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Außenministertreffen in Brüssel„Europa spricht nicht die Sprache der Macht“

EU-Chefdiplomat Borrell kritisiert die zögerliche Außenpolitik der EU. Sein Vorschlag, den Dialog mit Israel auszusetzen, stößt auf wenig Zustimmung.

Was da wohl drin ist? Josep Borrell (l.), Hoher Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, freut sich über sein Geschenk Foto: Olivier Matthys/Pool EPA/AP/dpa

Brüssel taz | Zum Abschied wollte Josep Borrell noch einmal ein Zeichen setzen. Die EU müsse den politischen Dialog mit Israel aussetzen, um gegen die anhaltenden Völkerrechtsverstöße im Gazakrieg zu protestieren, forderte der scheidende EU-Chefdiplomat bei seinem letzten Außenministertreffen am Montag in Brüssel. Es sei höchste Zeit, Stellung zu beziehen.

Doch über die katastrophale Lage in Gaza mit mehr als 40.000 toten Palästinensern redeten die EU-Politiker eher widerwillig. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) sprach sich gegen Borrells Vorstoß aus – man müsse „Gesprächskanäle offen halten“, betonte sie.

Umso leidenschaftlicher diskutierten die EU-Politiker über die Lage in der Ukraine und die überraschende Wende in der US-Strategie: Kurz vor dem Ende seiner Amtszeit im Januar hat der scheidende US-Präsident Joe Biden offenbar den Einsatz weitreichender amerikanischer Waffen für Angriffe innerhalb Russlands erlaubt. Die meisten EU-Länder signalisierten Zustimmung.

Mit Blick auf die aktuellen Entwicklungen in der Ukraine sei dies „so wichtig in diesem Moment“, sagte Baerbock. Selbstverteidigung bedeute, dass die Ukraine nicht abwarten müsse, bis eine Rakete in einem Kinderkrankenhaus einschlage. Vielmehr müsse man „diesen militärischen Terror“ auch bereits beim Abschuss zerstören können. Da ist sie sich sogar mit Borrell einig.

Nationale Entscheidungen

Der EU-Außenbeauftragte forderte die Mitgliedsstaaten dazu auf, der USA zu folgen. „Immer wieder habe ich gesagt, dass die Ukraine in der Lage sein sollte, die von uns gelieferten Waffen zu nutzen, nicht nur um die Pfeile zu stoppen, sondern auch um die Bogenschützen zu treffen“, sagte der Spanier.

Allerdings ist die EU gar nicht zuständig. Über die Lieferung und Freigabe von Waffen entscheiden die Mitgliedsländer allein. So will Deutschland auch künftig keine Taurus-Systeme an die Ukraine liefern. Zudem ist unklar, wie weit Bidens Entscheidung geht. „Wir kennen nicht die genauen Zahlen der (amerikanischen) Raketen, die die Ukraine im Bestand hat“, sagte Litauens Außenminister Gabrielius Landsbergis.

„Es stellt sich die Frage, ob sie mit genügend Raketen ausgestattet sind, um einen Unterschied auf dem Schlachtfeld zu machen.“ Feierstimmung wollte auch sonst nicht aufkommen. Dafür ist die Weltlage zu ernst, und die EU zu schwach, wie Borrell einräumte. Die Europäer sprächen immer noch nicht „die Sprache der Macht“, sagte er zum Abschied in Brüssel.

Sein letzter Rat: „Haltet besser zusammen, trefft schnellere Entscheidungen.“ Denn die Welt warte nicht auf Europa – weder in der Ukraine, noch in Israel.

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8 Kommentare

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  • "den politischen Dialog mit Israel aussetzen" und "höchste Zeit, Stellung zu beziehen" ... Das erste beudet für mich soviel wie nicht mehr miteinander reden, was eine schlechte Idee wäre. Was mit "Stellung beziehen" gemeint ist, würde mich sehr interessieren. Für mich würde es bedeuten, allen Beteiligten klarzumachen, dass eine weitere Konfrontation zu nichts führen wird. Aber hier gehen die (religiösen und nationalen) Ansichten und Interessen weit auseinander.

  • Wenn wie so oft das Schnalzen einer Peitsche, das dumpfe Klatschen eines Stocks und das Stöhnen der Unterdrückten die Sprache der Macht ist verzichte ich gerne darauf

    • @Bolzkopf:

      Besser, kürzer und prägnanter kann man/mensch es nicht ausdrücken!

  • Das UN-Menschenrechtsbüro hatte am 06.11.24 erklärt, dass fast 70 Prozent der verifizierten Kriegstoten in Gaza Frauen und Kinder seien und dies als systematische Verletzung der Grundprinzipien des humanitären Völkerrechts verurteilt.



    Der Vorschlag von EU-Chefdiplomat Borrell den Dialog mit Israel auszusetzen, betrifft nur das Assoziationsabkommens der EU mit Israel.



    Damit ist noch kein Stopp von EU Waffenlieferung nach Israel gemeint und



    Keine Sanktionen gegen Israel.



    Die einzige Maßnahme gegen Israel wäre die Aussetzung der regelmäßigen Treffen auf Ministerebene.



    Rede-Stopp als Sanktion gegen Israel. Echt jetzt?

    Die Zustimmung auf EU Ebene ist überwältigend. Von wenig Zustimmung in de EU kann keine Rede sein.



    Der Borrell-Vorschlag wird abgelehnt von Annalena Baerbock (Grüne) für Deutschland, Ungarn und Tschechien. Also von 3 EU Mitgliedern von 27 Mitgliedstaaten, die eine Bevölkerung 102,7 Mio. Einwohnern von 450 Mio. EU weit darstellen. Das heißt, 89% der Staaten die 78% der EU Bevölkerung vertreten sind für die Borrell-Sanktionen gegen Israel.







    Annalena Baerbock (Grüne) in Union mit Viktor Urbans Ungarn gegen die Borrell-Sanktionen gegen Israel. Der Wahnsinn!

  • Man kann ja Gesprächskanäle offen halten und gleichzeitig Sanktionen verhängen Frau Baerbock, nennt sich Multitasking. Zumindest sollte man, wie von Borell richtig gefordert, den Handel mit israelischen Waren und Dienstleistungen aus den besetzten Gebieten unterbinden. Das dies überhaupt jemals erlaubt war ist schon schändlich genug, da ja nicht erst seit gestern bekannt ist das die Siedlungen völkerrechtswidrig sind. Zudem ist auch seit Jahrzehnten bekannt und in unzähligen Gutachten dargelegt, dass die israelischen Siedlungen sich natürliche Ressourcen der Palästinenser völkerrechtswidrig aneignen, das geht beim Wasser los. Bereits 2013 stellte die UN in einem Bericht fest, dass die israelischen Siedlungen in den OPT 89% des zur Verfügung stehenden Wassers für sich beanspruchen. Hierzu auch: www.boell.de/de/20...-durst-palaestinas



    Und Wasser ist bei weitem nicht die einzige Ressource. Der IGH hat in seinem Gutachten auch auf diese wirtschaftliche Ausbeutung aufmerksam gemacht. Man kann nicht ständig ein Volk auf Kosten eines anderen uneingeschränkt unterstützen.



    Forsa: 60% in Dtl. gegen Waffenlieferungen nach Israel, wie sieht es in den anderen Staaten aus?

  • Nicht nur bei der Außenpolitik bleibt Europa hinter seinen Möglichkeiten. Wesentliches Hindernis ist dabei die innere Verfasstheit der EU. Den EU-Chefdiplomatenposten könnte man gegenwärtig genauso gut abschaffen.

  • Schade das er geht.



    Es wird das moralisch-ethische Korrektiv gegenüber den BellizistInnen und RelativiererInnen fehlen.

  • Den Dialog aussetzen macht man erst ganz spät, denn Diplomatie hält die Kanäle möglichst lang auf.



    Aber Netanyahu gegen seine privaten Ego-Interessen an noch mehr Krieg einen Grund zu vermitteln, endlich mit der Eskalation zu stoppen, die den Blutzoll an Zivilisten in der Ukraine bereits um einiges übersteigt - das gehört tatsächlich langsam mal dazu.



    Waffenlieferungen stoppen.



    Auf eine Lösung drängen: entweder ein wirklch fairer Staat für alle oder zwei lebensfähige souveräne gemäß den UN-Beschlüssen.



    Druck machen auf Netanyahu-Israel (ja, und ebenso auf Marokko wegen der Westsahara).