Außenpolitik bei Sondierungen: Nicht oben auf der Agenda
Özdemir und Nouripour sind bei den rot-grün-gelben Verhandlungen nicht dabei. Außenpolitische Programme spielen kaum eine Rolle.

E ine Woche der Sondierungen geht zu Ende. Anders als vor vier Jahren war von den Beteiligten wenig aus den Verhandlungen zu hören. Sie beließen es dabei, zu erklären, welche Themenbereiche Gegenstand der Gespräche waren oder sein werden. Vor den Mikrofonen und Kameras betonte man bloß, wie nah man sich schon – oder wie fern man sich noch – fühle.
Jetzt wird sich zeigen, ob die Verhandlungsteams einer möglichen „Fortschrittskoalition“, wie die Ampel sich jetzt nennt, weiter so deutschlandfixiert sein werden – oder ob nicht doch auch der eine oder die andere Expert:in für Außenpolitik mitverhandeln darf. Bis jetzt scheint Außenpolitik jedenfalls nicht oben auf der Agenda gestanden zu haben, sieht man sich allein die Zusammensetzung der Teams an.
Das Fehlen Cem Özdemirs im Team der Grünen wurde bis jetzt nur aus symbolpolitischen Gründen beklagt: Ein Mann mit türkischem Nachnamen, das wäre doch ein Zeichen. Das Problem liegt woanders. Özdemir verfügt über außenpolitische Expertise. Er weiß nicht nur, wovon er redet, wenn er etwa die Verhältnisse im Nahen und Mittleren Osten thematisiert. Er tut es auch. Will sagen: Er spricht von Dingen, die uns alle angehen. Schade, dass Cem Özdemir nicht bereits vier Jahre lang unser Außenminister war.
Immerhin hatten die Grünen ihn ins „erweiterte Sondierungsteam“ geschickt. Außenpolitiker Omid Nouripour wäre auch eine Bereicherung fürs Grünen-Team gewesen. Er hat der FAZ die Frage, ob Deutschland eine neue Außenpolitik brauche, vor einer Woche mit einem einfachen, klaren „Ja“ beantwortet. Um dieses „Ja“ zu formulieren, muss man kein außenpolitisches Genie sein.
Die Jahre der Trump-Regierung haben den Europäern gezeigt, dass sich der transatlantische Partner schnell in einen polternden Bully verwandeln kann, dem Europa herzlich egal ist. Auch Joe Bidens Maxime lautet „America first“, was angesichts des desolaten Zustands seines Landes mehr als verständlich ist, wo seit einer Woche über die katastrophalen Zustände auf der New Yorker Gefängnisinsel Rikers Island diskutiert wird.
Rikers Island als Symbol für das Versagen neoliberaler Politik
Rikers Island ist ein Symbol für das Versagen neoliberaler Politik in den vergangenen Jahrzehnten, die das Verrotten von technischen und gesellschaftlichen Infrastrukturen zur Folge hatte. Die Außenpolitik Chinas ist unter Xi Jingping expansiver, aggressiver und autoritärer geworden. Währenddessen führt der alte Geheimdienstler Wladimir Putin längst einen neuen Kalten Krieg gegen die offenen Gesellschaften des Westens.
Ideologisch mit Konzepten wie der „traditionellen Familie“, praktisch-operativ mit Desinformationskampagnen in den sozialen Medien und über sein Propagandainstrument Russia Today. Putins Destabilisierungskampagne funktioniert ganz gut. Die fünfte Kolonne Moskaus rekrutiert sich aus Rechtspopulisten, Extremisten und Verschwörungstheoretikern. Es reicht dem Kreml ein kleiner Pool aus Verwirrten, Verunsicherten und dezidierten Feinden der Demokratie, um Unruhe zu stiften.
Immerhin haben sich die Koalitionäre in spe auf diese Formel geeinigt: „Wir befähigen die liberalen Demokratien Europas dazu, Desinformation, Fake-News-Kampagnen, Propaganda sowie Manipulationen aus dem In- und Ausland besser abwehren zu können.“ Die Klimakatastrophe wird Konflikte auf der ganzen Welt noch weiter befeuern. Es werden sich noch mehr Menschen weltweit auf der Flucht befinden. Es gibt also eine Fülle von Gründen, die deutsche Außenpolitik neu zu justieren.
Wolfgang Ischinger, Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz, hatte es am Freitagmorgen noch als besorgniserregend bezeichnet, dass der Außen-, der Sicherheits- und der Entwicklungspolitik zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt werde. Nun ist im Papier der selbsternannten Fortschrittskoalition von einer „Allianz der Demokratien“ die Rede. Eine „Nationale Sicherheitsstrategie“ wird angekündigt. Wir sind gespannt, wie’s weitergeht.
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