlos fortgesetzt: es geht um Partnerschaft, Zusammenarbeit, Reformen, Europa. Das spricht für Kontinuität und zugleich für Bedeutungslosigkeit: Afrika ist nicht wichtig genug für Kontroversen.
Aber es ist wichtig genug für Geschäfte. 2021 war der größte Käufer deutscher Rüstungsgüter ein afrikanisches Land: Ägypten, das mit Rüstungsexportgenehmigungen in Höhe von 4,339 Milliarden Euro fast die Hälfte der Gesamtsumme des Jahres ausmacht. Ein Großteil der Genehmigungen erfolgte in den letzten Tagen der alten Bundesregierung – ohne Öffentlichkeit.
Ägypten ist nicht nur eine Diktatur mit einem brutalen, allmächtigen Militär, sondern auch Partei im Konflikt um den Nil zwischen zwei Schwergewichten Afrikas. Für Ägypten ist der Staudamm, den Äthiopien am Oberlauf des Blauen Nils gebaut hat, eine existenzielle Bedrohung seiner Wasserversorgung – für Äthiopien eine existenzielle Notwendigkeit seiner Energieversorgung.
Aus Ägypten sind kriegerische Töne gegen Äthiopien laut geworden, Äthiopien versinkt im Bürgerkrieg und im zwischen beiden Ländern liegenden Sudan wehrt sich eine mutige Demokratiebewegung gegen einen von Ägypten gestützten Militärapparat. Und was macht Deutschland? Verkauft Fregatten und Luftverteidigungssysteme an Ägypten. Das afrikanische Land, das sich 2021 am meisten über Deutschland aufregte, war derweil Marokko.
Deutsche Waffen für Algerien
Es befindet sich an der Schwelle zum Krieg gegen Algerien, in den Merkel-Jahren ein weiterer Großabnehmer deutscher Rüstungsgüter. Von Algerien aus und mit Algeriens Segen kämpft die Westsahara-„Befreiungsarmee“ Polisario, die 2020 den jahrzehntelangen Waffenstillstand mit Marokko aufkündigte. Marokko legte seine Beziehungen zu Deutschland auf Eis und ist heute ein militärischer Verbündeter Israels.
All das ergibt eine aus deutscher Sicht originelle Konfliktkonstellation. Aber sieht dies in Deutschland jemand? Von Berlin aus ist Nordafrika nicht Afrika, sondern Naher Osten. Man nimmt Afrika nicht als Ganzes wahr, man sieht keine Machtverhältnisse, keine Geopolitik, möglichst keine Akteure mit Eigeninteressen. Man verharrt in Entwicklungspolitik und humanitärer Hilfe, einem Afrika als unpolitischer Empfänger von Gaben und Reformprojekten.
Dass die zuständigen Ministerien jetzt allesamt die Partei wechseln – das Auswärtige Amt von der SPD zu den Grünen, das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit von der CSU zur SPD –, dürfte daran wenig ändern. Die Apparate und Vereinbarungen bleiben. Immerhin enden jetzt Kuriositäten wie die Existenz eines persönlichen Afrikabeauftragten der Bundeskanzlerin, Günter Nooke, mit Sitz im BMZ.
Berlin betrachtet Nordafrika als Nahen Osten
Ob Nookes Steckenpferde – etwa die Rehabilitation des deutschen Kolonialismus oder das Begehr, Kongos Energiequellen zum Export nach Deutschland statt zur Versorgung Afrikas zu nutzen – erhalten bleiben, dürfte einiges über das zukünftige Bild Deutschlands in Afrika aussagen. Mehr Sensibilität für Afrikas Wahrnehmung der eigenen Geschichte und für Afrikas Prioritäten bei der Verbesserung der eigenen Lebensumstände wären gute Fortschritte.
Dies gilt auch in der Migrations- und Flüchtlingspolitik, für viele afrikanische Staaten der wichtigste Bereich politischer Interaktion mit Deutschland. Interessengeleitete Außenpolitik ist hier längst Realität. Legale Möglichkeiten zur Einreise aus Afrika nach Europa gibt es nur noch für eine schmale Elite. Die Ausgrenzung von Milliarden Menschen wird schon gar nicht mehr hinterfragt, ebenso wenig ein Afrikabild, in dem jeder Afrikaner ein potenzieller Flüchtling oder Migrant ist.
Zuletzt sahen deutsche Minister keinen Widerspruch darin, in afrikanischen Ländern gleichzeitig „Fluchtursachen zu bekämpfen“ und um Pflegekräfte zu werben. Afrika hält in der Wahrnehmung des Globalen Nordens den Status eines Naturphänomens, dessen Ressourcen – und Menschen – man ausbeuten kann und dessen Gefahren – und Menschen – man sich zugleich vom Leibe halten muss.
Erst ein solches Weltbild macht Ideen wie Energieexport aus Afrika nach Deutschland bei gleichzeitiger Abschottung der Grenzen überhaupt denkbar. Oder auch die Reaktion, als Südafrika Ende November als erstes Land der Welt die hochansteckende Omikron-Variante des Coronavirus identifizierte: Totale Einreiseverbote.
Nur geschulte Menschen aus Afrika sollen kommen
„Das Virus aus Afrika ist bei uns“, schlagzeilte die Rheinpfalz am Sonntag, während die spanische La Tribuna eine Karikatur von fröhlichen schwarzen Viren mit wulstigen roten Lippen in einem Flüchtlingsboot mit der Aufschrift „Omicron“ und der südafrikanischen Flagge druckte. Dass sich solche Haltungen ändern müssen, ist allen bewusst, die im realen Leben mit Menschen aus Afrika Kontakt halten.
Auf einem Fachgespräch der deutschen Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) wenige Tage nach dem Regierungswechsel im Dezember war viel von der wachsenden Bedeutung Afrikas in der Welt und der zugleich schrumpfenden Bedeutung Europas für Afrika die Rede. Man müsse „mehr zuhören“, hieß es, und „mit Afrika, nicht über Afrika sprechen“.
Aber während die Deutschen abstrakt über Demografie, Klimawandel und erneuerbare Energien sprachen, betonten zugeschaltete Teilnehmer aus afrikanischen Ländern konkrete Lebenserfahrung: Autoritarismus, Frustration mit gewählten Regierungen, Konfrontation zwischen religiösen und liberalen Werten. Noch wird mehr aneinander vorbeigeredet als miteinander.
Europa, auch Deutschland, verliert gegenüber Afrika allmählich seinen kolonialen Habitus. Aber ob darauf postkoloniales Engagement folgt oder präkoloniale Ignoranz, ist noch offen.
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